»Bis zu dem Moment, an dem ich damit rechne, dass sie ihre Raketen auf uns abfeuern werden«, bestätigte Desjani. »Ich will, dass meine stärksten Waffen und die stärksten Schilde in ihre Richtung weisen.«
Die verbleibenden Minuten verstrichen mit der Langsamkeit, die sich immer dann einstellte, wenn man auf den kritischen Moment wartete. Sobald die Dauntless in den Gefahrenbereich der gegnerischen Raketen gelangte, blieben nur noch Sekunden, um zu reagieren, doch bis dahin lehnte sich Geary mit gelassener Zuversicht zurück und wartete ab, dass Desjani den Befehl gab. Sie schien gar nicht mehr wahrzunehmen, dass er neben ihr saß, so sehr war sie auf ihr Display fixiert.
»Wir erreichen …«
Lieutenant Yuon unterbrach sich, als die Dauntless sich nach unten bewegte und mit maximalem Schub ihrer Hauptantriebseinheiten beschleunigte. Zugleich zündeten die Steuerdüsen an der Backbordseite, sodass das Schiff auf einer Strecke von etlichen Zehntausend Kilometer um die eigene Achse schleuderte.
Geary hielt sich an seinem Sessel fest, da die Trägheitsdämpfer die auf das Schiff einwirkenden Fliehkräfte nicht mehr ausgleichen konnten. Die Dauntless reagierte mit einem tiefen Ächzen auf diese Überbeanspruchung. Auf seinem Display kennzeichneten rote Warnsymbole eine Raketensalve, die eine scharfe Kurve beschreiben musste, um der Dauntless noch folgen zu können.
»Sie haben zuerst gefeuert«, sagte Desjani. »Erbitte Erlaubnis, das Feuer zu erwidern.«
Die Bundes-Schiffe hatten nicht nur das Feuer eröffnet, sie hatten auch gleich einen ganzen Schwarm Raketen auf sie abgefeuert, statt erst einmal einen einzelnen Warnschuss abzugeben. Damit war auch die Frage beantwortet, ob sie auf die Zerstörung der Dauntless aus waren. »Erlaubnis erteilt. Ergreifen Sie alle erforderlichen Maßnahmen zur Verteidigung der Dauntless und der Tänzer-Schiffe.«
Der Hinweis auf eine eingehende Nachricht pulsierte aufgeregt vor ihm. Die Senatoren hatten das letzte Manöver natürlich bemerkt, mutmaßlich, weil sie von ihren Sitzen befördert worden waren.
»Ja?«
Senatorin Costa sah ihn von einem virtuellen Fenster aus zornig an. »Was ist da los?«
»Die Kriegsschiffe der Bundes-Flotte haben ohne Provokation von unserer Seite das Feuer auf uns eröffnet, Senatorin. Dabei haben sie eine Salve auf uns abgefeuert, die genügt hätte, die Dauntless zu zerstören, hätten wir nicht sofort ein Ausweichmanöver unternommen.« Fragen Sie nichts weiter. Fragen Sie bloß nicht weiter.
Gearys stummes Stoßgebet wurde erhört. Costa fragte nicht, was die Dauntless derzeit machte, stattdessen verschwand ihr Bild ohne ein weiteres Wort. Zweifellos ging sie davon aus, dass der Schlachtkreuzer lediglich ein Ausweichmanöver flog, um die Gefahrenzone zu verlassen.
Auf Gearys Display kamen die Raketen der Dauntless weiterhin näher, da sie erheblich engere Kurven fliegen konnten als der Schlachtkreuzer. Ihre Abfangvektoren waren längst auf einen Punkt ausgerichtet, den die Dauntless in Kürze erreichen würde, wenn sie Kurs und Geschwindigkeit beibehielt.
Aber auf Desjanis Befehl hin bewegte sich das Schiff auf einmal nach oben und nach Steuerbord. Die Raketen mussten darauf erst ihren Kurs korrigieren und flogen weit gestreckte Kurven, wobei sie massiv Treibstoff verbrauchten, da sie in aller Eile das jüngste Manöver des Schlachtkreuzers ausgleichen mussten.
»Admiral?« Lieutenant Igers Gesichter war soeben neben Geary aufgetaucht. »Sir, die Anzahl der abgefeuerten Raketen entspricht der Zahl der Raketenschächte, die wir bislang bei den Bundes-Schiffen feststellen konnten.«
»Gut, dann ist … was?« Geary musste sich mit einer Hand festhalten, da Desjanis jüngstes Manöver sie soeben in die andere Richtung schleuderte. »Das ist alles? Bei so vielen Schiffen? Das heißt, die großen Schiffe verfügen jeweils über nur zwei Schächte?«
»Und die kleineren Schiffe haben überhaupt keine«, bestätigte Iger seine Schlussfolgerung.
Geary schaute auf die statistischen Daten. »Diese Schiffe sind kaum besser gepanzert als unsere Hilfsschiffe. Sie sind etwas besser bewaffnet, aber nur geringfügig. Warum baut jemand ein so großes, so teures und kunstvoll verziertes Schiff und bestückt es dann mit so wenigen Waffen?«
»Das … das weiß ich nicht, Sir.«
Tanya hatte recht. Diese Leute haben beim Design ihrer Schiffe völlig vergessen, dass sie damit auch noch Krieg führen wollen. »Captain Desjani, Ihre Einschätzung hinsichtlich der Feuerkraft dieser Kriegsschiffe war zutreffend.«
»Danke, Admiral. Mehr will ich gar nicht wissen.«
Die Gefahrensymbole auf Gearys Display erloschen, da die gegnerischen Raketen mittlerweile ihren Treibstoff aufgebraucht hatten. Sie konnten ihre Flugbahnen nicht länger korrigieren und rasten nun auf ihrem letzten Vektor in die endlose Leere des Alls davon.
Desjani ließ die Dauntless inzwischen wieder auf einen Kurs gehen, der sie nach unten und nach Backbord brachte, während die Bundes-Formation im Begriff war, unter ihnen hindurchzurasen. Diese Schiffe blieben alle stur auf ihren Vektoren, unterdessen nahm die Dauntless letzte kleinere Kurskorrekturen vor.
»Ziele festgelegt«, erklärte Desjani mit lauter und fast schon unnatürlich klarer Stimme. »Ladies and Gentlemen, ich will diese Schiffe haben. Sorgen Sie dafür, dass jeder Schuss ein Treffer wird.«
Dann jagte die Dauntless auch schon durch den Rand des einen Flügels der Bundes-Formation und hatte die gegnerischen Schiffe so schnell hinter sich zurückgelassen, dass das menschliche Auge diesem Geschehen nicht mehr folgen konnte. Die Dauntless zitterte immer noch leicht, da alle Waffen auf den Gegner abgefeuert worden waren, die eine Chance hatten, ins Ziel zu treffen.
Begegnungen im All liefen oft so schnell ab, dass Menschen gar nicht rechtzeitig reagieren konnten. Automatisierte Systeme waren dagegen mühelos in der Lage, das Geschehen zu verfolgen und die richtige Millisekunde zu wählen, damit das Geschoss genau in dem Moment eine Stelle im All passierte, wenn sich dort das anvisierte Schiff befand. Die Sensoren der Dauntless waren aktuell damit befasst, den Ausgang des Zusammentreffens mit der gegnerischen Flotte zu bewerten, während der Schlachtkreuzer selbst wieder nach Steuerbord drehte, um hinter den Bundes-Schiffen aufzutauchen.
Ein Flügel der feindlichen Formation war vollständig verschwunden, drei Korvetten waren ausgelöscht worden, zerrissen vom Sperrfeuer aus Höllenspeeren und Kartätschen, während der Megakreuzer auf dieser Seite in mehrere große Stücke auseinandergebrochen war, die hinter der restlichen Formation durchs All trudelten.
Zwar hatten die Bündler das Feuer erwidert, doch die meisten Geschosse waren an den Schilden der Dauntless gescheitert, lediglich eines war weit genug vorgedrungen, um die Hülle zu beschädigen.
»Bringen Sie den Kartätschenwerfer wieder ans Laufen«, befahl Desjani, die frustriert klang, aber nicht triumphierend. »Wir haben nicht genügend von ihnen erwischt, und jetzt sind wir diejenigen, die den Gegner jagen«, murmelte sie an Geary gewandt, während der Antrieb die Dauntless auf eine noch höhere Geschwindigkeit beschleunigte.
»Die kriegen wir schon«, sagte er in einem Tonfall, der deutlich mehr Zuversicht versprühte, als er in Wahrheit empfand. Mit einem Auge achtete er auf die Anzeige, die angab, unter welcher Belastung die Schiffshülle stand. Der Wert näherte sich der roten Gefahrenzone, da Desjanis Manöver das Schiff bis an die Grenzen dessen trieben, was die Trägheitsdämpfer kompensieren konnten.
Plötzlich kam Unruhe auf, und Geary sah aus dem Augenwinkel, dass die Senatoren auf die Brücke zurückgekehrt waren.
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