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Jules Verne: Die Familie ohne Namen

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Jules Verne Die Familie ohne Namen

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1825 wird eine franko-kanadische Verschwörung gegen die englische Regierung in Kanada verraten. Aber der Verräter verzweifelt an seiner Schuld und erschießt sich. Nun setzt die Familie alles daran, dieses Verbrechen zu sühnen, bis ihr guter Name wieder hergestellt ist. In spannenden Episoden schildert uns Verne das Schicksal der beiden Söhne des Verräters, die für ein freies Kanada kämpfen -bis zum bitteren Ende. Ein Abenteuerroman vor historischem Hintergrund, bei dem auch die kanadischen Indianer eine wichtige Rolle spielen.

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In dieser Weise zu sprechen, lag ja ganz in der Rolle des Oberbefehlshabers der englischen Streitkräfte in Canada. Wenn Sir John Colborne der Mann dazu war, eine Empörung mit eiserner Strenge zu unterdrücken, so hätte es doch seinem soldatischen Geiste widersprochen, sich auf geheime Ueberwachungen einzulassen, welche das besondere Gebiet der Polizei sind. Es folgt daraus, daß es schon seit mehreren Monaten ausschließlich den Beamten Gilbert Argall's zufiel, ohne Aufsehen die geheime Thätigkeit der franco-canadischen Partei zu überwachen.

Die Städte, die Kirchspiele des St. Lorenzothales und vor Allem diejenigen der Grafschaften Vercheres, Chambly, Laprairie, Acadien, Terrebonne und Deux Montagnes wurden unaufhörlich von zahlreichen Geheimpolizisten des Ministeriums durchstreift.

In Montreal machte es sich wegen Mangels der constitutionellen Vereinigungen, deren Auflösung der Oberst Gore bedauerte, der Doric-Club - seine Mitglieder zählten zu den waschechtesten Loyalisten - zur besonderen Aufgabe, die Aufständischen auf jede mögliche Weise zu beschränken und zu unterdrücken. Lord Gosford mußte auch wirklich fürchten, daß es in jeder Stunde des Tages oder der Nacht zu einem Ausbruche kommen könnte.

Es erscheint begreiflich, daß die Umgebung des GeneralGouverneurs diesen trotz seiner versöhnlichen Neigungen drängte, die Bureaukraten - so nannte man die Anhänger der Autorität der Krone - zu unterstützen gegen die Parteigänger der nationalen Sache. Uebrigens war Sir John Colborne kein Freund von halben Maßregeln, wie er das später bewies, als er Lord Gosford in der Verwaltung der Colonie folgte. Was den Oberst Gore, einen alten, bei Waterloo decorirten Soldaten anging, so verlangte dieser militärische Maßregeln, und zwar ohne Aufschub.

Am 7. Mai des laufenden Jahres hatte eine Versammlung zu St. Ques, einem kleinen Flecken in der Grafschaft Richelieu, die Führer der Reformer vereinigt. Hier berieth man die Beschlüsse, welche das politische Programm der franco-canadischen Opposition bilden sollten.

Unter Anderem verdient davon der folgende Satz hervorgehoben zu werden:

»Canada muß sich wie Irland um einen Mann schaaren, der ebenso von Haß gegen jede Unterdrückung, wie von Liebe zu seinem Vaterlande erfüllt ist, und den nichts, weder Versprechungen noch Drohungen, jemals in seinen Entschlüssen schwankend machen kann.«

Dieser Mann war kein anderer als der Abgeordnete Papineau, dem die öffentliche Meinung mit Recht den Titel eines O'Connell beilegte.

Gleichzeitig beschloß die Versammlung, sich »so viel wie möglich von der Benützung eingeführter Waaren fern zu halten und nur Erzeugnisse des eigenen Landes zu gebrauchen, um der Regierung die Einkünfte aus den, auf die fremden Waaren gelegten Eingangszöllen zu entziehen.«

Auf diese Erklärung mußte Lord Gosford am 15. Juli durch eine Proclamation antworten, welche jede aufreizende Vereinigung verbot und den Behörden und Officiellen der Miliz den Befehl ertheilte, dieselbe unverzüglich aufzulösen.

Die Polizei arbeitete nun mit einem Eifer, der sich kaum zügeln ließ; sie verwendete ihre geriebensten Agenten und schreckte sogar nicht davor zurück, Verräthereien - wie das schon vorgekommen war - durch die Lockspeise beträchtlicher Geldsummen zu provociren.

Doch wenn Papineau der Mann war, der offen hervortrat, so gab es noch einen anderen, der im Dunkeln und so geheimnißvoll wirkte, daß selbst die bedeutendsten Reformer ihn nur bei den seltensten Gelegenheiten von Auge zu Auge kennen gelernt hatten. Um diese Persönlichkeit hatte sich schon eine wirkliche Legende gewoben, die dem Manne einen ganz außergewöhnlichen Erfolg auf den Geist der Massen sicherte: Johann ohne Namen - man kannte ihn eben nur unter dieser räthselhaften Bezeichnung. Es konnte also nicht Wunder nehmen, daß auch von ihm in dem Gespräche des GeneralGouverneurs und seiner Gäste die Rede war.

»Und von diesem Johann ohne Namen, fragte Sir John Colborne.. hat man seine Spuren aufgefunden?

- Noch nicht, erwiderte der Polizeiminister; ich habe jedoch alle Ursache zu glauben, daß er in den Grafschaften von Unter-Canada aufgetaucht und neuerdings selbst nach Quebec gekommen ist.

- Wie, und Ihre Leute haben ihn nicht anhalten können? rief Oberst Gore.

- Das ist nicht so leicht, Herr General.

- Besitzt dieser Mann denn wirklich den Einfluß, den man ihm zuschreibt? warf Lord Gosford ein.

- Gewiß, versicherte der Minister, und ich kann Eurer Herrlichkeit nur sagen, daß dieser Einfluß ein sehr großer ist.

- Wer ist überhaupt dieser Mann?

- Darüber hat man eben niemals klar werden können, sagte Sir John Colborne, nicht wahr, lieber Argall?

- Gewiß, Herr General. Man weiß nicht, wer diese Persönlichkeit ist, woher er kommt oder wohin er geht. So hat er, fast unsichtbar, bei den letzten Aufständen die Hand im Spiele gehabt. Es ist auch gar nicht zweifelhaft, daß Leute wie Papineau, Viger, Lacoste, Vaudreuil, Farran, Gramont, überhaupt alle Führer, im gegebenen Augenblicke auf sein Eingreifen rechnen. Dieser Johann ohne Namen ist schon mehr zum übernatürlichen Wesen geworden, vorzüglich in den Landschaften des St. Lorenzo stromaufwärts von Montreal, wie stromabwärts von Quebec. Kann man der Legende Glauben schenken, so hat er völlig das Zeug dazu, um Stadt und Land mit sich fortzureißen: eine außergewöhnliche Kühnheit, einen beispiellosen Muth. Dazu kommt, wie schon erwähnt, das Geheimniß, der Reiz des Unbekannten.

- Sie meinen also, daß er in letzter Zeit einmal nach Quebec gekommen sei? fragte Lord Gosford.

- Die amtlichen Berichte der Polizei lassen das wenigstens vermuthen, antwortete Gilbert Argall. Ich habe übrigens auch einen Mann, und zwar einen der tüchtigsten und feinsten, aufgeboten, jenen Rip, der in der Geschichte mit Simon Morgaz so viel Intelligenz entwickelt hatte.

- Simon Morgaz, wiederholte Sir John Colborne, derselbe, der 1825 zu so gelegener Zeit um Geld seine Genossen der Verschwörung von Chambly verrathen hatte?..

- Derselbe.

- Und weiß man, wo dieser ist?

- Man weiß nur das Eine, erklärte Gilbert Argall, daß er, von allen Genossen seiner Race, von den durch ihn verrathenen französischen Canadiern in die Acht erklärt, völlig verschwunden ist. Vielleicht hat er die Neue Welt ganz verlassen; vielleicht ist er todt.

- Nun, könnte man das Mittel, das sich bei Simon Morgaz wirksam erwies, fragte Sir John Colborne, nicht auch bei einem der Führer jener Reformer in Anwendung bringen?

- Rechnen Sie darauf nicht, General, antwortete Lord Gosford. Solche Patrioten - diese Anerkennung kann ihnen Niemand versagen - sind über jede Bestechung erhaben. Daß sie sich als Feinde der englischen Macht hinstellen und für Canada dieselbe Unabhängigkeit erträumen, welche die Vereinigten Staaten sich England abgerungen, ist leider nur zu wahr; dabei aber zu hoffen, daß man sie erkaufen, sie durch Zusicherungen von Gold oder Ehren bestimmen könnte, einen Verrath zu begehen - niemals. Ich habe die feste Ueberzeugung, daß Sie keinen Verräther unter ihnen finden werden!

- Dasselbe sagte man von Simon Morgaz, warf dagegen Sir John Colborne ironisch ein, und er hat seine Genossen dennoch ausgeliefert. Und gerade dieser Johann Namenlos, von dem Sie sprechen, wer weiß, ob dieser nicht käuflich ist.

- Ich glaub' es nicht, erwiderte lebhaft der Polizeiminister.

- Jedenfalls, fügte Oberst Gore hinzu, ist, ob es sich nun darum handelt, ihn zu kaufen oder ihn zu henken, die erste Bedingung, daß man ihn auch hat, und da seine Anwesenheit in Quebec gemeldet worden ist.«

In diesem Augenblick erschien an einer der Biegungen der Allee des Gartens ein Mann, der auf zehn Schritte Entfernung stehen blieb.

Der Minister erkannte einen Geheimpolizisten oder vielmehr den »Unternehmer der Polizei«, eine Bezeichnung, die er in jeder Hinsicht verdiente.

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