Nach gemessener Pause sagte der Graf: »Ich freue mich, dich wiederzusehen, Häuptling, schon fürchtete ich, du seiest in deine glücklichen Jagdgründe gegangen.«
»Die Saulteux heulen vor Angst, wenn ein Krieger der Wyandots den Schlachtruf erhebt. Drei der Hunde fielen unter meinen Streichen.«
»Mein Freund Athoree ist ein großer Krieger, ein Held seines Volkes, die Wyandots werden sein Lob singen.«
Ernst entgegnete der Indianer: »Manitou hat mich über das Wasser gesandt, die Wyandots werden ihres befiederten Pfeiles gedenken. - Sumach zurückgeblieben? Gut. Alte Frau hier nichts nützen.«
»So schätzenswert Johnsons Walderfahrung ist, so würden wir doch ohne dich, Athoree, kaum hier Erfolge erzielen. Nur eines fürchte ich, daß du als Hurone hier in die Hand deiner Feinde fallen wirst.«
»Saulteux blind wie neugeborene Hunde. Athoree nicht sehen, nur ihn fühlen. Du sehen, wie Saulteux laufen, er laufen noch.«
»Ich würde es zeitlebens bedauern, wenn dich hier infolge deiner Anhänglichkeit an mich ein Unglück träfe.«
»Was für Unglück? Sterben als Krieger? Müssen alle sterben. Wyandots jetzt das Totenlied für Athoree singen. Das gut.«
»Welche Schritte werden wir nun zunächst tun müssen? Hältst du es für ratsam, daß ich in das Dorf der Saulteux gehe, ihnen Geschenke anbiete und offen mit ihnen verhandle?«
»Morgen sagen. Athoree erst sehen. Kennen hier jeden Schritt, als junger Krieger hier oftmals auf Skalp lauern. Mehr als einmal ganzer Stamm hinter mir her. Athoree nicht fangen.«
»Um so besser, wenn du diese wilde Gegend kennst.«
[406]
»Ihm kennen gut genug, so gut als Saulteux.«
Sie verbrachten die Nacht unter dem Schutze des Felsens.
Mit Tagesanbruch erhoben sie sich und schritten unter Athorees Führung immer höher in die Felsenwildnis hinein.
Düstere Nadelhölzer umgaben sie auf allen Höhen. An Abgründen vorbei über schäumende Gießbäche ging der Weg, oftmals gefährlich genug, einmal rettete nur Johnsons Riesenkraft den Iren vor einem jähen Absturz.
In tiefster Einsamkeit lagen diese Felsenschlünde da, in deren verschlungenem Labyrinthe sich Athoree mit wunderbarer Sicherheit zurecht fand.
Es war eine Gegend von wilder, großartiger Schönheit, durch welche sie ihr verstohlener Pfad führte, aber von jener Schönheit, welche schaudernde Bewunderung abnötigt.
Jetzt begriff der Graf, wie schwierig es war, die Saulteux in ihrem eigenen Lande zu bekriegen.
Still war es hier oben zwischen den zerrissenen Felsen, nur der heisere Schrei eines Adlers, der sich von seinem Horst erhob, aufgescheucht durch den seine Einsamkeit störenden Menschenfuß, unterbrach hie und da das feierliche Schweigen dieser rauhen Wildnis.
Die Sonne stand fast im Zenith, als Athoree vor einer Felsenöffnung Halt machte.
Ein schmaler Pfad hatte sie zu dieser emporgeführt. Vor derselben befand sich ein tiefer Abgrund, aus dem das Rauschen eines Wildbaches empordrang.
Der tiefe Felsenspalt war durch einen Baumstamm überbrückt; drüben mußte der Weg abwärts führen, da sie jenseits einen entfernten, bewaldeten Höhenzug erblickten.
Neben der dunklen Felsöffnung erhoben sich junge Tannen und Birken und verdeckten sie fast zur Hälfte. Auch drüben auf der Felswand, zu welcher der Baumstamm leitete, zeigte sich junges Holz, über das hinwegeilend das Auge auf düsterem Nadelwald ausruhte, während der Blick nicht ins Tal zu dringen vermochte.
Rechts und links erhoben sich starre Felsmassen, deren Gipfel von Wald gekrönt war, wie in gleicher Weise die Wand, in welcher sich die Oeffnung befand. Athoree schritt über den dicken Baum hin und legte sich jenseits in den Büschen nieder.
Nach einigen Minuten kehrte er zurück und forderte die Männer auf, in den Felsen zu treten, dessen Oeffnung sie zu einer geräumigen Höhle führte. [407]
Auch hier zeigten Feuerstätten an, daß sie öfters besucht wurde.
Der Raum war groß und dunkel in seinem rückwärts liegenden Teile.
Athoree blickte aufmerksam um sich und ging dann nach dem Innern der Höhle zu und verschwand dort hinter einem Vorsprung.
Als er zurückkehrte, forderte er den Grafen und Johnson auf, ihm zu folgen.
Er führte sie in einen engen Gang, welcher nach oben auslief.
Gebückt konnte ein Mensch, wenn auch mit Schwierigkeit, darin gehen.
Bald erblickten sie durch eine Spalte Tageslicht.
Der Indianer deutete darauf hin und sagte zu Johnson: »Toter Mann sehr stark, er gehen und sehen, ob dort Felsblock fortschieben. Saulteux legen ihn davor.«
Johnson bewegte sich darauf zu und bemerkte, näher gekommen, daß die Oeff-nung, welche gerade groß genug war, einen Menschen durchzulassen, von zwei schweren Felsstücken verschlossen war.
Er strengte seine herkulische Kraft an und es gelang ihm, den einen Felsblock zur Seite zu drücken. Die Oeffnung war groß genug, um es zu ermöglichen, daß Johnson, wenn auch mit Mühe, hindurchkroch. Er befand sich hiernach auf der Höhe des Felsens im dichten Walde.
Mit geringerer Anstrengung gelang es ihm hier, den zweiten stattlichen Felsblock zur Seite zu wälzen.
Der Graf und Athoree folgten Johnson jetzt, und der letztere ging in den Wald hinein.
Dann hieb er, zurückkommend, einige junge Tannen mit seinem Tomahawk ab und stellte sie vor den Höhleneingang. Sich zwischen diesen durchwindend, gelangten sie in den Gang und gingen wieder zur Höhle zurück.
»Jetzt hier bleiben. Alles ganz still. Nicht Feuer anmachen, Dorf der Saulteux nahe. Athoree gehen und nach ihnen sehen.«
»Man wird dich entdecken, Athoree.«
»Saulteux können nicht denken, daß Huronenkrieger hier, halten für ihren Krieger, wenn von ferne sehen. Kommen nah - nun« - er legte die Hand ans Messer - »dann machen stumm. Saulteux alle in Dorf, klagen um ihre Toten, alle sehr betrübt.«
»Und wenn wir während deiner Abwesenheit entdeckt werden?«
»Dann gehen mit Saulteux in Dorf, sagen, kommen als Freund, bringen Geschenke. Nicht sagen, daß von Wyandots kommen, von See.« [408]
»Gut, wir wollen tun, wie du sagst.«
Athoree entfernte sich über den Baumstamm und verschwand in den Büschen.
Die andern streckten sich auf ihren wollenen Decken zur Ruhe aus, und abwechselnd hielt einer nach dem andern am Eingang Wache, um nicht durch einen unerwarteten Besuch ganz unvorbereitet überrascht zu werden.
Der Tag verging dem Grafen in mannigfachen Gemütsbewegungen. Was würde er, so nahe dem ersehnten und so mühevoll erreichten Ziel, erfahren?
Unruhig ging er oft hin und her.
Einmal traute er sich über den Baumstamm hinüber und wagte einen Blick in das Tal zu werfen.
Dasselbe war ausgedehnt genug, und sein Grund, den ein Bach durchfloß, mit Wiesengras bedeckt.
An einem Ende hatte er Hütten der hier hausenden Indianer gewahrt.
Dann war er durch den engen Gang, welcher von der Höhle nach oben führte, gegangen und hatte sich draußen im Walde umgesehen, der, wie er jetzt an andern, auch von unten aus sichtbaren Berg- und Felsspitzen bemerkte, doch bedeutend höher lag, als der zur Höhle führende untere Eingang.
Ihr von Gefahren umgebener, verschwiegener Zug hierher, das seltsame Asyl, welches ihnen der Fels bot, die ganze wildromantische Umgebung, hatten etwas phantastisch Geheimnisvolles, welches sehr wohl zu seiner aufgeregten Stimmung paßte, ohne seine Unruhe indessen zu beschwichtigen.
Eine unsägliche Sehnsucht nach der Schwester bemächtigte sich seiner; dann dachte er des Greises in der fernen Heimat, er sah ihn in seinem Lehnstuhl sitzen und den Diener fragen, ob kein Brief von Amerika gekommen sei.
Was werden die nächsten Stunden bringen?
Ein Trost für ihn war die Anwesenheit Heinrichs, mit welchem er über die Heimat und die Schwester reden konnte in den lieben deutschen Lauten.
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