Augenblicklichen Schutz gewährte freilich dieser Zufluchtsort, aber was sollte folgen, jetzt, wo sie entdeckt waren?
Den Grafen ergriff eine tiefe Verzweiflung, als er, so nahe dem Ziele, alle seine Hoffnungen vereitelt, die Früchte seiner endlosen Mühen sich entrissen sah. An ein Entrinnen war hier nicht zu denken. Wenige Leute konnten ihnen den einzigen schmalen Pfad verlegen, der hinaus in die Wälder führte. Gefangenschaft oder Tod war ihr Los.
Selbst wenn der Saulteux, welchen sie gesehen hatten, nur ein vereinzelter Späher war, so war anzunehmen, daß er rasch genug Leute um sich zu versammeln vermochte, um alsbald eine nachdrückliche Verfolgung aufnehmen zu können, wenn sie es wagten, eine Flucht fortzusetzen, welche durch die Frau und das Kind in ihrer Mitte wesentlich in der gebotenen Eile gehindert wurde. Der Graf sah ein, daß nichts andres geschehen konnte, als den Zufluchtsort, den ihnen das Schicksal bot, anzunehmen.
Die Lage war trostloser als je.
Von den Verfolgern war nichts zu bemerken, aber sie kannten indianische Art hinreichend, um zu wissen, daß diese eifrige Vorbereitungen trafen, sich ihrer zu bemächtigen.
Eine schmale, dunkle Rauchsäule, welche sich über den Felsen jenseits erhob, durfte als ein Zeichen gedeutet werden, welches die Saulteux unter sich auswechselten und wohl dazu bestimmt war, die zerstreuten Krieger zu sammeln.
In einer Ecke der Höhle hatte sich Luise niedergelassen und liebkoste mit einem vor innerer Freude strahlenden Antlitz ihren Sohn.
Dem Grafen wurden die Augen feucht, als er auf dieses lieblich-trauliche Bild schaute, und ein nie gefühlter Jammer faßte ihn an.
Das war das Ende? Nach langem Suchen hat er die Schwester gefunden, sie in so herzzerreißendem Zustande gefunden, sie kühn der Gewalt der Wilden entrissen -und - jetzt?
Der Knabe dort, diese junge, unter Wilden aufgewachsene Menschenblüte? Was wurde aus ihm?
Draußen lauerte der heulende Wilde, der kein Erbarmen kannte.
Todessehnsucht bemächtigte sich des jungen, heldenhaften Mannes in dieser hoffnungslosen Lage und der Gedanke stieg in seiner Seele auf: Es sei besser, alle Qual und alle Not rasch dadurch zu enden, daß er mit seinen Lieben freiwillig in den Tod ging.
Der letzte Verzweiflungskampf im Fort Jackson war nicht ohne Nachwirkung auf seine Seele geblieben.
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Johnson war wie immer still in sein Schicksal ergeben, obgleich er, seit ihm der Mörder vom Kalamazoo bekannt geworden war, eine düstere Stimmung zeigte und sein Antlitz oftmals einer finsteren Wolke glich, welche Verderben in ihrem Schoße birgt.
Athoree, dessen bronzene Gesichtszüge nichts von seinen Gedanken verrieten, stand ruhig in der Nähe des Eingangs und lauschte. Heinrichs Auge ruhte besorgt auf dem Angesicht seines Herrn und nur Michael schien seine gewöhnliche weichherzige Stimmung nicht verloren zu haben.
Er unterbrach auch zuerst das Schweigen mit der Frage: »Werden wir wieder eine Schlacht gegen diese wilden Menschen liefern müssen, Euer Gnaden?«
Der Graf richtete den gesenkten Kopf empor und sagte: »Ich fürchte, es wird nötig sein, Michael.«
»Nun,« meinte gelassen der Ire, »hat meiner Mutter Sohn sich jetzt so oft mit dem Gesindel herumgeschlagen, so soll es mir jetzt auch nicht darauf ankommen. Werden ihnen schon heimleuchten, Euer Gnaden, und die Lady wieder zu Christenmenschen bringen.«
»Mögest du ein guter Prophet sein.«
Obgleich der Eingang der so glücklich und zur rechten Zeit sich darbietenden Höhle von feindlichen Kugeln bestrichen, ja von den Felsen gegenüber auch in deren Inneres gefeuert werden konnte, waren die Insassen derselben doch vor den feindlichen Geschossen geschützt, solange sie sich vom Eingang fern hielten, wenn ihnen auch von den Innenwänden zurückprallende Kugeln Gefahr bringen konnten.
Heinrich machte den Grafen darauf aufmerksam und Luise wurde mit ihrem Kinde an eine Stelle der Höhle geführt, welche auch rikoschettierende Kugeln kaum erreichen konnten.
Da einzelne größere, von den Felswänden abgebröckelte Steine in dem Raume umherlagen, machte er sich mit Johnson daran, einige derselben in den Eingang zu wälzen, so daß wenigstens ein Schütze dahinter liegen konnte.
In dieser Tätigkeit störte sie eine Stimme, welche, wie es schien, aus ziemlicher Nähe erklang. Hoch horchten alle auf.
»Hört mich der weiße Mann reden?« ließ sich die Stimme in englischer Sprache vernehmen. »Der Häuptling der Saulteux spricht mit ihm.«
Edgar trat nahe an den Eingang und antwortete: »Ich höre dich.«
»Der weiße Mann hat den Liebling der Saulteux mit sich genommen, meine Tochter Ni-hi-tha, er wird sie uns zurückgeben und dann in Frieden seines Weges gehen.«
»Nein, Häuptling, das kann nimmer geschehen. Deine Ni-hi-tha ist meine Schwester, sie gehört zu mir, zu ihrem Vater und zu ihrem Volke, sie wird mit mir gehen. Ich habe Geschenke für dich mitgebracht und sie liegen in der Höhle, in der Nähe deines Dorfes. Nimm sie, und ist es nicht genug, will ich dir noch mehr geben, so viel, bis du zufrieden bist, aber laß mir die Schwester, die ich so lange vergebens gesucht habe.«
»Der weiße Mann mag seine Geschenke behalten, Ni-hi-tha muß wieder zu uns zurückkehren.«
»Nimmermehr.«
»Wie will der weiße Mann sie davonführen? Er hat nur einen schmalen Pfad, um darauf zu gehen, und den bewachen meine Krieger. Niemand kann die Höhle verlassen, ohne unter den Kugeln meiner jungen Leute zu fallen.«
»Ich habe nur genommen, was mein ist, Indianer. Ich wünsche in Frieden von dir und deinem Volke zu scheiden, und will euch reich belohnen für die Güte, mit welcher ihr meine arme Schwester behandelt habt. Zu euch zurückkehren kann sie nicht, eher sterbe ich mit ihr gemeinsam in den Fluten dieses Sees.«
Aus dem Ton, in dem er diese letzten Worte sagte, klang die ganze Verzweiflung, aber auch die ganze Entschlossenheit seiner Seele.
Es erfolgte nicht gleich eine Antwort hierauf. Dann aber ließ sich dieselbe Stimme wieder vernehmen: »Hört mich Ni-hi-tha, meine Tochter?«
»Ja, Häuptling,« erwiderte diese freundlich und trat ebenfalls zum Eingang, »Ni-hi-tha hört dich.«
»Will das Kind nicht zu seinem Vater kommen?« Es war der bejahrte erste Häuptling der Saulteux, welcher sprach, derselbe, der zuerst die Flucht entdeckt hatte. »Ni-hi-tha weiß, daß die Saulteux sie lieben. Sie haben ihr immer das Beste gegeben, was sie hatten, und wenn im Winter der Hunger in den Wigwams herrschte, war ihre Hütte voll Wildbret.«
»Du bist ein guter Mann, Tugensik.«
»Warum will die Tochter der Saulteux nicht zu ihnen zurückkehren? Warum ist sie überhaupt von ihnen gegangen?«
»Ich mußte gehen, Häuptling, denn mein Mann wünscht es, er ließ mich rufen, und ich bin auf dem Wege zu ihm. Ich kann nicht zu dir kommen, denn Walther erwartet mich.« [433]
Wiederum herrschte draußen Schweigen, dann sagte dieselbe Stimme: »Und will der kleine Wila nicht zu seinen roten Freunden kommen, sie lieben ihn alle, denn er hat das Herz eines Saulteux.«
»Nein, Häuptling,« antwortete des Knaben helle Kinderstimme im Indianerdialekt, »Wila will zu den Leuten seines Stammes gehen, er hat das Herz eines Deutschen und nicht das eines Saulteux.«
Nach einer Weile sprach der Häuptling: »Tugensik ist traurig, denn Ni-hi-tha will zu ihrem Volke wandeln, sie liebt es mehr als die Saulteux. Sie hat eine Schnur an ihrem Herzen befestigt und diese verbindet sie mit den Leuten ihrer Farbe. Kummer wird einziehen in die Dörfer meines Stammes, wenn Ni-hi-tha scheidet - aber die Saulteux werden sie nicht gegen ihren Willen halten. Ni-hi-tha - mag gehen mit den Bleichgesichtern. Allein sie hat einen diebischen Huronen bei sich, der sich wie ein elendes, schleichendes Wiesel bei Nacht in unser Wigwam stahl, dieser muß hier bleiben.«
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