Als Mohammed am 8. Juni 632 stirbt, ist die Trauer unter seinen Anhängern unermesslich. Viele Gläubige waren überzeugt, der Prophet werde niemals sterben. Jetzt wird die ganze historische Dynamik seiner religiösen und gesellschaftlichen Weltsicht offenbar. Bereits 25 Jahre später gehören Syrien, Ägypten und Nordafrika bis nach Marokko zum Islam. Einhundert Jahre danach stehen muslimische Truppen in Zentralasien, im Indus-Tal, im heutigen Pakistan, Buchara und Samarkand. Die Kalifen (Mohammeds »Stellvertreter« oder »Nachfolger«) haben mit ihren Heeren aus arabischen Beduinen ein Gebiet von Spanien bis Indien erobert.
Was ist der Grund für die rasante militärische Ausbreitung des Islam? Gesellschaftliche Systeme, deren wirtschaftliche Grundlage vor allem durch kriegerische Raubzüge gesichert wird, verlieren den Nachbarn als Beuteobjekt, wenn dieser muslimisch wird. Da es verboten ist, gegen Glaubensbrüder kriegerisch vorzugehen, gehört ein Nachbar, der den muslimischen Glauben angenommen hat, zum Inneren der Glaubensgemeinschaft, der Umma. Erst jenseits seiner Grenze darf wieder Beute gemacht werden. Also muss man die Grenze zu den Ungläubigen so schnell wie möglich überschreiten, weil nur so noch Reichtümer zu gewinnen sind.
Ein anderer wichtiger Faktor des gewaltigen Eroberungszuges war, dass die Muslime es den Besiegten leicht machten, sich zu unterwerfen, wenn diese wie sie selber an einen Gott glaubten und heilige Schriften besaßen. Das war vorrangig bei Juden und Christen der Fall. Ihre Religionen galten als verwandt mit dem Islam. Gegen Zahlung einer Steuer konnten sie weiter ihrem Glauben anhängen und standen unter dem Schutz der Kalifen.
Gleichwohl sieht die monotheistische Dogmatik des Islam in der eigenen Religion die absolute Wahrheit. Neben Allah kann deshalb keine andere Gottheit geduldet werden. Wer nicht an Allah und nicht nur an Allah glaubt, versagt ihm den schuldigen Respekt und versündigt sich. Deshalb darf die Anerkennung des Universalherrschers und seines Propheten im Prinzip auch mit Gewalt erzwungen werden. Die historische Realität des Eroberungszuges kannte aber sehr wohl auch Beispiele der Toleranz.
Ohne den religiösen Ansporn, der die Araber vorantrieb, wäre ihr Sturmlauf über drei Kontinente allerdings nicht möglich gewesen. »Setzt euch ein für die Sache Allahs«, hatte Mohammed befohlen. An diesem Einsatz für die Verbreitung des Islam teilzunehmen, war deshalb eine heilige Pflicht. Wer sich dem Zug anschloss, erhielt beim Sieg ein Stück von der Beute. Wer im Kampf fiel, auch das hatte Mohammed gelehrt, auf den warteten die Wunder des Paradieses. Diese Motivation feuerte die Araber an.
Wie die militärische Ausbreitung begann auch der Sklavenhandel sehr bald nach dem Tod des Propheten. Den religiösen Vorschriften entsprechend war die Rekrutierung von Sklaven natürlich nur außerhalb der Grenzen der islamischen Glaubensgemeinschaft möglich. Im Jahr 652 zwang der Emir Abdallah ben Said den nubischen König Khalidurat, jährlich 360 männliche und weibliche Sklaven zur Verfügung zu stellen. Seither wurden, nach seriösen Schätzungen, bis ins 20. Jahrhundert etwa 17 Millionen Afrikaner Opfer des arabischen Sklavenhandels.
Zu den Gründen für die rasche Ausbreitung des Islam gehört auch die Tatsache, dass die damaligen Nachbarn der islamischen Staaten keine ebenbürtigen Gegner mehr waren. Sie waren politisch und militärisch geschwächt. Byzanz zum Beispiel war gelähmt durch die innerchristlichen Auseinandersetzungen um das Wesen Christi: ob Jesus ein Mensch oder Gott oder beides sei.
Auch die in Spanien herrschenden Westgoten waren durch innere Konflikte zerrissen. Sie hatten deshalb den von den Arabern islamis-ierten Berberstämmen (Mauren), die ab 711 von Nordafrika auf die Iberische Halbinsel vordrangen, nichts entgegenzusetzen. Zwar wurde ihr Versuch, auch Gebiete nördlich der Pyrenäen zu erobern, in der Schlacht von Tours und Poitiers (732) vom fränkischen Hausmeier Karl Martell abgewehrt, aber der größte Teil des heutigen Spanien geriet unter islamische Herrschaft.
Jahrhunderte hindurch sorgten die Mauren für eine funktionierende Landwirtschaft, ein vielseitiges Handwerk und ein intensives geistiges Leben, an dem auch Christen und Juden teilhatten. Vor allem von Cordoba und auch von Granada aus, wo im 13./14. Jahrhundert mit der Alhambra eines der großartigsten Zeugnisse islamischer Baukunst entstand, strahlte der Glanz der arabischen Kultur in das abendländische Mittelalter. Spanien wurde so auch zur Schaltstelle für den orientalisch-europäischen Wissens- und Wissenschaftstransfer, der nicht nur die arabischen Zahlen und die Algebra, sondern auch technische Innovationen und medizinischen Fortschritt an das Abendland weiterreichte. Mit dem Fall von Granada (1492) endete die Reconquista, die Rückeroberung der von den Mauren besetzten Gebiete durch christliche Heere. Spanien konnte sich nun anderen Dingen zuwenden wie der Entdeckung neuer Kontinente durch Christoph Kolumbus.
Im Geist des unduldsamen Katholizismus wurden 1492 die meisten Juden und bis Anfang des 17. Jahrhunderts die fast 300 000 im Land verbliebenen Mauren aus Spanien vertrieben. Das Königreich amputierte sich durch diesen Aderlass selbst.
17. Ein Landweg für Schiffe
Um das Jahr 1000 war in Kleinasien ein neues Volk aufgetaucht -die Türken. Sie kamen aus Zentralasien und waren Muslime geworden. Sie drangen vor bis über den Bosporus. Der osmanische Sultan Mehmed der Eroberer erhielt seinen Beinamen zu Recht. Er kannte sich in den wichtigsten Wissenschaften aus und konnte sich in sechs Sprachen unterhalten. Vor allem aber konnte er rechnen. Er ging davon aus, mindestens 70 000 eigene Soldaten für den Angriff aufbieten zu können. Die Verteidiger, so kalkulierte er, würden selbst mit Unterstützung durch die Seemächte Genua und Venedig und weitere Hilfstruppen kaum 10 000 Mann in die Schlacht schicken können.
Das beruhigte ihn keinesfalls. Der Sultan konnte auch denken. Byzanz war keine Stadt, sondern eine Festung mit allem, was dazugehörte. Eine der sichersten und wehrhaftesten in der ganzen bekannten Welt. Tausend Jahre lang hatte sie alle Attacken abgewehrt. Das wog einen Teil der numerischen Übermacht wieder auf.
Deshalb hatte Sultan Mehmed vorgesorgt. Frühzeitig hatte er sich der Fachberatung eines kooperationswilligen Christen, Urban mit Namen, versichert. Der Spezialist für schwere Waffen war zuvor beim byzantinischen Kaiser abgeblitzt, weil Konstantin XI.mit dem von Urban geforderten Honorar nicht einverstanden war. In Mehmed traf er nun auf einen Herrscher, der nicht nur alle Salärwünsche erfüllte, sondern endlich auch den schweren Geschützen, die er im Angebot hatte, die nötige Beachtung schenkte. Vor dem Kampf um Konstantinopel waren Kanonen eher zur akustischen Abschreckung des Feindes eingesetzt worden, Sultan Mehmed aber ließ sich von ihrer Funktion als Kriegswaffen überzeugen, die sich in der offenen Feldschlacht, aber erst recht bei der Belagerung von Festungen einsetzen ließen.
Also ging Urban ans Werk, um seinen Arbeitgeber mit einer starken Artillerie zu versorgen. Der Sultan, der ein Technik-Freak war, schaltete sich persönlich in die Kaliberdefinitionen und die Ballistikberechnungen ein. In einem Dreivierteljahr entstanden ab Mitte 1452 in Urbans Werkstatt 69 Kanonen mit unterschiedlicher Feuerkraft, darunter riesige, nie zuvor gesehene Geschütze. Das größte von ihnen, das sogenannte Konstantinopel-Geschütz, hatte eine Rohrlänge von über acht Metern und einen Durchmesser von 75 Zentimetern. Der Sultan hatte Glück, dass sein Feuerwerker erst nach der Fertigstellung des Waffenparks starb (an einem Rohrkrepierer). Er war von Urbans Arbeit begeistert. Beruhigt, was die kommende Schlacht anging, war er noch immer nicht.
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