Das Buch ist ein Kompendium und eine Rechtfertigung des Hexenwahns, wie er vor allem in Deutschland auf die Angst vor den Überresten der keltisch-germanischen Naturreligion mit ihrem Glauben an Magie und Zauberrituale zurückgeht. Zu den Besonderheiten dieses Wahns gehört, dass den sogenannten Hexen unterstellt wird, sie beschädigten die männliche Sexualität. In den Hexenprozessen spielt das Weghexen der sexuellen Potenz eine immer wiederkehrende Rolle. Die Frau wird zur Hexe gemacht, die mit dem Teufel Unzucht treibt und dadurch den Dämonen Zugang zum Menschen verschafft.
Überall lodern die Scheiterhaufen. Die Hexen werden für Unwetter, Viehsterben oder Krankheiten verantwortlich gemacht. Am Anfang des Hexenprozesses steht die Anzeige, auf die das Verhör folgt. Das Geständnis wird in der Regel durch Folter erpresst. Zum Ritual gehört auch die »Nadelprobe«, die das Kennzeichen des Teufels am Körper der Verdächtigen aufspüren soll, einen Leberfleck beispielsweise oder ein Muttermal. Bei der »Wasserprobe« wird die angebliche Zauberin gefesselt in einen Fluss oder einen Weiher geworfen. Damit ist ihr Schicksal besiegelt: Ertrinkt sie, war sie unschuldig, bleibt sie an der Oberfläche, so ist sie mit dem Teufel im Bunde und wird hingerichtet.
Es gibt jedoch - wenn auch sehr spät und nur vereinzelt - Versuche, Brutalität und Wahnvorstellungen zu bekämpfen. Der Jesuit Friedrich Spee aus Trier fasst die Argumente gegen den Hexenglauben zu einer Streitschrift zusammen: »Cautio criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse« (1631). Spee ist eine empfindsame Seele und leidet unter der Pflicht, im Auftrag seines Ordens Prozessopfer der Inquisition zum Scheiterhaufen zu begleiten. Er verachtet, was dort geschieht, und versucht, seine furchtbaren Erfahrungen zu verarbeiten.
Er wagt zunächst nicht, die Schrift unter seinem Namen zu veröffentlichen, bekennt sich aber dann doch zu seiner Verfasserschaft. Jetzt aber geschieht etwas Unerwartetes: Spee findet Beschützer unter den Bischöfen, und auch sein Orden lässt ihn trotz interner Anfeindungen in Ruhe. Als in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges die Pest ausbricht, widmet Spee sich sofort der Pflege der Erkrankten - und infiziert sich. Er stirbt im Alter von 44 Jahren an der Seuche. Die Überwindung des Hexenwahns in Deutschland trägt seinen Namen. Er gibt der Vernunft und der Menschlichkeit in der Kirche ein Gesicht.
Bis alle Scheiterhaufen erloschen sind, wird aber noch viel Zeit vergehen. Die letzte überlieferte Hinrichtung einer Hexe in Mitteleuropa findet 1793 in Südpreußen auf heute polnischem Gebiet statt. Aber noch 1836 wird eine vermeintliche Hexe auf der OstseeHalbinsel Hela von Fischern einer Wasserprobe unterzogen und, da sie nicht untergeht, gewaltsam ertränkt.
22. Kaufleute, Kriegsherren und Karawanen
Im Volksmund ist es noch heimisch: als Bezeichnung für einen unbeholfenen Menschen, eine Art Synonym für den »Elefanten im Porzellanladen«. Aber sein Bestand ist hochgradig gefährdet, und die uns vertrauten Bilder einer Wüstenkarawane zeigen meist nur seine Artgenossen. Auch die Geschichtsbücher erwähnen es - sehr zu Unrecht - nur selten, denn seine Zeit als wichtigstes Transportmittel zwischen Europa und Asien ist längst vorüber. Dabei war es Jahrtausende hindurch unverzichtbar.
Die Rede ist vom zweihöckrigen oder auch baktrischen Kamel, dem berühmt-berüchtigten Trampeltier, das aus der Wüste Gobi stammt. Es ist nicht nur wesentlich hitzeresistenter als das einhöck-rige Dromedar, sondern besitzt auch ein Winterfell, so dass es sich selbst den extremen Temperaturschwankungen in den asiatischen Steppen- und Bergregionen anpassen kann. Seit es Handel auf der Erde gibt, ist es im Einsatz. Auch die legendäre Seidenstraße wäre ohne seine Dienste nicht das geworden, was sie war: ein Königsweg nicht nur für die Interessen von Kaufleuten und Kriegsherren, sondern auch für den Transport von Ideen, Religionen und ganzen Kulturen von West nach Ost und von Ost nach West. Rustikaler ausgedrückt: ein Trampelpfad der Globalisierung.
Natürlich trägt die Seidenstraße ihren Namen zu Recht, obwohl er sich eigentlich auf ein ganzes Netz von Karawanenstraßen bezieht, dessen Hauptroute - über fast 6000 Kilometer eine der unwirtlichsten Strecken der Welt - das Mittelmeer mit Ostasien verbindet. Auf ihr gelangte in der Tat schon in der Antike eines der begehrtesten Handelsgüter, die chinesische Seide, in den Westen und beglückte dort Kelten und Römer. Aber auch Gold, Edelsteine und Glas wurden, in der Regel Richtung Osten, auf ihr transportiert, während in der Gegenrichtung bis in die Neuzeit vor allem Pelze und Gewürze, Keramik und Jade auf den Weg gebracht wurden.
Aber nicht nur Waren, auch kulturelle Güter und sogar Religionen brauchen Straßen, um sich zu bewegen und zu entwickeln. So konnte sich etwa der Buddhismus, den um 500 v. Chr. der indische Religionsstifter Buddha begründet hatte, über die Seidenstraße in fast alle ostasiatischen Länder ausbreiten und vereint heute weltweit 370 Millionen Menschen. Auch das Christentum profitierte von der Karawanenstraße. Deutlich stärker aber der Islam, der nach Mohammeds Tod im Jahr 632 zunächst die Arabische Halbinsel, danach Syrien, Ägypten, die Länder Nordafrikas und später auch Persien erreicht hatte, dann seine Expansion in Richtung Osten weiter fortsetzte und schließlich den transasiatischen Handel kontrollierte. Die Ausbreitung erfolgte zunächst über die städtischen Zentren entlang der Seidenstraße und setzte sich in den eher abgelegenen Regionen fort.
Selbst der rätselhafte Mongolensturm machte Gebrauch von der Seidenstraße. Der um 1160 in der Nähe des Baikalsees geborene Dschingis Khan fegt mit seinen schnellen Reiterhorden über Dörfer und Städte, dringt bis ins Herz des chinesischen Reiches vor, erobert Peking und wendet sich dann nach Westen. In nur wenigen Jahren, von 1219 bis 1224, zieht das kampfstarke und hochdisziplinierte Heer der Mongolen durch das heute afghanische, pakistanische und iranische Hochland bis nach Russland, zerstört alles, was von Menschen je gebaut wurde, tötet jeden, der sich ihm in den Weg stellt - und verschwindet, scheinbar ohne Grund, wieder in den Weiten des Ostens. Als Dschingis Khan 1227 an den Folgen eines Reitunfalls stirbt und nach Landessitte in einem namenlosen Grab beigesetzt wird, hinterlässt er ein Reich, das sich vom Chinesischen Meer bis an die Grenzen Europas erstreckt und damit als das in seiner Ausdehnung größte der gesamten Weltgeschichte gelten kann.
Der eigentliche Mongolensturm aber sollte jetzt erst beginnen. 1235 wird in der gerade gegründeten Hauptstadt Karakorum ein erneuter Westfeldzug beschlossen. Die asiatischen Reiter nehmen zunächst Moskau ein, zerstören dann Kiew und begründen das Reich der Goldenen Horde in Russland. Sie erreichen in kleineren Formationen Polen, Schlesien, Brandenburg, Mähren, Niederösterreich, Ungarn und Kroatien. Ein deutsch-polnisches Ritterheer wird im Sommer 1241 in der Schlacht bei Liegnitz vernichtend geschlagen. Bald darauf stehen die gefürchteten mongolischen Krieger vor Wien und erreichen dann die Adria. Aber 1242 ziehen sie sich auf die Nachricht vom Tod ihres Großkahns wieder weit in den Osten zurück. Möglicherweise waren die Überfälle auch nur als Beutezüge und nicht als dauerhafte Eroberung gedacht. Doch Tausende von Toten und verwüstete Landstriche hinterlassen bei den Bewohnern Angst, Schrecken und eine traumatisierte Erinnerung mit Bildern von Leichenbergen und Schädelpyramiden.
Die Seidenstraße aber bleibt mit mehreren Routen und vielen Zwischenstationen der Landweg der Europäer für den Handel und den Kulturaustausch mit den asiatischen Völkern. Zwar werden Städte wie Samarkand und Buchara von den Mongolen zerstört und erbarmungslos ausgeplündert, aber insgesamt führt ihre Herrschaft im dreizehnten Jahrhundert nicht zu einem Abbruch, sondern sogar zu einer Intensivierung der Ost-West-Kontakte und zu einer noch direkteren Vernetzung von Asien und Europa. Die mongolischen Herrscher zeigen sich dabei als ausgesprochen gastfreundlich zu auswärtigen Händlern und Reisenden, auch wenn sich deren Länder nicht unterworfen haben.
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