»Dieser junge Mann hier hat Schlimmes durchgemacht«, sagte er warmherzig. »Kein Wunder, daß diese Härten… seinen Verstand vernebelt haben, so daß er Feinde sieht, wo es keine gibt. Wenn ich irgend etwas tun kann, damit es ihm besser geht, werde ich überglücklich sein, dies nach der Zeremonie zu tun.«
Sir Robert blickte seinen zukünftigen Schwiegersohn von der Seite an – ein Blick, der keine Wertschätzung enthielt.
»Aber, Sir Gabriel«, seufzte er, »die Zeremonie steht natürlich in Frage. Denn wenn nur eine Unze Wahrheit in dem liegt, was der Junge sagt – «
»Daß ich Benedikt di Caela bin?« unterbrach Sir Gabriel ungläubig, um dann in lautes, schreckliches Gelächter auszubrechen. »Ihr seid zu argwöhnisch, Sir Robert. Ihr seid zu lange von dem Fluch beherrscht worden, den Eure Vorfahren heraufbeschworen haben.«
Er lächelte böse und lehnte sich gegen den Wandbehang.
»Aber wir wollen doch fair sein. Hat der Junge auch nur den kleinsten Beweis, mal abgesehen von seinem fiebrigen Zeugnis?«
Bayard und Sir Robert sahen mich an.
Meine Gedanken überschlugen sich.
Beweis? Aus den Bergen? Aus dem Sumpf?
Nichts.
Aus…
»Bayard, bitte bringt mir meinen Mantel. Er liegt da drüben beim Feuer.«
Bayard tat, was ich sagte, ohne Gabriel Androctus aus den Augen zu lassen.
Der jetzt verwirrt und vielleicht ein wenig verunsichert aussah.
Bayard reichte mir den Mantel, der am Kamin angewärmt und teilweise getrocknet war. Die Falten aber waren immer noch von dem kräftigen Regenguß der letzten Nacht durchnäßt. Ich hustete bei dem Geruch nasser Wolle und tastete dann in den Taschen herum. Da waren die Calantina-Würfel, die Handschuhe…
»Da sind sie!«
Sir Bayard und Sir Robert beugten sich interessiert nach vorne. Sir Gabriel machte einen kurzen, zögernden Schritt zur Tür hin.
»Diese Steine!« verkündete ich, wobei ich die klamme Kordel des Beutels aufzog und das halbe Dutzend Opale über das Bett kullern ließ, wo sie sich weich und weiß und zart von dem groben Bettuch abhoben.
»So?« schoß Sir Gabriel schnell zurück. »Das ist also der Beweis meiner Schuld?«
»Das will ich wohl meinen! Das sind genau die Opale, mit denen Ihr mich bestochen habt, als diese ganze unschöne Geschichte losging. Als Ihr damals in der Wasserburg meines Vaters Sir Bayards Rüstung wolltet und sie bekamt und Gott weiß was für Unheil damit – «
»Genug, Galen«, warnte Bayard. »Du hast dich klar ausgedrückt. Überzeugt Euch das, Sir Robert?«
»Nicht, wenn er nicht ein größerer Esel ist, als ich glaube«, schnappte Sir Gabriel, als Sir Robert sich übers Bett beugte und einen der Opale aufnahm, um ihn ins Licht zu halten. »An wie vielen Orten, frage ich, könnte ein Junge mit Galen Pfadwächters… Neigungen einen Beutel voller Halbedelsteine ›gefunden‹ haben?«
»Was soll das mit dem ›größeren Esel, als Ihr glaubt‹, Androctus?« fauchte Sir Robert mit rotem Gesicht zurück. »Für wie blöd hältst du mich eigentlich, du säbelrasselnde Primadonna?« brüllte er, so daß Bayard zwischen die beiden Männer sprang, um sie auseinanderzuhalten.
Androctus machte noch einen Schritt auf die Tür zu. »Ihr habt mich mißverstanden, Sir«, flötete er. »Ich meinte nur, daß er sie überall gefunden haben könnte, und daß die Tatsache, daß er sie bei sich hatte, nicht zu dem Schluß führen kann, daß ich ihn mit den Steinen bestochen habe.«
Sir Robert beruhigte sich wieder und gewann seine Würde zurück. Er sprach kalt und ohne Umschweife.
»Aber das hier sind weiße Opale, Sir Gabriel. Aus Estwilde. Wie es sie nur in Estwilde und dort auch nur in den Minen der Trotylhalde gibt.«
»Wo Benedikt di Caela gefallen ist!« rief Bayard aus.
»Naja, nicht ganz«, unterbrach ich. »Benedikt di Caela fiel am Chaktamir Paß…«
»Woher weißt du das?« rief Sir Robert aufgeregt aus und drehte sich so schnell zu mir um, daß er das Gleichgewicht verlor, aufs Bett fiel und die Opale verstreute. »Das ist der Teil der Geschichte…«
»Den die di Caelas verschweigen?« unterbrach Androctus, dessen schwarze Augen vor Wut blitzten, während seine Stimme auf einmal überraschend gleichmütig war, richtig ruhig. »Und warum verschweigen sie diesen Teil der Geschichte, Sir Robert? Nun, weil die ganze, trauervolle Geschichte voller Schurken ist, nicht wahr? Und nicht nur der ewig verteufelte Benedikt.«
Er drehte sich langsam um und fingerte am Rand des Wandbehangs herum. Es war ein ansprechendes Jagdbild, fünf Ritter zu Pferd, die alle erkennbar das Profil der di Caelas trugen.
Mit einem schnellen Schritt stellte sich Androctus an die Mitte des Wandbehangs und zeigte auf die erste, berittene Gestalt. »Gabriel di Caela der Ältere hat einen Sohn enterbt, der von Rechts wegen in der nächsten Generation der Erbe des di Caelas hätte sein sollen.«
Die Gestalt auf dem Wandbehang verschmorte. Langsam und ohne Rauch verbrannte sie. Wir alle standen sprachlos und mit offenem Mund da und überlegten, welche Chancen wir noch hatten. Sir Robert trat auf Gabriel zu, dann überlegte er es sich anders. Bayard legte eine Hand auf sein Schwert, doch er wartete, daß Gabriel zuerst zog.
Gabriels Hand fuhr zum hintersten Reiter, als ob der Teppich eine Karte und er ein Geschichtslehrer wäre. »Dann stellte Gabriel di Caela der Jüngere eine Armee gegen seinen enterbten Bruder auf, besiegte diesen Bruder in der Schlacht auf der Trotylhalde und hetzte ihn dann nach Westen auf die Ebenen von Neraka, bis sie beide Chaktamir, den hohen Paß, erreichten und dort…«
Die Gestalt von Gabriel dem Jüngeren fing genauso langsam Feuer.
»Genug!« schrie Sir Robert di Caela, um dann leise hinzuzufügen: »Und woher kennt Ihr diese Geschichte, Sir Gabriel?«
»Oh, Allgemeinbildung«, lächelte Sir Gabriel. »Und das da sind auch ganz normale Edelsteine, auch wenn es weiße Opale aus Estwilde sind. Ich meine, die Würfel des Jungen sind auch aus Estwilde, und kein Einbrecher – «
»Was für Würfel denn, Sir Gabriel?« warf Bayard ein. »Wie kommt es, daß Ihr Galen noch nie begegnet seid und dennoch den Inhalt seiner Taschen kennt?«
Androctus hielt inne und starrte mich an.
In den schwarzen Pupillen seiner Augen glomm ein rotes Feuer. Noch war es gezähmt, doch es war unverkennbar da – mit all dem Bösen und all den bösen Absichten. Das Feuer erlosch und wurde schwarz, und der finstere Ritter wandte sich ruhig an Bayard.
»Sein Bruder«, erklärte Androctus. »Wie heißt er noch… Alfrik Pfadwächter? Der hat mir gestern nacht, als er beim Bankett herumgeprahlt hat, von Galens Aberglauben erzählt. Unangenehmer kleiner Kerl.«
»Reichlich schwach, Sir Gabriel«, stellte Sir Robert trocken fest. »Das räumt unsere Zweifel nicht aus. Anscheinend haben wir keine andere Wahl, als die Hochzeit eine Woche zu verschieben. Ich bedauere die Unannehmlichkeiten, die allen Gästen dadurch entstehen, aber der Aufschub ist unvermeidbar, wenn wir die Wahrheit in dieser verworrenen Angelegenheit herausfinden wollen.«
»Die Wahrheit?« hakte Sir Gabriel wütend nach. »Was versteht Ihr schon unter Wahrheit?« Er drehte sich am Wandteppich um und verschränkte die Arme vor sich.
»Die Wahrheit ist schlichtweg, daß ich Euch nicht mag, Sir Gabriel Androctus«, fauchte Sir Robert, dessen Gesicht unter seinem silbernen Schnurrbart knallrot angelaufen war. »Und ich bin immer noch sehr lebendig und Herr dieses Schlosses, das ich verdammt noch mal dem geben kann, der mir gefällt. Ich verliere dabei vielleicht ein wenig an Ansehen, aber wenn Ihr Benedikt di Caela seid, dann ist es mir das wert. Selbst wenn Ihr es nicht seid, wäre allein der Ausdruck auf Eurem Gesicht es vielleicht schon wert, mein Wort zurückzunehmen!«
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