»Das hat er mir auch gesagt«, kam eine andere Stimme aus der Menge.
»Mir auch«, rief jemand anders, »aber ich dachte, ich wäre der Einzige gewesen!«
»Wovon redet ihr eigentlich?«, fragte einer, da drehte sich sein Nebenmann (der erst vor Kurzem sein Geheimnis verkauft hatte) zu ihm um und fing an, ihm die Sache von den mitternächtlichen Geständnissen und Joes Schwarzem Buch zu erklären.
Als die Leute erkannten, wie viele ihrer Mitbürger nachts beim zwölften Glockenschlag heimlich Joe Zabbidou besucht hatten, redeten plötzlich alle gleichzeitig. Wer persönlich in Joes Hinterzimmer eingeladen worden war, fühlte sich betrogen, weil es gar kein besonderes Angebot gewesen war – Joe verstand es eben, Menschen eine Ahnung ihrer Einzigartigkeit zu geben –, und wer nicht eingeladen worden war, fühlte sich betrogen, weil Joe ihn dessen nicht für wert gehalten hatte. Doch wie unterschiedlich die Lebensumstände jedes Einzelnen auch waren: In der aufgebrachten Menge, die noch vor wenigen Augenblicken über Jeremiah gelacht hatte, wandten sie sich nun alle geschlossen gegen Joe Zabbidou und starrten ihn mit eisigen Blicken an. Ich sah, wie ihre Gesichter in der Kälte glühten, wie sie Joe aus zusammengekniffenen Augen anfunkelten. Meine Hände waren feucht von kaltem Schweiß. Das waren keine freundlichen Gesichter mehr, und ich bekam plötzlich Angst.
Job Wright stand mit gespreizten Beinen da, die kräftigen Arme vor der Brust verschränkt. Da sonst niemand reden mochte, schien er die Rolle des Dorfsprechers übernommen zu haben.
»Nun, Mr Zabbidou, was habt Ihr dazu zu sagen?«
Sofort verstummte das Gerede und Getuschel. Sekunden vergingen, die Stille war zum Zerreißen gespannt und drohte jeden Moment zu explodieren. Ich sah, wie sich Joes Kinnmuskeln spannten und lockerten, und als er sprach, sprach er durch zusammengebissene Zähne.
»Ich habe nichts von alldem gesagt. Ihr dreht mir die Worte im Mund herum, Worte, mit denen ich versucht habe, euch zu trösten.«
»Was habt Ihr also genau gesagt?«, wollte der Hufschmied wissen.
»Ich habe gesagt, ihr sollt Geduld haben.« Joes Blick wanderte über die höhnischen Gesichter und blieb schließlich auf Perigoe, Horatio und Obadiah hängen, die sich nervös aneinanderdrängten. »Ist das nicht die Wahrheit?«
Zuerst antwortete niemand.
Dann nickte Horatio verlegen. »Ja, ich glaube, das könntet Ihr gesagt haben.«
Perigoe und Obadiah erröteten und nickten auch, aber so schnell gab sich Job Wright nicht zufrieden.
»Was soll der Unsinn?«, schnaubte er und stieß seine Faust in die offene Handfläche. »Erst versprecht Ihr zu helfen, und jetzt, wenn wir um diese Hilfe bitten, versteckt Ihr Euch hinter Worten. Ihr seid nicht besser als Jeremiah Ratchet. Ihr seid sogar schlimmer. Er tut nämlich wenigstens, was er sagt.«
Er drehte sich um und wandte sich an die faszinierten Zuschauer. Job hatte etwas geschafft, was Stirling Oliphaunt nie gelungen wäre: Sie saugten ihm jedes Wort von den Lippen. Ich konnte kaum glauben, wie er sich verändert hatte. Wie viele andere war auch er um Mitternacht bei uns gewesen und hatte gern Joes Geld und seinen Zuspruch angenommen, aber nun schien er darauf erpicht zu sein, das ganze Dorf gegen uns aufzubringen.
»Jeremiah Ratchet muss bestraft werden für das, was er uns angetan hat«, verkündete Job. »Gewartet haben wir lange genug. Wir sind bisher ohne Joe Zabbidou ausgekommen, und wir werden auch jetzt ohne ihn fertig werden.«
»Hört! Hört!«, rief eine Stimme aus den hinteren Reihen, und beifälliges Gemurmel ging durch die Menge.
»Ihr versteht nicht«, sagte Joe, der versuchte, sich über das unzufriedene Gemurmel hinweg Gehör zu verschaffen. Aber es war Zeitverschwendung, niemand hörte ihm mehr zu. Aller Augen waren auf den Schmied gerichtet. Ich hatte jetzt wirklich Angst um Joe und mich. Ich spürte die Wut der Leute. Am liebsten hätte ich sie angeschrien, ich wollte ihnen sagen, sie sollten Joe endlich zuhören, aber aus meinem Mund kam kein Ton.
Job Wright drehte sich zu Joe um. »Ihr kommt hierher«, spottete er. »Ihr nehmt Euch unsere Geheimnisse und macht falsche Versprechungen. Sagt schon, was Ihr mit diesen Geheimnissen vorhabt! Wie viele von uns stehen in Eurer Schuld?«
»Ich habe euch für eure Geheimnisse bezahlt«, erklärte Joe entschieden. »Mein Teil des Handels ist erfüllt.«
Job triumphierte. »Aha! Es geht also um Geld. Stimmt es etwa nicht, dass Ihr nur deshalb so viel bezahlt habt, damit wir es uns unmöglich leisten könnten, unsere Geheimnisse wieder zurückzukaufen? Auch nicht, wenn wir wollten?«
»Es war ein fairer Handel«, rief Joe, der inzwischen gereizt und der Auseinandersetzung überdrüssig war. »Ich habe nie eine Rückzahlung erwartet.« Alle redeten durcheinander. »Ihr wisst, dass das mein Geschäft ist.«
Job trat so dicht vor ihn hin, dass sich ihre Nasen beinahe berührten.
»Geschäft?«, sagte er verächtlich. »Endlich kommen wir der Wahrheit auf den Grund. Jeremiah Ratchet nennt sich auch Geschäftsmann. Ich verstehe es so, dass zwischen euch beiden gar nicht so viel Unterschied ist.«
Er wandte sich wieder der unruhigen Menschenmenge zu. »Vielleicht haben wir es ja überhaupt auf den falschen Mann abgesehen. Wer weiß, ob nicht Jeremiah Ratchet und unser guter Freund Joe Zabbidou unter einer Decke stecken!«
Ich sah in die wütenden Gesichter vor uns. Es war kaum zu glauben, dass das dieselben Leute waren, die Joe einmal mit offenen Armen aufgenommen hatten. Ich hörte »Lügner« und »Betrug« und war empört. Ich trat einen Schritt vor, weil ich dachte, ich könnte Joe vielleicht schützen, aber er hielt mich zurück.
»Das stimmt nicht«, sagte er. »Ich habe euch nicht angelogen. Ich habe nie verspro…«
Aber Joe konnte nicht ausreden, weil sich die Menge jetzt offen gegen ihn wandte. Sie buhten, sie zischten ihn aus.
Benommen stand Joe da, die Arme schlaff am Körper. Die Leute fingen an, ihn mit Schnee zu bewerfen, mit Steinchen und mit allem, was sie gerade fanden. Da nahm ich ihn an der Hand und zog ihn fort. Hier im Freien waren wir in Gefahr. Nur einmal drehte ich mich um, da sah ich zu meiner Bestürzung Jeremiah Ratchet unter seiner Tür stehen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und als er meinem Blick begegnete, riss er den Mund auf und lachte und lachte.

Ich schloss den Laden auf und ließ die Jalousien herunter. Für den Rest des Tages blieben wir drinnen. Ich konnte immer noch nicht glauben, was geschehen war, ich lief zwischen Laden und Hinterzimmer auf und ab und ließ die Szene in Gedanken noch einmal vor mir ablaufen.
»Wie konnten sie Euch so behandeln? Nach allem, was Ihr für sie getan habt.«
Joe saß ruhig am Feuer. Er hörte mein wütendes Geschimpfe, aber er antwortete nicht. Den ganzen Nachmittag lang sagte er so gut wie nichts, aber ich sah ihm an, dass es in seinem Hirn arbeitete. Was hatte er vor? Wollte er sich rächen an Pagus Parvus? Oder an Jeremiah? Das eine oder das andere war es bestimmt. Doch im Inneren wusste ich, dass er nichts dergleichen tun würde. Sich zu rächen war nicht Joes Art.
Er sprach mit sich selbst und versicherte sich ein ums andere Mal, dass er nichts Unrechtes getan habe. »Immer habe ich ihnen einen gerechten Preis gezahlt«, murmelte er. »Ist der Handel einmal abgeschlossen, ist er abgeschlossen, und keiner ist dem anderen etwas schuldig. Und trotzdem ist es diesen Leuten nicht genug. Sie beschuldigen mich, ich hätte falsche Versprechungen gemacht.«
»Sie haben Euch falsch verstanden«, sagte ich.
Er sah zu mir auf. »Ich habe nichts versprochen. Jeremiah hat mich nicht in seiner Gewalt, aber das heißt noch lange nicht, dass ich etwas gegen ihn tun kann.« Er zog die Stirn so tief in Falten, dass sich beinahe seine Augenbrauen berührten. »Es gibt bestimmte Regeln, und die muss ich befolgen.«
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