Athoree hatte bisher finster und ernst der Unterredung gelauscht. So sehr er sich zu bemeistern verstand, war sein Naturell doch den wild leidenschaftlichen Ausbrüchen des indianischen Temperaments unterworfen, und da in ihrer gegenwärtigen Lage nichts mehr zu erhoffen war, er vor allem von seiten der Verfolger kein Erbarmen zu erwarten hatte, fürchtete er auch nichts mehr.
Auf die Hohnrede des Häuptlings entgegnete er in zorniger Aufwallung: »Ich höre einen Hund winseln, der angstvoll den Schwanz zwischen die Beine klemmt, wenn er die Stimme eines Wyandot vernimmt. Ich will den Hund sehen.«
Mit einem Satze war er vor der Höhle, den gellenden Kriegsruf seines Stammes ausstoßend, und feuerte seine Büchse nach links hin ab, wo er den Redenden vermutete und wo dieser auch wirklich sich befand. Aber der schlaue Saulteux stand gedeckt und die Kugel Athorees erreichte ihn nicht.
Ebenso rasch, als er hinausgestürzt war, sprang er zurück, sofort eifrig ladend.
Ein furchtbares Wutgeschrei, begleitet von Schüssen, erfüllte draußen die Luft.
Das gellende Heho! der Indianer wurde mit zehnfacher Wucht von den den See einfassenden Felswänden zurückgeworfen und hallte so in der Höhle wider. Es war ein greulicher Ausbruch tierischer Wildheit, welche sich in diesem Heulen, das nichts Menschenähnliches mehr hatte, geltend machte und die Ohren der Hörer betäubte.
Luise bot bei diesen Lauten ein Bild des furchtbarsten [434]
Entsetzens. Aufgerichtet, den Kopf vorgebeugt, die Augen weit geöffnet, bleich wie eine Tote stand sie da: »Walther! Walther!« klang es in Tönen aus ihrem Munde, welche nur die Todesangst der menschlichen Brust erpreßt. »Walther! Sie töten dich! Der Wilde! Blut! Ha - Blut - Walther -« und sie schlug in krampfhaften Zuckungen hart auf den Boden nieder.
Draußen ließen sich rasche Schritte leichter Füße vernehmen und die Feinde erschienen in ungestümem Andrang im Eingange der Höhle, mit wilder Gebärde und noch wilderem Geschrei ihre Tomahawks schwingend. Aus Rücksicht auf das Leben Luisens war ihnen die Anwendung der Schußwaffe untersagt worden.
Athoree hatte nicht geladen, der Graf sich zu seiner Schwester niedergebeugt, Michael und Heinrich standen überrascht da; schon waren die Feinde in der Höhle, als Johnson, der sich dem Eingange zunächst befand, mit der Riesenkraft, die ihm eigen war und welche der ausbrechende Kampfeszorn wohl verdoppelte, den vordersten der Eindringlinge ergriff, wie einen Säugling emporhob und mit so gewaltiger Wucht auf die andern schleuderte, daß diese sämtlich zurückgeworfen wurden. Sie stürzten mit einem solch unwiderstehlichen Anprall rückwärts auf die, welche ihnen nachdringen wollten, daß zwei davon bis in den See taumelten, die andern am Boden lagen. Von neuem faßten die ehernen Hände des gereizten Mannes zu, und zwei Feinde, die er emporriß, flogen ungestüm zur Höhle hinaus. Ein Tritt fegte den letzten hinweg, der weit ins Wasser hineinflog. Die draußen am Boden Liegenden waren mit erstaunlicher Schnelligkeit zurückgekrochen.
Der ebenso überraschend als mit wildem kriegerischem Feuer ausgeführte Angriff war abgeschlagen worden.
Tiefes Schweigen herrschte nach dem grimmen Kampfeslärm.
Edgar und der Knabe waren angstvoll um Schwester und Mutter beschäftigt, welche immer noch in Zuckungen am Boden lag.
Endlich richtete sie sich auf und schaute mit starren Blicken um sich. Dann verbarg sie schaudernd das Antlitz in den Händen und sank wieder zurück.
Der Graf ließ sich neben ihr nieder und legte ihren Kopf an seine Brust.
Es war ganz still in der Höhle und alle Blicke waren auf die unglückliche Frau gerichtet, nur der Indianer stand nach außen hin lauschend da.
So vergingen angstvolle Minuten. [435]
Eine Stimme draußen, welche wie aus der Höhe herab klang, unterbrach plötzlich das Schweigen.
Athoree zuckte zusammen bei den Lauten, er hörte die Sprache der Huronen.
»Die Saulteux,« so drang es zu seinen Ohren, »haben wiederum die Grenze der Wyandots überschritten. Wir haben einmal ihren Angriff abgewiesen und sind von neuem bereit, sie hinwegzujagen von unserm Boden, wenn sie nicht sofort freiwillig gehen. Hier stehen fünfzig meiner jungen Männer, bereit ihre Skalpe zu nehmen. Sie hingen schon an unsern Gürteln, wenn der große Vater in Washington es nicht verboten hätte, das Schlachtbeil auszugraben. Wir gehorchen ihm. Geht.«
Keine Antwort erfolgte, still blieb es draußen.
Endlich, nach einem langen angstvollen Schweigen, ließ sich dieselbe Stimme in englischer Sprache vernehmen: »Die Saulteux sind fort, ein Freund spricht zu den Bleichgesichtern, der Häuptling der Wyandots. Ist er willkommen?«
Athoree stand in sich gekehrt da, der Graf hielt seine Schwester im Arm, so trat Johnson hinaus, um der Frage zu antworten.
Auf dem schmalen Pfade, welcher zur Höhle fühlte, stand der alte Huronenhäupt-ling, den sie bereits gesehen hatten, hinter ihm und auf den Felsen ringsum eine starke Schar seiner Krieger. In trotzigem, finsterem Schweigen zog drüben die kleine Zahl der Saulteux ab.
»Der Huronenhäuptling ist uns willkommen, er brachte Rettung aus großer Gefahr,« begrüßte ihn Johnson.
Der Alte trat an ihm vorübergehend in die Höhle, warf einen raschen Blick auf die darin Befindlichen, ließ ihn auf Athoree haften, der mit niedergeschlagenen Blicken dort stand, zog langsam sein Messer aus der Scheide, trat dicht zu ihm, richtete die Waffe nach dessen Brust - der Sohn Sumachs atmete schwer, aber stand bewegungslos da - und fragte: »Will der Enkel Meschepesches das Messer des Häuptlings seines Volkes im Herzen fühlen, oder will er sich morgen vor dem Rat der Alten einfinden, sein Urteil zu empfangen?«
Der alte Mann sprach mit einem würdigen Ernste, dem es nicht an Feierlichkeit gebrach.
Athoree richtete die dunklen Augen auf ihn und sagte langsam: »Der Enkel Me-schepesches wird morgen vor den Häuptlingen seiner Nation stehen.«
»Es ist gut.« Und Hayesta steckte das Messer wieder in die
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Scheide, wandte sich von ihm weg und zu Edgar, welcher das Haupt der Schwester in den Schoß ihres weinenden Kindes gelehnt und sich erhoben hatte.
Im Eingang standen Huronenkrieger, aber keiner nahm Notiz von Athoree, dieser begegnete nur ernsten Blicken.
Der Häuptling streckte Edgar mit freundlichen Blicken die Hand entgegen. »Du fochtest für die Wyandots, als der Saulteux sie angriff; wir helfen dir, da diese Hunde deinen Skalp begehren. Das gut.« »Du kamst zur rechten Stunde.«
»Mein Auge sah, wie die jungen Männer der Saulteux zu Boden fielen; wer besitzt die Stärke des zur Wut gereizten Bären?« Der Graf stellte ihm Johnson vor.
Staunend blickten Hayesta und seine Leute die seltsame Gestalt des weißhaarigen Mannes an.
»Mein Bruder ficht gewaltig wie der braune Herr der Wälder, ich bewundere ihn.« »Ich danke Gott, Indianer, daß er mir die Körperkräfte verliehen hat, die hier erforderlich waren, um Gefahr abzuwenden,« erwiderte Johnson, der nach dem rasch verloderten Kampfeszorn ruhig wie immer dastand.
Das Auge des Huronen richtete sich auf die bewußtlose Luise. »Die Squaw ist krank. Ist sie verwundet?«
»Nein, nicht verwundet, der Schrecken stürzte sie in Krämpfe danieder, und ich fürchte, ihr Geist ist jetzt völlig umnachtet.«
Der Indianer hörte mit ehrfurchtsvollem Staunen von dem Geisteszustande Luisens.
»Der Häuptling der Bleichgesichter wird mich begleiten zu den Wigwams der Hu-ronen, er ist willkommen.«
»Gern nehme ich deine Gastfreundschaft auf einige Tage an; doch wie gelangt meine Schwester in diesem Zustande dorthin.« »Wir werden sie tragen, sanft, wie das Kind am Herzen der Mutter ruht.« Er rief seinen Leuten einige Worte zu, die dann ebenso schnell als geschickt aus Aesten und ineinander geflochtenen Zweigen eine Tragbahre herstellten.
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