Wolfgang Hohlbein
Indiana Jones und die Gefiederte Schlange
8. Juni 1929 Piedras Negras/Yucatan
Vom Himmel regnete es noch immer Feuer. Das letzte schwere Beben war jetzt fünf Minuten her, aber die Erde hatte noch lange danach gezittert und gegrollt. Und der Wald stand in hellen Flammen — nicht nur unten am Fuße des Vulkans, wo ihn der Strom aus weißglühender Lava getroffen hatte, sondern der ganze Wald, soweit er blicken konnte. Die Luft roch nach Schwefel und brennendem Stein und war so heiß, daß jeder Atemzug zur Qual wurde. Hier und da schwelte der Boden, und selbst hier unten, über zwei Meilen vom feuerspeienden Herz des Vulkans entfernt, schimmerte es da und dort rot durch die Erde; ein Netz dünner, gezackter Risse durchzog den Boden, und manchmal traf ihn ein Hauch so kochendheißer, ätzender Luft, daß Indiana vor Schmerz aufstöhnte.
Er war nicht sicher, ob er es schaffen würde. Direkt vor ihm, vielleicht noch eine oder anderthalb Meilen entfernt, ragte ein steiler Hügel aus dem Wald; eine gezackte Kuppe aus schwarzer, glasartig erstarrter Lava, auf der keine Pflanzen hatten Fuß fassen können und wo es somit auch nichts gab, was brennen konnte. Aber diese eineinhalb Meilen konnten genau eineinhalb Meilen zuviel sein.
Aus der Flanke des Vulkankegels lösten sich immer wieder große und kleine Felstrümmer, die wie tödliche Wurfgeschosse eines zornigen Mayagottes auf sie herabflogen; der Boden zitterte und bebte so stark, daß Indiana manchmal Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten; er bekam kaum noch Luft und glaubte, ersticken zu müssen; und immer wieder explodierten rings um ihn herum kleine, brüllende Geysire aus kochendem Stein und erstickenden, glühendheißen Dämpfen.
Und Swanson war schwer.
In den ersten Minuten hatte Indiana sein Gewicht kaum gespürt, denn er war in schierer Todesangst losgerannt, und allein der Gedanke an den weißglühenden Lavastrom, der sie verfolgte — nicht besonders schnell, aber mit der unerbittlichen Beharrlichkeit der Naturgewalt —, allein der Gedanke an diesen brüllenden Strom weißflüssigen Gesteins, der direkt aus der Hölle zu kommen schien, hatte ihm fast unermeßliche Kräfte verliehen.
Doch selbst die übermenschliche Kraft der Angst hatte Grenzen, und Indiana spürte, daß er diese Grenze wohl bald erreicht haben würde. Er stolperte immer öfter. Zweimal war er bereits gestürzt und hatte Swanson nur mit Mühe und Not festhalten können, und der reglose Körper auf seiner Schulter schien mittlerweile Tonnen zu wiegen. Und als ahnten die finsteren, uralten Mächte, die sie mit ihrem Frevel aufgeweckt hatten, daß ihre Opfer ihnen im letzten Moment entkommen könnten, waren die Eruptionen jetzt stärker geworden. Nicht nur der Berg, das ganze Land schien unter seinen Füßen zu zucken und sich zu winden wie ein riesiges, waidwundes Tier.
Indiana erreichte den Fuß der Lavahalde und wandte sich hastig nach links, als dort, wo er gerade hatte hinauflaufen wollen, der Boden aufbrach und ein mannsdicker Strahl flüssigen Gesteins in die Höhe schoß. Instinktiv zog er den Kopf zwischen die Schultern. Zwei, drei Tropfen der weißglühenden Lava trafen ihn und brannten winzige, rauchende Löcher in seine Jacke und die Haut darunter.
Indiana keuchte vor Schmerz und verdoppelte seine Anstrengungen. Der Waldrand lag jetzt scheinbar zum Greifen nahe vor ihm. Aber so schnell er auch lief, die Apokalypse, vor der er floh, folgte ihm. Und als spiele sie ein grausames, böses Spiel mit ihm, war sie immer um eine Winzigkeit schneller, als er sich bewegte.
Auch hier züngelten bereits Flammen aus dem Unterholz. Die Blätter des mannshohen Farnes hatten sich braun gefärbt und eingerollt; schwarzer Qualm verdunkelte den Himmel; und durch das Prasseln der Flammen drang ein Chor kreischender, panikerfüllter Tierstimmen. Als der Vulkan ausbrach, waren die Tiere voller Panik aus der unmittelbaren Umgebung des Berges geflohen, aber die Naturgewalten waren einfach schneller. In einem Umkreis von drei, vielleicht sogar vier oder fünf Meilen regneten Flammen und brennender Stein vom Himmel. Und es gab nichts mehr, wohin sie sich wenden konnten. Der ganze Dschungel schien zu einer einzigen, riesigen Falle geworden zu sein. Nicht nur für seine tierischen Bewohner.
Indiana blieb einen Moment lang stehen, um Atem zu schöpfen. Gehetzt blickte er sich um. Er konnte den Hügel von hier aus nicht mehr sehen. Flammen und schwarzer, fettiger Qualm verwehrten ihm den Blick. Auch aus dem Dschungel schlug ihm eine Woge erstickender, trockener Hitze entgegen, aber er wußte, daß die Anhöhe unmittelbar vor ihm liegen mußte. Sie mußte einfach dort sein — denn wenn nicht, dann konnte er genausogut hier stehenbleiben und auf den Tod warten.
Er verlagerte Swansons Gewicht auf seiner Schulter und versuchte, mit einem raschen Blick einen wenigstens halbwegs sicheren Weg durch den brennenden Dschungel auszumachen. Dann stürmte er los.
Der Weg vom Vulkankrater herab war schlimm gewesen; er hatte gedacht, es könnte nicht schlimmer kommen. Aber das hier war noch schlimmer. Der ganze Wald stand in Flammen. Der Boden war so heiß, daß er trotz der dicken Stiefelsohlen kaum noch auftreten konnte, und immer wieder fiel brennendes Geäst auf Swanson und ihn herab. Die Hitze und das grelle, flackernde Licht trieben ihm die Tränen in die Augen, so daß er fast blind wurde. Er stürmte einfach geradeaus, prallte schmerzhaft gegen einen Baum, der so abrupt aus dem Rauch auftauchte, daß Indiana nicht schnell genug reagieren konnte, und fiel schwer zu Boden. Swanson glitt von seiner Schulter und stürzte mit einem schmerzerfüllten Keuchen in einen Busch; für einen Moment blieb Indiana benommen liegen.
Als er sich mühsam wieder in die Höhe stemmte, glaubte er plötzlich eine Gestalt zu sehen.
Es war nur ein Schatten, den er aus den Augenwinkeln wahrnahm, kaum mehr als ein flacher, verzerrter Umriß vor dem Hintergrund der brüllenden Flammenwand, wie ein Dämon, riesig und schwarz und mit einer verzerrten, blutigroten Teufelsfratze, den die Hölle selbst ausgespien zu haben schien, um ihn im letzten Moment doch noch am Entkommen zu hindern. Indiana fuhr erschrocken hoch und herum, aber im selben Moment stieß der Berg eine neue, brüllende Explosion aus und überzog den Himmel mit sengender Weißglut, und als Indiana wieder hinsah, war die Gestalt verschwunden.
Eine Sekunde lang starrte er die Stelle an, an der sie gestanden hatte, dann kam er zu dem Schluß, daß es wohl doch nur ein Trugbild gewesen war, und er beugte sich hinauf, um Swanson aufzuheben.
Swanson stöhnte vor Schmerz, als Indiana ihn ächzend auf seine Schultern hievte. Seine Fingernägel zerkratzten Indianas Gesicht, als er instinktiv versuchte, der Qual zu entgehen. Indiana ignorierte den neuerlichen, brennenden Schmerz, balancierte Swansons Gewicht auf den Schultern aus, so gut er konnte, und wankte weiter.
Daß er den Felshügel fand, war ein reiner Zufall. Sein Fuß stieß plötzlich gegen etwas Hartes, er stolperte, fand im letzten Moment sein Gleichgewicht wieder und griff haltsuchend mit der freien Hand nach vorn. Seine Finger schrammten über schwarze, glasharte Lava, die wie mit Messerklingen in seine Haut schnitt. Und durch den Vorhang aus Rauch und grauer Asche konnte er die steil in die Höhe strebenden Flanken eines zerschundenen Hügels erkennen, der plötzlich vor ihnen aufragte.
Selbst unter normalen Umständen wäre es schwierig gewesen, diesen Hügel hinaufzuklettern; mit Swansons Gewicht auf der Schulter war es beinahe unmöglich. Aber die Angst gab ihm noch einmal zusätzliche Kraft, und irgendwie brachte er auch dieses Kunststück fertig.
Keuchend, halb blind vor Erschöpfung und Schmerz und mit dem letzten bißchen Energie kroch er den zerfurchten Hang hinauf und schleppte sich in den Schutz eines mächtigen schwarzen Lavabrockens. Gegen den Feuerregen vom Himmel bot der Felsen keine Deckung, aber er hielt wenigstens die Flammen und den glühenden Wind ein wenig zurück.
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