Als die Alte, welche man gebunden dort zurückgelassen hatte, Mitteilung von dem Geschehenen machte, war die Wut der Saulteux grenzenlos.
Nicht nur, daß sie die Entdeckung, daß eine weiße Frau bei ihnen gefangen gehalten werde, wegen ihren Folgen fürchteten, denn sie hatten das im verflossenen Jahre dem sie besuchenden Regierungskommissar geleugnet, trotz seiner Drohung, daß ihnen die Provisionen entzogen werden würden, wenn sie die Frau nicht auslieferten, nein, vor allem beklagten sie den Verlust eines Wesens, welches sie wie eine Heilige verehrten und liebten. Deren Anwesenheit in ihrer Mitte ihnen glückbringend deuchte, der diese abergläubischen Naturkinder gerade wegen der Störung ihrer geistigen Funktionen Prophetengabe zuschrieben.
Dies und dann die Anwesenheit eines Huronen in ihrem Dorfe [427] und seine Tätigkeit bei der Entführung ihrer Ni-hi-tha erbitterte sie aufs äußerste.
Da die Flüchtigen den Eskonaba zu gewinnen suchen mußten, machten sich augenblicklich fünfzehn erlesene Krieger auf und ruderten mit großer Schnelligkeit einen unweit einherströmenden Wasserlauf, von dem Athoree in der Tat nicht Kenntnis hatte, hinab zum Eskonaba. Eine andre Schar begann sofort die Verfolgung zu Lande.
Als die Ottawas vor drei Jahren die Ansiedlungen am Manistee überfielen, rettete Luisens Leben und das ihres Kindes nur der so plötzlich ausbrechende Wahnsinn.
Unfähig war ein Indianer, Hand an eine Geisteskranke zu legen, die seiner Anschauung nach unter dem Schutze Manitous stand.
Sie schleppten sie auf ihrer eiligen Flucht mit und verbargen sie. Bei dem harten Strafgericht, welches dann über die Ottawas hereinbrach, den fortwährenden Nachforschungen nach der weißen Frau, welche auch bei jedem amtlichen Verhöre vorgenommen wurden, legten sie der Gefangenen größere Bedeutung bei als sie hatte.
Alle die harten Urteile, welche später gefällt wurden, die Hinrichtung angesehener Häuptlinge und Krieger durch den Strick, schrieben sie wesentlich der Fortführung der geisteskranken Frau zu, von der sie annahmen, daß sie schon vor ihrer Gefangennahme sich in diesem Geisteszustande befunden habe und deshalb besonders geschätzt worden sei.
Da sie sich einmal in ein Lügengewebe verstrickt hatten und noch schlimmere Folgen fürchteten, wenn dieses zerrissen werde, schwuren sie alle bei ihrem großen Geiste, nichts zu verlauten über die gefangene weiße Frau, und da sie einsahen, daß sie deren Anwesenheit auf die Dauer nicht verborgen halten konnten, sandten sie Luise mit ihrem Kinde zu den stammverwandten Saulteux, in deren unwegsamer Heimat sie leichter jeder Nachforschung zu entziehen waren.
Diese fanden an der anmutigen Erscheinung, dem liebenswürdigen Wesen der Gefangenen großes Gefallen, und ihr hilfloser Geisteszustand machte sie ihnen zu einem Gegenstande aufrichtiger Verehrung.
Dieses Wesen, dessen Entweichen sie schmerzlich empfanden und das sie zugleich mit Gefahren bedrohte, ähnlich wie ihre Vettern, die Ottawas, sie fürchteten, Ni-hi-tha, die Schwester, war ihnen plötzlich entrissen und zwar - durch einen Todfeind, einen Wyandot.
Es war nicht zu verwundern, daß die Verfolgung mit einem ungewöhnlichen Maße von Energie ins Werk gesetzt wurde.
Athoree veranlaßte jetzt den Grafen, zu ihm in das Kanoe zu kommen, während Johnson und Michael in das andre stiegen. [428]
Er forderte Johnson auf, das Boot in das Schilf zu treiben und dort ruhig seine Rückkehr zu erwarten, während er mit dem Grafen langsam den schmalen Kanal entlang ruderte.
Dieser machte bald eine Wendung und sie hörten dann, nur durch einen schmalen Schilfsaum von ihnen getrennt, das Rauschen des Eskonaba.
Athoree trieb das Kanoe in das Schilf hinein und beide lauschten schweigend nach dem Fluß hinaus und suchten mit ihren Blicken das Schilf zu durchdringen.
Nicht lange harrten sie, als sie vom Fluß her Stimmen vernahmen.
Wie Athoree Edgar übersetzte, schlug einer der Verfolger vor, diesen Bach zu untersuchen, was ein andrer, wohl der Führer der kleinen Schar, für zeitraubend und unnütz erklärte, da die Verfolgten weiter unten ihnen oder den zu Lande Nachsetzenden in die Hände fallen müßten.
Sie fuhren rasch an der schilfumsäumten Mündung des Baches vorüber. Es waren, wie Athoree berichtete, vier Kanoes mit fünfzehn Kriegern.
Langsam kehrten sie dann zu den andern zurück.
Erwartungsvoll sahen alle zu Athoree auf, der allein im stande war, sie drohender Gefahr zu entreißen.
»Was beginnen wir, Häuptling?«
»Feind auf Wasser, Feind auf Land - sehr schlimm. Müssen durch die Wälder zu Wyandots gehen.«
»Und wenn wir denen, welche uns aus den Felsen nachfolgen, in die Hände laufen?«
»Dann fechten,« sagte kaltblütig der Indianer, »können nichts andres tun.«
»Welche Schwierigkeiten, welche Gefahren,« stöhnte der Graf, »arme Schwester.«
»Wäre es nicht geratener,« meinte Johnson, »hier die Nacht abzuwarten und dann im Dunkel den Eskonaba hinunterzugehen?«
»Du nicht über Stromschnellen fahren, müssen landen. Saulteux an den rauschenden Wassern warten, andre in den Wäldern, besser noch, gehen hier in Wald, als weiter unten.«
»Du hast recht, Athoree, ich dachte nicht an die Stromschnellen. Aber wenn wir das jenseitige Ufer nehmen würden?«
»Drüben Sumpf, müßten hoch an Eskonaba hinauf, ehe guten Pfad finden, Schwester werden krank, Saulteux finden Spur, nehmen Skalp. Drüben nicht entrinnen, Pfad zu krumm.« [429]
»Ich sehe, Herr Graf, es erübrigt nichts, als den Weg durch die Wälder hin nach den Dörfern der Huronen zu nehmen.«
»Ich füge mich eurer überlegenen Erfahrung.«
»Dann gehen zurück.«
Der Graf tauschte mit Johnson und Michael den Platz, und Athorees Boot voran, ruderten sie zurück, den Bach wieder hinauf.
An geeigneter Stelle ließ der Indianer halten, über einige Steine hinweg betraten sie das Land und vertieften sich von neuem in den Wald, in der Richtung nach Osten vordringend.
Bald stieg der Boden an und es zeigten sich Felsformationen.
Sie schritten eine Felsschlucht hinauf, welche von einem rauschenden Bach durchströmt wurde, der an beiden Seiten nur einen schmalen Pfad für den Fuß frei ließ.
Als die Schlucht eine Wendung machte, erblickten sie einen Wasserfall vor sich, der senkrecht in die nicht unbeträchtliche Tiefe hinabstürzte und dort in schäumenden Wellen weiter eilte.
Sie waren an der Felswand so hoch gelangt, daß das Wasser jetzt weit unter ihnen rauschte, während die Höhe des Falles über ihnen lag.
Weiter auf dem schmalen Pfade emporsteigend, gelangten sie über den Fall hinaus und erblickten einen kleinen von Felswänden umgebenen See vor sich.
Zu ihrer Rechten zeigte sich eine dunkle Oeffnung im Felsen, augenscheinlich ein Eingang zu einer der hier so häufigen Aushöhlungen des Gesteins.
Athoree schaute sich um, welchen Weg er weiter zu nehmen habe, und schon schickten sie sich auf seinen Wink an, den Fels emporzuklimmen, als der Knabe rief: »Saulteux! Da!«
Auf dem der Höhle gegenüberliegenden felsigen Ufer stand hoch aufgerichtet vor aller Augen ein Indianer, der rasch verschwand, als Athoree seine Büchse hob. -Edgar erschrak. Was er heimlich gefürchtet, daß die Verfolger sie ereilen würden, war eingetroffen.
»Dort!« Sumachs Sohn wies auf die Felsöffnung, welcher alle rasch zugingen.
Es fand sich, als sie eintraten, daß es eine hinreichend geräumige Höhle war, in welcher sie in ihrer Not Zuflucht suchten. Sie war zu Fuße nur von der Seite zu erreichen, von welcher sie selbst sie betreten hatten, denn wenige Schritte jenseits des Eingangs endete der schmale Pfad und das tiefe, klare Wasser des Sees bespülte dort den Fels. Von hier aus konnte man nur zu Boote oder auf einem Floß dem Eingang der Höhle nahe kommen. [430]
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