Der Jüngling nahm das Blatt, und der erste Blick sagte ihm, daß es das Testament des Richters sey. Trotz seiner Aufregung entgieng es ihm doch nicht, daß das Datum genau mit der Zeit zusammentraf, da er an Marmaduke jene ungewöhnliche Gemüthsbeschwerung wahrgenommen hatte. Während des Lesens begannen seine Augen feucht zu werden, und die Hand, welche das Document hielt, zitterte heftig.
Das Testament begann mit den gewöhnlichen Förmichkeiten, die durch den Scharfsinn des Herrn Van der School noch weitläufig ausgesponnen waren; nach der Einleitung ließ sich jedoch Marmaduke's Styl nicht verkennen. Er berichtete in klarer, bestimmter, männlicher und sogar beredter Sprache seine Verbindlichkeiten gegen den Obersten Effingham, die Natur ihrer Verbindung und die Umstände, durch welche sie getrennt worden. Er ging sodann auf die Gründe seines langen Schweigens über, ohne dabei der großen Summen zu vergessen, die er seinem Freunde zugeschickt, aber in den uneröffneten Briefen wieder zurück erhalten hatte. Ferner sprach er von seinen Bemühungen, den Großvater, der auf eine räthselhafte Weise verschwunden, aufzusuchen, und von seinen Besorgnissen, der nächste Erbe der ihm anvertrauten Güter möchte mit seinem Vater in den Wellen des Oceans umgekommen seyn.
Nach einer kurzen, deutlichen Nebeneinanderstellung der Ereignisse, deren Zusammenhang der Leser jetzt herausfinden wird, waren die Summen aufgeführt, welche Obrist Effingham seinem Freunde anvertraut hatte. Dann kam eine Theilung von Marmaduke's ganzem Besitzthum in zwei gleiche Hälften, deren Vollzug an bestimmte verantwortliche Curatoren verwiesen war. Vermöge derselben sollte der eine Theil an seine Tochter, der andere an Oliver Effingham, früher Major in der brittischen Armee, seinen Sohn Eduard Effingham und den Sohn dieses Letzteren oder deren Nachkommen fallen. Dieses Testament sollte bis 1810 in Kraft bleiben: wenn in dieser Frist Niemand erschien oder, nach hinreichender Veröffentlichung, aufgefunden werden könnte, um genannte Hälfte in rechtmäßigen Anspruch zu nehmen, so sollte eine gewisse Summe im Betrag der Capital- und Zinsenschuld an den gesetzlichen Erben der Effingham'schen Familie ausbezahlt werden, und die Gesammtmasse des Grundbesitzes seiner Tochter oder ihren Erben verbleiben.
Thränen entfielen den Augen des jungen Mannes, während er dieses unzweifelhafte Zeugniß von Marmaduke's Redlichkeit las, und sein wirrer Blick haftete noch immer auf dem Papiere, als eine Stimme, bei deren Tönen ihm jeder Nerv bebte, in seiner Nähe sprach:
„Zweiseln Sie noch immer an uns, Oliver?“
„An Ihnen habe ich nie gezweifelt,“ rief der Jüngling, indem er sich aufraffte und auf Elisabeth zueilte, um ihre Hand zu ergreifen. „Nein, mein Glaube an Sie hat keinen Augenblick gewankt.“
„Und mein Vater — —“
„Gottes Segen über ihn!“
„Ich danke Dir, mein Sohn,“ versetzte der Richter, indem er den warmen Händedruck des Jünglimgs erwiederte. „Wir waren jedoch beide auf einem Irrwege; Du bist zu hastig gewesen und ich war zu langsam. Die eine Hälfte meines Besitzthums ist Dein Eigenthum, sobald es auf Dich übertragen werden kann, und wenn mich meine Ahnungen nicht trügen, so vermuthe ich, daß ihr die andere wohl auch bald folgen wird.“
Er nahm die Hand, welche er noch immer festhielt, und vereinigte sie mit der seiner Tochter, worauf er dem Major nach der Thüre winkte.
„Ich will Dir was sagen, Mädel!“ sprach jetzt der alte Deutsche gut gelaunt. „Wenn ich noch wäre, was ich war, als ich mit seinem Großvater an den Seen Dienst leistete, so sollte mir der träge Hund da den Preis nicht so mir nichts dir nichts vor der Nase wegschnappen.“
„Komm, komm alter Fritz,“ sagte der Richter; „Du bist siebenzig, nicht siebzehn. Richard hat für uns in der Halle eine Bowle Eierpunsch parat.“
„Richard? Ei, der Teufel?“ rief der Andere, aus dem Zimmer eilend; „der macht seinen Punsch für die Pferde. Ich muß es dem Sheriff eigenhändig zeigen. Zum Teufel, er wäre im Stande, ihn mit Yankeesyrup zu zuckern!“
„Marmaduke lächelte, nickte dem jungen Paare freundlich zu und schloß die Thüre hinter sich; wenn indeß der geneigte Leser glaubt, daß wir, ihm zu Gefallen, sie wieder öffnen werden, so ist er im Irrthume.
Das tête-à-tête währte eine geraume Zeit; wie lange? können wir nicht sagen, denn es ist uns nur bekannt, daß es um sechs Uhr Abends durch die Ankunft Monsieur Le Quoi's unterbrochen wurde, welcher, der Uebereinkunft des vorangehenden Tages zu Folge, sich bei Miß Temple eine Audienz erbat. Er wurde vorgelassen, und trug sofort der Dame in den zierlichsten Ausdrücken die Hand an, wobei er es nicht unterließ, auf seine einflußreichen amis , seinen père , seine mère und seine Sucre-plantage aufmerksam zu machen. Elisabeth mußte wohl bereits irgend eine bindende Verpflichtung gegen Oliver eingegangen haben, denn sie lehnte das zarte Anerbieten zwar in höflichen, aber doch vielleicht in entschiedeneren Ausdrücken ab, als es gestellt worden war.
Der Franzose begab sich nun zu dem Deutschen und dem Sheriff in die Halle, wo er eingeladen wurde, an dem Tische Platz zu nehmen, und mit Beihilfe des Weins und Eierpunsches hatte man dem gefälligen Monsieur Le Quoi den Zweck seines Besuches bald entlockt. Es war augenscheinlich, daß er seinen Antrag nur als ein Compliment betrachtet hatte, welches ein Mann von Erziehung einer Dame an einem so abgelegenen Orte vor seiner Abreise gleichsam schuldig war, und daß seine Gefühle nur wenig oder gar nicht dabei in's Spiel kamen. Nach etlichen Libationen überredete das neckische Paar den heitern Franzosen, daß es eine nicht zu entschuldigende Parteilichkeit wäre, wenn er diese Höflichkeit nur der einen Dame erwiese und sie nicht auch auf die andere ausdehnte, weßhalb Monsieur Le Quoi sich auch um neun Uhr nach der Rectorei verfügte, um Miß Grant ein ähnliches Anerbieten zu machen, welches jedoch keinen besseren Erfolg als das erste hatte.
Als er um zehn Uhr nach dem Herrenhause zurückkehrte, saßen der Major und Richard noch immer an dem Tische. Sie suchten nun den Gallier, wie ihn der Sheriff nannte, zu bewegen, daß er den Versuch bei Remarkable Pettibone machen solle. Aber trotz der Weinlaune des also Bedrängten waren doch die zwei Stunden, welche die losen Vögel auf ihre Demonstrationen verwandten, verlorene Zeit, denn er lehnte ihren Rath mit einer Hartnäckigkeit ab, die für einen so höflichen Mann warhaft erstaunlich war. Als Benjamin Monsieur Le Quoi nach der Thüre leuchtete, sagte er beim Scheiden —
„ Mon schür, wenn Sie neben Mistreß Prettibones beigelegt hätten, wie Squire Dickens zu bereden suchte, so müßte Sie, nch meiner Ansicht, der Teufel geritten haben, denn sehen Sie, Sie würden Mühe gehabt haben, wieder klar von ihr abzukommen. Freilich Miß 'Lizzy, und ddes Pfarrers Töchterlein sind ein paar zierliche Schifflein, die man wohl im Winde neben sich her laufen lassen kann, aber Mistreß Remarkable hat so etwas von einer Galeere an sich; wenn Sie diese einmal ins Schlepptau nehmen, so wird sie sich nicht so leicht wieder abschütteln lassen.“
Einundvierzigstes Kapitel.
Ja, weiter denn! — Wir wollen nicht
Ob Froher den, dem's Herze bricht,
Verlassen. Jene Flotte
Ist lustig toll, Gelächter voll —
Doch bei dem Nachen hier
Verweilt des Sängers Lied.
Der Herr der Inseln.
Der Gang unserer Erzählung hat uns durch den Sommer geführt, und nachdem wir beinahe den Kreislauf eines Jahres durchgemacht haben, müssen wir unsern Bericht in dem herrlichen Monat October schließen. Manche wichtige Ereignisse haben sich jedoch in der Zwischenzeit zugetragen, von denen wir einige nicht übergehen dürfen.
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