Der ägyptische Pharao, der auf Zeugenaussagen zweier Beduinen hereingefallen war, die in Wirklichkeit Spione der Hethiter waren, stieß in der irrtümlichen Erwartung, der Feind sei noch weit entfernt, mit einer kleinen Vorhut bis in den Nordwesten von Kadesch vor. Diese völlige Fehleinschätzung der hethitischen Position führte dazu, dass er sich nach dem überfallartigen feindlichen Angriff nur durch erbitterte Gegenwehr bis zum Eintreffen der Verstärkung halten konnte.
Es waren nicht die vier Elitedivisionen unter den Götterzeichen Amun, Re, Seth und Ptah, die die Situation entschärften, sondern eine Truppe von Spezialeinheiten, welche dem König vom nahe gelegenen Amurru her zu Hilfe eilten. So endete die Schlacht von Kadesch nicht mit einem Desaster für die ägyptische Armee, sondern mit einem Patt und einem Waffenstillstand. Da der Gottkönig Pharao stets zu siegen hat, wurde das knappe Remis in einen großen Triumph umgemünzt.
Es folgte eine Friedensperiode von sechzig Jahren, die 1259 v. Chr., also im 21. Jahr der Regentschaft von Ramses II., durch einen - in Hieroglyphen und Keilschrift überlieferten - Staatsvertrag abgesichert und eine kluge Heiratspolitik der beiden Mächte gefestigt wurde.
Nicht nur durch die Auseinandersetzung mit den Hethitern, sondern auch als einer der größten Bauherren Altägyptens ist Ramses in Erinnerung geblieben. Vier kolossale, 22 Meter hohe Sitzfiguren des Pharaos bilden die Fassade des Großen Tempels von Abu Simbel, den Ramses in Nubien nördlich des zweiten Katarakts am Ufer des Nils, noch ohne Verwendung des Eisens, in den gewachsenen Felsen hauen ließ. Den Amuntempel in Karnak stattete er mit einem dreis-chiffigen Saal aus, in dem sich 134 als Papyrusbündel gestaltete Säulen erheben, jede mit einem Umfang von mehr als zehn Metern. Das Ramesseum, der mit einem Königspalast verbundene Totentempel des Pharaos, steht in Theben-West.
Gibt es über Ramses II. ein Höchstmaß an gesicherter Kenntnis, so gilt genau das Umgekehrte für einen Mann, der häufig als sein ärgster Widersacher genannt wird: Moses, Prophet und späterer Gesetzgeber der Israeliten, der sein Volk, das nur an einen einzigen Gott - Jahwe - glaubt, nach Südpalästina in das gelobte Land Kanaan führen wird. Nach biblischer Überlieferung verhandeln Moses und sein Bruder Aaron mit dem Pharao - bei dem es sich auch um Merenptah, den Sohn von Ramses II., handeln könnte -über die Freilassung der im Nildelta zu Zwangsarbeiten eingesetzten Israeliten. Wir wissen, wie es weitergeht, und Sie kennen die wunderbaren Geschichten von den sieben (oder zehn) Plagen, die Jahwe über Ägypten verhängt, von der Flucht durch das Schilfmeer und den Zehn Geboten, die Moses während des Exodus auf dem Berg Sinai empfängt.
Historisch ist die Gestalt des Moses nicht fassbar, und auch für die Anwesenheit der Israeliten in Ägypten gibt es keinen nachprüfbaren Beleg. Gesichert ist zwar, dass die Stämme, die später das Volk Israel bilden, um 1200 v. Chr. nach Kanaan einwandern, nicht aber ihre Herkunft. Der Name Israel taucht erstmals auf der ägyptischen Stele des Merenptah um 1220 v. Chr. auf. Die Ereignisse um Moses und den Auszug der »Kinder Israel« sind somit Teil der biblischen, nicht aber der ägyptischen Geschichte.
Rund 400 Jahre nach der Vertreibung der Hyksos und ein knappes Jahrhundert nach der Schlacht von Kadesch kündigten sich neue Invasoren an: indogermanische Seevölker, denen es gelungen war, die Staaten des östlichen Mittelmeerraums zu zerschlagen und die mit libyscher Unterstützung nun auch Ägypten existenziell bedrohten. In zermürbenden Schlachten und Abwehrkämpfen konnte Ramses III. (1184 -1153 v. Chr.) den ägyptischen Königsthron zwar noch einmal gegen die Eindringlinge sichern, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, wann fremde Völker sich des Niltals bemächtigen würden.
Sie standen, um es unwissenschaftlich auf den Punkt zu bringen, bereits Schlange: Libysche Söldnerfürsten waren 200 Jahre nach den Pyrrhussiegen der späten Pharaonen die Ersten, ihnen folgten Äthiopier, Assyrer, Perser, Makedonier und Römer, alle mit dem Ziel, das Land auszubeuten. Die Kultur des alten Ägypten lebte weiter, aber ihre Tage waren gezählt.
Noch ein letztes Mal beschwor eine neue, sehr schöne, sehr lebendige, sehr kluge und ehrgeizige Sphinx die Erinnerung an den Gottesstaat der Pharaonen: die ägyptische Königin Kleopatra VII., die Große. Sie wollte eine machtpolitische Allianz mit Rom schmieden und zog zumindest die beiden Römer Caesar und Antonius so in ihren Bann, dass ein altes ägyptisches Sprichwort wahr wurde: »Wer in den Nil schaut, vergisst sein Vaterland.«
Ein drittes Mal, bei Oktavian, gelang dies nicht mehr. Mit dem Selbstmord Kleopatras 30 v. Chr. endet es endgültig, das jahrtausendealte Imperium der Pharaonen. Die altägyptische Kultur aber endete erst mit der Christianisierung im 4. Jahrhundert.
Sie haben es gern antik, aber auch großzügig und komfortabel, vielleicht sogar luxuriös? Sie haben gern alles unter einem Dach -Wohnung, Arbeitsstätte, Ämter, Supermarkt, Freizeitpark? Dann empfehlen wir ein Objekt in Knossos auf Kreta, fünf Kilometer südlich von Heraklion: palastähnliches Gebäude, 20 000 Quadratmeter, vier Etagen, 1400 Räume, zahlreiche Festräume und Bäder, exklusive, ruhige Lage, Baubeginn ab 2000 v. Chr., mehrfach renoviert, ein kleines Königreich, der Stolz eines jeden Immobilienmaklers.
Sie wollen sich vor Ort informieren? Gern, auch unverbindlich. Ihr neues Heim wird Ihnen gefallen. Aber Vorsicht, seien Sie darauf gefasst, unglaubliche Geschichten zu hören. Von einem Labyrinth zum Beispiel und vom Minotaurus, einem blutrünstigen Monster. Sie brauchen etwas, das Ihnen hilft, solche Gerüchte von der Wahrheit zu unterscheiden. Sie brauchen einen Führer. Nicht nur einen Reiseführer und ein Geschichtsbuch, Sie brauchen auch einen Mythenführer, damit die Welt, in die Sie eintauchen, nicht zum Irrgarten wird.
Wir empfehlen deshalb nicht den Direktflug nach Kreta. Machen Sie einen Umweg über die Schwäbische Alb. Dort bekommen Sie, was Sie brauchen. Damit können Sie trennen, was Dichtung und was Wahrheit ist.
Es war eine Herkules-, manchmal sogar eine Sisyphusarbeit, beschwerlich ohnegleichen und mitunter vergeblich. Nicht selten verspürte er Tantalusqualen, sah das Schwert des Damokles über sich schweben oder fühlte sich ins Labyrinth gesperrt wie Theseus, ohne über den berühmten Ariadnefaden zu verfügen, der den kühnen Griechen wieder ans Tageslicht geführt hatte. Immer wieder kam er den Sagenhelden, mit denen er sich beschäftigte, gefährlich nahe.
Die Rede ist von einem schwäbischen Theologen, der in einer Kraftanstrengung ohnegleichen, die getrost auch als Geniestreich bezeichnet werden darf, die griechische Götterwelt dem Hades, dem Untergang, dem Vergessen entriss.
Sein Name: nun selber fast vergessen, sein Buch: fast noch immer ein Bestseller. Während Schiller, Goethe und ihre Dichterkollegen die griechische Antike vor allem für die geistige Elite wiederentdeckten, brachte Gustav Schwab die klassische Erbschaft unters Volk, vor allem unters Jungvolk. 1838 erschien die erste Ausgabe seiner »Sagen des klassischen Altertums«, die seither von den Geschenktischen nachfolgender Konfirmandengenerationen nicht mehr wegzudenken waren.
Was der Schwabe Schwab dem lesenden Publikum zurückschenkte, war weitgehend verschüttet und fast verloren. Zwar hatte Johann Heinrich Voß ein halbes Jahrhundert zuvor die Öffentlichkeit mit der Übersetzung von Homers »Odyssee« und »Ilias« beglückt, aber der Gesamtkosmos der griechischen Mythologie war nur noch bruchstückhaft zugänglich und auf eine verwirrende Fülle von Quellen verstreut.
Читать дальше