»Oh, das glaube ich kaum, Brithelm! Für dich ist die Welt vielleicht wirklich ein Ort des Vertrauens, aber ich kann mich darauf verlassen, daß Bayard Blitzklinge mich zerlegt, wenn er diese Geschichte erfährt.«
»Dann«, entschied Brithelm, »ist eben Zerlegen angesagt. Möchtest du deine Suppe?«
»Nein… Ich bin kein bißchen hungrig. Auch kein bißchen nüchtern nach dem ganzen süßen Wein, den du mir verabreicht hast. Ich bin aber noch nicht betrunken genug, um alles aus meiner dunklen Vergangenheit zu gestehen. Ich fürchte, dazu brauchte ich Zwergenschnaps oder Stärkeres.«
Brithelm nickte und versenkte sein breites Gesicht in der Suppenschüssel. Als er wieder Atem holte, hatte er wenig zu sagen.
»Wir gehen zu Bayard, sobald du das Fieber überstanden hast. Also, wir müssen zu ihm. Denk doch mal an Sir Robert. Denk an Enid – wenn auch nur die Hälfte von dem, was der Rabe verkündet hat, wahr ist, schwebt sie in schrecklicher Gefahr. Denk an Agion.«
Irgend etwas jenseits von Wein und Fieber zwang mich dazu. Dieses Mal war ich mir sicher.
»Brithelm, ich muß es heute nacht tun. Morgen mittag wird Bayard schon fort sein – darauf kannst du wetten. Er ist zu niedergeschlagen, um zur Hochzeit zu bleiben. – Die Hochzeit!«
»Hab ich auch vergessen«, erklärte Brithelm ruhig. »Sind das da am Boden der Schüssel Kartoffeln? Ich habe sie übrig gelassen, weil ich dachte, es sind Rüben.«
»Wir müssen Bayard holen, und zwar heute nacht!«
»Sehr richtig«, stimmte Brithelm zu und beugte sich neugierig über die Suppenschüssel.
Er sah mich wieder an, als ob er durch mich hindurch sehen könnte.
»Und keine Lügen diesmal, Galen. Nicht wie Alfrik.«
Er mußte meinen überraschten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn er lachte, schaute nach unten und rührte mit seinem Finger in der Schüssel herum.
»Du hast doch nicht etwa gedacht, ich hätte unserem Bruder seine Heldengeschichten geglaubt?«
»Aber warum…«
Er blickte wieder hoch und lächelte mich an.
»Einfach weil es ihm dann besser geht. Er war furchtbar beschämt – immer wieder hatte man ihn als Knappe übergangen, und als er schließlich etwas dagegen tun wollte, hat ihn sein kleiner Bruder bis zum Bauch im Wächtersumpf stecken lassen, wo er um Hilfe schrie, bis sein mittlerer Bruder ihn retten kam. Er brauchte ein bißchen… Ausschmückung für seine Geschichte, den Teil, wo er der Held war.«
»Aber was ist mit mir, warum soll ich Sir Bayard alles erzählen?«
»Gleicher Grund.«
Wieder blickte er in die Schüssel und rührte noch etwas um.
»Kartoffeln werden so durchsichtig, wenn man sie zu lange kocht. Sind das hier Rüben, Galen?«
Er hielt mir die Schüssel hin und hatte wieder sein seliges, leeres Grinsen aufgesetzt.
Wie man sich leicht vorstellen kann, war Bayard nicht gerade übermäßig erfreut, mich zu sehen. Die Nachtluft drang noch viel eisiger durch meinen Mantel als oben in den Bergen, so daß ich zitternd zu dem Pavillon kam, wo am Nachmittag seine Standarte gehißt worden war, und wo er allein und abseits von den anderen Rittern saß. Er hatte sich in die Decke gewickelt, aus der er den prächtigen Schild der Blitzklinges gezogen hatte, und zitterte ebenfalls in der kalten Herbstnacht. Der Schild lag mit der Vorderseite zur Erde achtlos neben ihm.
Die Nacht war immer noch bewölkt und kühl. Nicht weit von Bayard tranken die anderen Ritter Roka, machten Musik und erzählten sich Geschichten. Sie genossen die Gesellschaft, bevor die meisten von ihnen ihr Lager abbrechen und nach Palanthas, Kargod und Solanthus aufbrechen würden, zu den wenigen Orten, wo der Orden immer noch zugelassen und sogar willkommen war. Als Brithelm zwischen ihnen hindurchging, blieb ihm vor Staunen über die Geschichten der Ritter der Mund offen stehen.
»Glaubst du, daß das wahr ist, Galen – all diese Geschichten über Seeungeheuer und Entführungen durch Adler? Glaubst du, daß Sir Ramiro da drüben wirklich ein sprechendes Schwert hat?«
»Ich schätze, es tut ihm einfach gut, den anderen davon zu erzählen, Brithelm«, antwortete ich geistesabwesend, weil mein Blick durch den Halbschatten von Feuerschein und Dunkelheit auf das Lager meines vormaligen Beschützers fiel.
Der am Rand im Zwielicht vor sich hin brütete und seine Aufmerksamkeit offensichtlich auf die Sterne gerichtet hatte. Es war ein regelrecht mitleiderregender Anblick, und ich fürchte, Bayard tat mir richtig leid.
Ich versuchte, an dem Trubel vorbeizuschlüpfen, und hätte dies auch leicht geschafft bei all den Geräuschen, dem Becherklappern und den Prahlereien.
Aber der Rauch von den Lagerfeuern oder der Staub, den der Wind aufwirbelte, (oder vielleicht auch nur die schiere Müdigkeit) brachten mich dermaßen zum Niesen, als hätte ich mich quer durch ein Feld voller Goldruten gewälzt. Als der Anfall vorbei war, schniefte ich und lief weiter, als ob ich zum Lager gehörte oder eine Nachricht für meinen Herrn hätte, die keinen Aufschub duldete.
Sir Ramiro vom Schlund mit seinen vierhundert Pfund hielt mich auf, bevor ich zu Bayard gelangen konnte.
»Ich würde nicht zu ihm gehen, wenn ich du wäre, Junge. Er scheint nicht so zufrieden mit den ganzen Begleitumständen dieses Turniers zu sein, und soweit ich das sehe, hattest du bei seiner Verspätung ein bißchen die Hand im Spiel.«
»Also redet er darüber, ja?« fing ich an. Doch Ramiro wedelte so rasch mit seinen fetten Händen, daß seine Unterarme bebten.
»Nein, nein, Junge, solche Worte würdest du von Bayard Blitzklinge niemals hören. Dein Bruder hat bei dem Bankett vorhin ziemlich herumgetönt und schien höchst angetan davon, daß du Sir Bayards Absichten so dreist zunichte gemacht hast. Falls das also wirklich so ist und du jetzt Vergebung suchst, würde ich dir raten, bis morgen zu warten.«
Der große Ritter baute sich vor mir auf und verschränkte die Arme vor seiner umfangreichen Brust. Es war, als würde einem ein Tor vor der Nase zugeschlagen, und ich trat zurück – um ein Haar in das fröhliche Lagerfeuer von zwei Rittern aus Kargod. In meiner alleramtlichsten Stimme, die mindestens eine Oktave tiefer war, sagte ich:
»Bayard ist also nicht zufrieden mit mir, Sir Ramiro? Vielleicht wird es ihn befriedigen, wenn die Familie di Caela, einschließlich der schönen Enid, nun doch noch von dem Fluch eingeholt wird, den sie seit vierhundert Jahren mit sich herumschleppen.«
»Wieder der Fluch? Ich dachte, die di Caelas hätten diese Geschichte zu den Akten gelegt.«
»Bitte laßt mich durch, Sir. Die Hiobsbotschaften sind zuerst für Sir Bayards Ohren bestimmt.«
Ich hustete wieder und begann den langen Umweg um Sir Ramiro. Er wollte sich wieder in den Weg stellen, doch Brithelm lenkte ihn mit ein paar Fragen über sein sprechendes Schwert ab, und ich konnte frei durch das Lager zu Bayards Platz laufen, der dort in Decken und düstere Gedanken gehüllt saß und die Sterne beobachtete.
Ich blieb stehen und sortierte meine Gedanken, während Bayard den Mond betrachtete.
»Es geht um Kastell di Caela, Sir. Da sieht’s nicht gut aus, fürchte ich.«
»Also wollte Robert dich auch nicht haben?« fragte Bayard eisig, während er nach wie vor über mich hinweg auf das Firmament starrte. Ich folgte seinem Blick zum Zenit des Himmels, wo die beiden Drachen um das Buch von Gilean tanzten. Schwarze Wolken trieben rasch vor den Sternen vorbei. In der Luft lag ein Geruch, der Regen ankündigte.
Alles war seltsam und bedrohlich, und zu meinen Füßen saß ein widerborstiger Ritter.
»Es ist komplizierter als das, Bayard«, setzte ich an.
»Ja, es ist eine komplizierte Situation, Galen«, fauchte er, wobei seine Augen mit der Betrachtung des Himmels aufhörten, um mir trübsinnig direkt ins Gesicht zu schauen. »Aber ich habe das Rätsel gelöst. Die Lösung ist, daß die Söhne von Andreas Pfadwächter – trotz aller guten Absichten ihres Vaters – wie Krabben in einem Glas sind: Einer klettert auf den anderen, bis er den Rand erreicht, dann greift der unter ihm hoch und zieht ihn runter. Außer dem mittleren Sohn, der sich irgendwie an gute Grundsätze hält.«
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