Schon vor vielen Jahrhunderten hatte ein gewisser Ammianus Marcellinus über die Sarazenen geschrieben, es sei unbeschreiblich, mit welcher Raserei sie sich der Liebe hingeben würden. Anscheinend waren sie wirklich in dieser Beziehung unersättlicher als andere Völker. Da gab es noch ganz andere Geschichten.
Uthman war so in seine Gedanken vertieft, dass er erschrocken zusammenzuckte, als Henri diese Frage an ihn gerichtet hatte. Was fiel ihnen allen ein, sich in seine Angelegenheiten zu mischen? Aber er gab doch Antwort. »Ja natürlich. Wir haben uns für die heutige Nacht wieder im Pavillon verabredet.«
»Ich glaube nicht, dass deinem Vater solcherart Pariser Nächte gefallen würden. Ich gebe dir noch zwei weitere Nächte Zeit, um deinen Lüsten nachzugehen. Aber vergiss nicht, dass wir hier einen Auftrag zu erfüllen haben. Wenn du bis dahin nicht zur Besinnung gekommen bist, werden Joshua und ich alleine unser Gelöbnis erfüllen. Aber glaube mir, Uthman, dass ich nicht zögern werde, dich im Stall bei den Pferden anzubinden, damit du bei unserem gefährlichen Auftrag kein Unheil stiften kannst.«
Uthman starrte wütend vor sich hin, aber er schwieg.
Henri verbrachte wieder eine schlaflose Nacht. Aber auch Joshua wälzte sich auf seinem Strohlager hin und her. Schließlich entschloss sich Henri, dem Gefährten seine Gedanken mitzuteilen. »Es ist vielleicht infam, was ich mir gedacht habe. Aber wir dürfen uns keine Sentimentalitäten erlauben. Wenn Uthman durch einen Zufall diese Kammerzofe kennen gelernt hat, könnte er doch vielleicht das Mädchen bewegen, uns in das Palais einzulassen.«
Joshua ersparte sich irgendwelche Vorwürfe. »Wie hast du dir das vorgestellt?«
»Wir dürfen unter keinen Umständen dem Mädchen die Wahrheit sagen, vielleicht ist sie eine treue Dienerin ihres Herrn. Vielmehr geben wir uns als große Bewunderer des Königs aus und wünschen uns, ihn einmal von Angesicht zu Angesicht sehen zu dürfen. Danach verfahren wir wie ausgemacht und überreichen ihm das Kryptogramm mit dem Hinweis, dass aus diesem Dokument der geheime Ort des Templerschatzes ersichtlich sei. Seine Geldgier wird ihm den Tod bringen.«
»Wenn nun Uthman diesem Plan nicht folgen will?«
»Er ist ein Sarazene, für den die Liebe ein Spiel, der Kampf aber ein Lebenselixier ist.«
»Geb’s Gott!«, wünschte Joshua.
Am nächsten Morgen wirkte Uthman verschlossen. Er war nicht bereit, von seinen nächtlichen Abenteuern zu berichten. »Wir müssen miteinander sprechen«, sagte Henri ernsthaft. »Bist du noch bereit, an unserem Vorhaben mitzuwirken? Wenn ja, gib mir Wort und Hand darauf. Ich möchte dich nicht belügen.«
Uthman zögerte nicht einen Atemzug lang. »Ich habe ein Gelöbnis abgelegt und werde es erfüllen. Eher will ich sterben, als dich im Stich zu lassen.«
»Was ist wichtiger für dich, die Liebe oder der Kampf?«, fragte Henri.
»Wie kannst du da nur fragen? Beides bringt mir Lust. Aber ich bin nicht gar so unerfahren, wie du glaubst. Unser Prophet liebte alle seine Frauen, und bei jeder entdeckte er ein anderes Geheimnis. Er war ein Mann des Lebens, kein verknöcherter Asket.«
Henri schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Du willst doch nicht etwa noch bei anderen Mädchen die Runde machen?«
»Die anderen Frauen von Paris werden mich auch nichts anderes mehr lehren können als Juliette. Wir Sarazenen kennen bei weitem mehr Vereinigungen als ihr im Okzident und haben sie mit blumigen Namen belegt.
Der Koran sagt in der Sure Al-Baqarah, die Kuh, im 223. Zeichen: Eure Frauen sind Euch ein Saatfeld. Geht zu Eurem Saatfeld, wo immer Ihr wollt. Juliette wollte das nicht verstehen.«
»Du musst ihr das verzeihen. Diese Gedankengänge kann ein christliches Mädchen nicht begreifen.«
Uthmann wirkte zornig. »Ich wollte ihr zeigen, wie man auf dem Wege zur Lust in das vorweggenommene Paradies gelangen kann. Stattdessen hat sie von mir eine Einigung verlangt, die bei uns Sarazenen als verächtlich gilt. Das hat mich beleidigt. Ich möchte darüber nicht sprechen.«
»Beenden wir also dieses Thema!«, schlug Henri vor. »Dennoch möchte ich dich bitten, heute noch einmal Juliette aufzusuchen. Vielleicht kannst du erreichen, dass sie uns morgen durch den Dienstboteneingang in das Palais einlässt.« Henri fühlte sich sehr unwohl bei diesem Vorschlag. Es war nicht richtig, das Mädchen zu betrügen. Er ordnete jedoch alle Bedenken seinem Ziel unter, den Fluch der Großmeister zu erfüllen.
Uthman kannte anscheinend ebenso wenig Skrupel. »Warum nicht? Vielleicht bringe ich sie doch noch dazu, El khiate, den Schneider, mit mir zu spielen.«
»Teile mir morgen früh mit, ob das Mädchen bereit ist, uns in die Nähe des Königs zu bringen. Denke daran, dass wir glühende Bewunderer Philipps sind und ihm eine wichtige Nachricht überbringen wollen.«
»Natürlich wird das Mädchen bereit sein. Darauf gebe ich dir mein Wort. Notfalls wende ich Dok el outed an. Du glaubst nicht, wie das ihre Bereitwilligkeit steigern wird.«
»Davon möchte ich jetzt nichts mehr hören!«, gebot Henri. Aber Uthman konnte es nicht lassen, sich noch einmal auf den Propheten zu berufen: »Der Mann hat von der Frau Folgendes zu beanspruchen: Wenn er sie begehrt, darf sie sich ihm nicht versagen, auch wenn sie auf dem Rücken eines Kamels säße.«
»Zum Glück gibt es aber in Paris keine Kamele«, meinte Henri. »Wenn du Juliette darum bitten möchtest, uns zum König zu führen, dann lass sie besser solche Sprüche nicht hören.«
»Da könnte ich dir noch ganz andere Gebote des Propheten nennen. Man überliefert, er habe zwar gesagt: Behandelt die Frauen fürsorglich und liebevoll, aber das betrifft nur gehorsame Frauen. Die ungehorsamen soll man mit Prügeln zur Räson bringen.«
»Wer trifft denn die Entscheidung, ob eine Frau nun gehorsam oder ungehorsam ist?«, fragte Henri.
»Natürlich der Mann!«, rief Uthman und lachte.
Henri konnte nichts Lächerliches an dieser Antwort finden. »Du scheinst dich ja recht gut in Muhammads Geboten auszukennen, jedenfalls was die Würde des Mannes und die Behandlung der Frauen betrifft. Was aber sagt euer heiliges Buch dazu?«
»Ja, ja – obwohl ich mich in Cordoba bemüht habe, den Koran auswendig zu lernen, wie es sich für jeden unseres Glaubens gehört, so weit bin ich noch nicht gekommen!«
»Das wird wohl auch noch einige Zeit dauern«, meinte Henri und lächelte. Natürlich kannte Uthmann den Koran in- und auswendig.
Uthman nahm ihm den Scherz nicht übel. »Das mag wohl stimmen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich in der Koranschule mit der Bastonade auf die nackten Fußsohlen bestraft wurde, weil ich die Koranverse nicht fehlerfrei hersagen konnte. Dennoch kann ich immer noch sehr schnell laufen. Das werde ich dir morgen beweisen, falls wir flüchten müssen.«
Ich kenne ihn immer noch nicht, dachte Henri, nachdem sich Uthman fröhlich pfeifend entfernt hatte. Was sollte dieses ganze Gerede von der Liebe? Hatte er vielleicht von Beginn an die Kammerzofe für unsere Zwecke ausnützen wollen? Warum war er überhaupt über die Mauer gestiegen und hatte sich keine Mühe gegeben, im Schatten der Bäume verborgen zu bleiben? Warum war er so schnell bereit gewesen, das Mädchen zu täuschen? Warum hatte er sie mit der Befriedigung seiner Lust entwürdigt?
Henri fand auf alle diese Fragen keine Antwort. Schemenhaft erschien vor seinem inneren Auge die Erscheinung der zarten Tochter Umars. Es gelang ihm nur schwer, die Erinnerung an Leila zu verscheuchen. Denn es war ihm schrecklich, dass Umar dieses engelgleiche Wesen gegen eine Ziegenherde und einige Kamele an den brutalen Herrscher der Karawanserei verschachert hatte.
Er hätte gern mit Joshua über den morgigen Tag gesprochen. Aber als er den Speicherraum betrat, fand er seinen Gefährten im Gebet vor. Warum hatte nicht auch er daran gedacht, die Hilfe des Gottessohnes und der Jungfrau Maria zu erflehen? Er verließ den Gasthof, sattelte sein Pferd und machte sich auf den Weg nach Paris.
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