Smaug rührte sich und streckte seinen Hals vor, um zu schnuppern. Da vermißte er den Pokal! Diebe!
Feuer! Mord!
Seit er in den Berg gekommen war, hatte Smaug so etwas noch nicht erlebt. Seine Wut überschritt jede Beschreibung. Einer solchen Wut begegnet man nur, wenn reiche Leute, die mehr besitzen, als sie brauchen, etwas verlieren, das ihnen schon lange gehört hat, das sie aber niemals benutzt oder sich überhaupt nur gewünscht haben. Er spie Feuer, die Halle rauchte, er rüttelte an den Festen des Berges. Vergebens warf er seinen Schädel gegen das kleine Loch. Dann rollte er seine ganze Länge zusammen, brüllte wie unterirdischer Donner und raste von seinem tiefen Lager durch das große Tor hinaus in die gewaltigen Gänge des Bergpalastes und hinauf zum Hauptausgang.
Den ganzen Berg abzujagen, bis er den Dieb gefaßt, zertreten und zertrampelt hatte, war sein einziger Gedanke. Er stürzte aus dem Tor. Das Wasser stieg als wütender, pfeifender Dampf auf. Und dann rauschte der glühende Smaug hoch in die Luft und ließ sich in einem Feuerball von grünen und scharlachroten Flammen auf dem Berggipfel nieder. Die Zwerge hörten das schreckliche Rauschen seiner Schwingen. Sie preßten sich gegen die Wände ihrer kleinen Grasterrasse und krochen unter Steine. So hofften sie den furchtbaren Augen des jagenden Drachen zu entgehen.
Hier wären sie alle umgekommen, wenn sie ihren Bilbo nicht gehabt hätten. »Rasch, rasch«, schnaufte er. »Die Tür Der Tunnel! Hier dürfen wir auf keinen Fall bleiben!«
Durch diese Worte zur Besinnung gebracht, waren sie kaum dabei, in den Gang zu entwischen, als Bifur einen Schrei ausstieß: »Meine Vettern! Bombur und Bofur – wir haben sie vergessen, sie sind noch unten im Tal!«
»Sie werden erschlagen werden und unsere Ponys auch, und all unsere Vorräte sind verloren!« stöhnten die anderen. »Und wir können nichts daran ändern!«
»Unsinn!« sagte Thorin, der seine Würde wieder gewann.
»Wir können sie nicht im Stich lassen. Geht hinein, Mister Beutlin und Balin, Ihr auch, und ihr beiden, Fili und Kili – der Drache soll uns nicht alle haben. Jetzt, ihr anderen, wo sind die Taue? Rasch!«
Dies waren wahrscheinlich die schlimmsten Augenblicke, die sie bis jetzt durchzustehen hatten. Das schreckliche Fauchen des zornigen Smaug hallte droben von den Felswänden wider. In jedem Augenblick konnte er wie ein glühender Strom herunterschießen oder durch die Luft wirbeln und entdecken, wie sie am gefährlichen Steilabfall wie die Irren an den Tauen zogen.
Bofur kam glücklich herauf, und es blieb alles ruhig. Dann kam Bombur schnaufend und japsend hinterher. Die Taue krachten. Aber noch immer blieb alles ruhig. Hierauf folgten Handwerkszeug und Verpflegungsbündel. Und dann brach die Gefahr über sie herein.
Ein schwirrendes Geräusch kam aus der Luft. Rote Lichter tanzten auf den Spitzen der Felsgrate. Der Drache brauste heran.
Kaum hatten sie Zeit, in den Gang zu flüchten und ihre Bündel hineinzuschleppen, als Smaug aus dem Norden heranschoß. Seine Flammen fegten über die Berghänge. Seine mächtigen Schwingen brausten wie brüllender Sturm. Sein heißer Atem verbrannte das Gras vor dem Tor, drang durch den Spalt, den sie offengelassen hatten, und versengte die im Verborgenen Liegenden. Draußen flackerte Feuer, und schwarze Felsschatten tanzten einen wirren Tanz. Dann brach wieder Finsternis herein, als der Drache sich davonmachte. Die Ponys schrien vor Entsetzen, zerrissen die Seile und galoppierten davon. Da schoß der Drache hinab, verfolgte sie und war verschwunden.
»Das ist das Ende unserer armen Tiere«, sagte Thorin.
»Nichts, was Smaug einmal gesehen hat, entkommt ihm. Hier sind wir, und hier werden wir bleiben müssen; es sei denn, jemand kommt auf den Gedanken und wandert unter Smaugs Augen die langen Meilen offenen Landes zum Fluß zurück.«
Das war kein angenehmer Gedanke. Sie krochen ein bißchen tiefer in den Gang hinein. Da lagen sie nun und klapperten mit den Zähnen, obgleich es warm und stickig war, bis die Dämmerung durch den Türspalt schimmerte. Dann und wann in der Nacht konnten sie das Gebrüll des fliegenden Drachen hören, der immer noch um die Bergflanken jagte. Manchmal wuchs es an, dann erstarb es wieder.
Die Ponys und die Lagerspuren, die er entdeckt hatte, brachten ihn darauf, daß Menschen stromauf vom See gekommen waren und den Berg von jenem Tal aus erstiegen hatten, wo er die Ponys angepflockt fand. Aber die Tür entzog sich seinen spähenden Augen, und der kleine, hochwandige Kessel hielt die schlimmsten Flammen ab. Lange hatte er vergebens gejagt, bis der Tau seinen Zorn kühlte und er zu seinem goldenen Lager zurückkehrte, um zu schlafen und neue Kräfte zu sammeln. Den Diebstahl aber würde er nie vergessen, nie vergeben, selbst wenn ein Jahrtausend ihn in einen still schwelenden Fels verwandeln sollte. Smaug konnte warten. Still und schweigsam kroch er in seine Höhle und schloß die Augen nur halb.
Als der Morgen kam, löste sich der Schrecken der Zwerge ein wenig. Sie sahen ein, daß Gefahren dieser Art schlechterdings unvermeidlich waren, wenn man es mit einem solchen Wächter zu tun hatte, und daß es nicht gut wäre, gerade jetzt die Unternehmung abzublasen. Auch konnten sie gar nicht aus der Falle heraus, wie Thorin schon angedeutet hatte. Ihre Ponys waren davongelaufen oder getötet, und sie hätten schon eine ganze Weile warten müssen, bis Smaugs Wachsamkeit wieder so weit eingeschläfert war, daß sie den langen Weg zu Fuß wagen durften. Glücklicherweise hatten sie von den Vorräten so viel gerettet, daß es für eine Weile reichte.
Sie stritten lange darüber, was jetzt getan werden sollte. Jedoch es fiel ihnen nichts, aber auch gar nichts ein, wie sie Smaug loswerden konnten. Nun, das war ja schon immer der weiche Punkt in ihren Plänen gewesen. Bilbo fühlte sich veranlaßt, dies zu bemerken. Aber wie es in der Natur von Leuten liegt, die ganz und gar verwirrt sind, so fingen sie jetzt an, gegen den Hobbit zu murren. Ja, sie beschimpften ihn für das, was ihnen erst so sehr gefallen hatte. Bilbo, der den Pokal gestohlen hatte, war jetzt schuld, daß Smaugs Zorn so früh entflammt war.
»Was soll ein Meisterdieb denn anderes tun?« fragte Bilbo ärgerlich. »Ich wurde nicht angestellt, um Drachen zu töten das ist Kriegshandwerk. Schätze sollte ich stehlen. Ich machte den besten Anfang, den ich machen konnte. Oder habt ihr erwartet, daß ich den ganzen Hort von Thror auf einmal auf dem Rücken herschleppe? Wenn hier jemand zu murren hat, so bin ich es. Ihr hättet fünfhundert Meisterdiebe mitbringen sollen und nicht bloß einen. Es wirft bestimmt ein gutes Licht auf euren Großvater, aber ihr könnt nicht behaupten, daß ihr mir jemals das Riesenausmaß seines Reichtums klargemacht habt. Ich müßte Hunderte von Jahren schleppen, um alles heraufzuholen – falls ich fünfzigmal so groß und Smaug so zahm wie ein Kaninchen wäre.«
Hierauf baten die Zwerge natürlich um Verzeihung. »Was aber schlagt Ihr vor, Mister Beutlin?« fragte Thorin höflich.
»Ich habe im Augenblick keine Idee – falls es Euch um den Abtransport des Schatzes zu tun ist. Das hängt offensichtlich ganz davon ab, ob das Glück sich noch einmal wendet und wir Smaug loswerden können. Mit Drachen fertig zu werden liegt ganz und gar nicht in meiner Linie. Aber ich will mein Bestes tun und darüber nachdenken. Persönlich, das muß ich sagen, habe ich keine Hoffnung, und ich wünschte bloß, ich wäre glücklich wieder zu Hause.«
»Das spielt im Augenblick keine Rolle. Was soll jetzt geschehen, heute?«
»Schön, wenn Ihr wirklich meinen Rat haben wollt, so meine ich, daß wir nichts anderes tun können, als da zu bleiben, wo wir sind. Am Tage können wir bestimmt ohne große Gefahr hinauskriechen und Luft schöpfen. Vielleicht brauchen wir nicht allzulang zu warten und können einen oder zwei zurück zum Lager am Fluß schicken, damit unsere Vorräte ergänzt werden. Aber in der Zwischenzeit sollte nachts jeder schön brav im Tunnel sein.
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