Es war herzzerreißend, wahrzunehmen, wie in ihrem zerstörten Geiste nur allein das Bild des Gatten noch lebte, während die Erinnerung an alles andre wohl für immer ausgelöscht war.
»Luise, liebe Schwester,« begann der Graf von neuem mit weicher, bebender Stimme, »willst du mit mir kommen? Ich will dich zum Vater bringen nach Schloß Elm.«
»Nach Schloß Elm? Ja, da war Walther auch. Ja, ich weiß es wohl.«
»Komm mit mir, komm!«
»Ich kann nicht; weißt du, Walther kann jeden Augenblick erscheinen, und er wäre betrübt, wenn er mich hier nicht fände, und ich - ich freue mich sehr, wenn er heimkehrt.«
Die Zeit rückte vor; wenn sie in die Felsen und so in verhältnismäßige Sicherheit gelangen wollten, mußten sie bald aufbrechen.
Der Körper Luisens war gesund und stark, der Knabe über seine Jahre kräftig und unter den Indianern abgehärtet.
Dann sagte sich Edgar auch, daß, wenn es den Saulteux gelänge, sich ihrer wieder zu bemächtigen, weder die Schwester noch der Knabe etwas von ihnen zu fürchten haben, daß nur er und seine Begleiter die Opfer sein würden.
Es war Zeit aufzubrechen.
Aber wie die Kranke bewegen, mit ihnen zu kommen?
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Ein Gedanke schoß ihm durch den Sinn. Alles Denken seiner armen Schwester bewegte sich um den ihr noch immer so teuren Gatten, und so wagte er im angstvollen Drängen des Augenblicks zu fragen: »Willst du nicht mit mir zu Walther gehen, Luise?«
Sie erhob sich lebendig.
»Wo ist er?«
»Drüben in den Felsen, er sandte mich her, dich zu holen, er erwartet dich.«
Ein helles Rot der Freude flog über ihr Angesicht.
»O, so komm, wir dürfen ihn nicht warten lassen.«
Der Talisman, mit welchem man sie ihrem Gefängnisse entführen konnte, war gefunden.
»Warte!« Sie schritt in das Wigwam und erschien bald wieder mit einem kurzen Mantel aus den schönsten Otterfellen, den sie über die Schultern geworfen hatte.
»Komm, Wilhelm!« sagte Edgar noch.
Sie schickten sich an zu gehen, als Athoree plötzlich winkte und zur Seite trat.
Der Vorhang, welcher den Eingang verdeckte, öffnete sich und herein trat die alte Indianerin, die stumm vor Staunen stand, als sie den weißen Mann erblickte. Rasch trat Athoree hinter sie, das blanke Messer in der Hand und zischte ihr im Saulteux-dialekte zu: »Einen Laut und dies Messer fährt dir ins Herz.«
Erschreckt taumelte die Alte vorwärts, immer noch mit weit aufgerissenen Augen Edgar anstarrend.
»Tu ihr nichts, roter Mann!« rief Wilhelm Athoree zu, »Doneta ist gut und freundlich.«
Athoree blieb ruhig stehen, aber seine finstere Miene weissagte der Frau nichts Gutes, für den Fall sie seine Drohung mißachten sollte.
Doch war nicht Gefahr, daß sie durch Hilferufe die Saulteux herbeiziehen würde. Erstlich war sie zum Tode erschrocken und dann wußte sie, daß über die hohen Felswände kaum ein Ton hinausdrang, wenn überhaupt jemand in der Nähe gewesen wäre, ihn zu vernehmen.
»Ich gehe meinem Mann entgegen, Doneta,« sagte freundlich Luise, »wir kehren bald zurück.«
»Ni-hi-tha, die Tochter der Saulteux, will gehen?« fragte die Alte kläglich.
»Ich komme bald wieder.«
»Die Saulteux weinen, wenn sie ihren Liebling nicht sehen.«
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»Komm, Mann,« wandte sich Luise an Edgar, »Walther wartet.«
»Was beginnen wir mit der Frau, sie wird ja das ganze Dorf in Aufruhr setzen, sobald wir fort sind.«
»Müssen binden. Mit Schwester fortgehen.«
Edgar ging mit Luise in den Gang, welcher ins Freie führte.
»Tue der alten Frau ja nichts, sie ist gut.« Und Wilhelm ging hinter den andern her.
Mit drohender Miene schritt Athoree auf die Alte zu und sagte ihr, daß er sie zur Sicherheit der Flüchtlinge binden und knebeln müsse, ihr aber, wenn sie nicht schreie, kein Leid zufügen werde.
Die Frau ergab sich in ihr Schicksal, und Athoree band ihr Hände und Füße, schob ihr ein dem Wigwam entnommenes Stück Kattun zwischen die Zähne und legte sie auf das Lager der Gefangenen.
»Sage den Saulteux, Weib, sie seien blinde Maulwürfe. Der befiederte Pfeil der Wy-andots ist mitten unter ihnen gewesen und sie haben ihn nicht gesehen. Die Saulteux sind Hunde, welche angstvoll heulen, wenn sie den Schritt eines Wyandot hören.«
Und auch er verschwand hinter dem Felle, welches den Ausgang bedeckte.
Sie traten in die Büsche.
Edgar sagte zu der Schwester: »Du darfst nicht laut sprechen, Luise, sonst hören es die Saulteux und diese wollen nicht, daß du zu Walther gehst.«
»O, ich bin stumm, wenn Walther es will.«
Wilhelm zeigte, daß er den indianischen Knaben alle ihre Künste abgelernt hatte, denn er schlich mit einer Gewandtheit und Geräuschlosigkeit durch die Büsche, welche einem erfahrenen Krieger Ehre gemacht hätte.
Auch war er ganz durchdrungen von der Gefährlichkeit ihrer Lage.
Luise war durch Edgars Argument gänzlich von der Notwendigkeit des Schweigens überzeugt und ahmte die Vorsicht der andern in Bezug auf den Marsch nach.
Bald waren sie in den Felsen und stiegen hinauf.
Zur Freude des Grafen zeigte es sich, daß seine Schwester die ganze Spannkraft der Jugend bewahrt hatte. Sehnsucht beflügelte ihre Schritte.
Schon nahten sie ihrem Ziele, als, da sie um eine Felswand bogen, ein junger Indianer vor ihnen stand.
Einen Laut des Staunens stieß dieser aus. »Ni-hi-tha!« [422]
Mit einem Sprung war Athoree neben ihm und setzte ihm das Messer an die Kehle.
»Nicht töten, Athoree,« rief ihm der Graf nachdrücklich zu. »Wir wollen Blut nur im äußersten Notfall vergießen!«
Ungern gehorchte der Wyandot. Er band den eingeschüchterten, etwa sechzehnjährigen Jüngling, mit dem Taschentuche des Grafen ward ihm der Mund verstopft und er dann in die Büsche gelegt.
»Jetzt rascher gehen. Junger Saulteux gefährlich.«
Schneller schritten sie den Weg hinan, bald erblickten sie den Fels, welcher in seinem Inneren die Höhle barg, und gewahrten die Freunde, welche Wache haltend vor ihr lagen. Sie überschritten den Baum und waren vorläufig in Sicherheit.
»Und Walther?« fragte Luise.
»Wir werden den Vater bald sehen, Mama,« sagte der Knabe, der vollständig begriff, durch welches Mittel man seine Mutter veranlassen konnte, die Flucht fortzusetzen.
Nach dem anstrengenden Aufstieg bedurften Luise und ihr Knabe einiger Ruhe. Bald aber drang Athoree auf Fortsetzung des Marsches.
Es handelte sich jetzt um Beseitigung des als Steg dienenden Baumes.
»Meinst du nicht, Athoree,« äußerte der Graf, »daß das Geräusch des stürzenden Baumes bis zu den Ohren der Saulteux dringen und ihnen den Weg verraten kann, welchen wir genommen haben.«
»Baum fort,« erklärte der Sohn Sumachs bestimmt, »sonst Saulteux bald hinter uns; Squaw schwache Füße, Papuse auch. Wenn Baum fort, müssen Saulteux großen Umweg machen und wissen doch nicht, wo wir hinabgehen, viele Täler führen hinunter. Aber wollen vorher Stein werfen, Stein hier oft von Bergen rollen, erst Stein, dann Baum, denken dann, zwei Steine fallen.«
Es geschah, wie er gesagt hatte.
Ein ansehnlicher Felsblock ward in die Schlucht hinabgestürzt, und Michael und Heinrich, unterstützt von Johnsons riesenhafter Kraft, schoben dann das Ende des schweren Baumes von dem Fels ab, bis er stürzte und donnernd gleich dem Stein die Tiefe suchte.
Dann brachen sie auf.
Die Geschenke, welche Edgar für die Häuptlinge mitgebracht und welche Michael hierhergetragen hatte, wurden in der Höhle gelassen, der Graf hatte nicht die Absicht, sie ihrer Bestimmung zu entziehen, denn die freundliche Weise, mit welcher diese Wilden seine arme Schwester behandelt hatten, forderte seinen Dank heraus. [423]
Sie durchschritten die Höhle, gelangten an den Wald dahinter, wälzten die schweren Steine wieder vor den Ausgang und setzten ihren Weg erst im Walde, dann in engen Felsentälern und tiefen Schluchten fort, bis gegen Abend, wo Athoree in einem kleinen Talkessel, der sich zur Seite ihres Weges öffnete, die Nacht zuzubringen beschloß.
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