Du kannst dir vorstellen, Galen, wie überrascht wir waren, als wir dich und Bayard und diesen Pferdemann…«
»Agion.«
»Wer auch immer… gegen diesen Oger oben auf dem Paß anrennen sahen. Ich hab’s mir von weitem angeschaut. Brithelm konnte nicht so weit sehen – daß er überall dagegen rennt, liegt einfach an seinen schlechten Augen, wußtest du das? Also sage ich, daß Bayard gewinnt, und er glaubt mir. Sonst wäre er bestimmt nach unten gestürmt, um sich einzumischen.
Als ich dann sah, daß ihr es euch für die Nacht bequem gemacht hattet, sind Brithelm und ich vorbeigezogen und weiter durch die Berge geritten.«
»Dann habe ich in jener Nacht am Feuer wirklich deine Stimme gehört!«
»Kommt mir anständiger vor, wenn man seinen Bruder mit zwei fähigen Begleitern auf einem Bergpaß zurückläßt, als allein und bis zum Bauch im Treibsand«, gab Alfrik weise von sich. »Denk darüber nach, wenn du zu fromm wirst.«
Ich rutschte hinter den Tisch zurück.
»Du kannst vielleicht jetzt deine Chance als Knappe bekommen, Alfrik. Wegen ein paar Sachen, die im Sumpf und in den Bergen vorgefallen sind, hat Bayard keine Verwendung mehr für mich. Wahrscheinlich sucht er sich gleich einen neuen Knappen. Du kannst ihn heute abend draußen in seinem Lager finden.«
»Das wär’s dann wohl, hm, Bruder?« feixte Alfrik, während er sich aufs Bett setzte. »Ich laufe aber nicht mehr Bayard Blitzklinge nach. Der ist zu spät gekommen. Der ist nicht mehr der Favorit.«
»Das heißt?«
»Gabriel Androctus ist es«, verkündete Alfrik frohlockend. »Er hat das Turnier und die Hand von Lady Enid gewonnen. Er wird der bedeutendste Ritter in diesem Teil von Solamnia werden.
Vielleicht braucht er ja gerade einen neuen Knappen, und wenn das so ist, dann werde ich dieser Knappe sein.«Vor der Tür meines Zimmers sangen in den Gängen von Kastell di Caela die mechanischen Kuckucks.
Ich wachte von meinem Nickerchen auf. Alfrik war immer noch fort. Zweifellos bereitete er sich auf das große Festessen des Polterabends vor, das den Trauungsfeierlichkeiten vorausging.
Zweifellos zog er sich viel zu fein an. Weil er zweifellos versuchen wollte, eine Audienz bei Gabriel Androctus zu bekommen – eine Chance, sich kriechend und stiefelleckend den Weg zum Knappendasein zu bahnen.
Brithelm war auch irgendwo in Kastell di Caela, obwohl niemand genau wußte, wo. Er war kurz nach der unseligen Begegnung von Gabriel Androctus mit Sir Prosper von Zeriak eingetroffen und fast unverzüglich abgezogen – ohne Frage auf der Suche nach einem stillen Plätzchen im Schloß, wo er meditieren konnte.
Was alles ganz gut war. Ich brauchte etwas Zeit zum Umdenken.
Ein guter, gesunder Schlaf war in diesen Räumen unwahrscheinlich bei all diesem Gezirpe und Gesinge und Gepiepse von den kleinen Metallvögelchen vor meiner Tür. Wäre es nur ein Vogel und ein weniger reiches Haus gewesen, so hätte ich an den Rufen die Zeit bis zum Essen ablesen können, denn Kuckucke kamen damals als so eine Art mechanischer Zeitmesser in Mode.
Modisch, ja, aber nicht zuverlässig. Da die meisten der Vögel von Gnomen stammten, riefen die meisten nicht so regelmäßig, wie es ihre Hersteller versprochen hatten. Statt dessen riefen sie mal gar nicht, mal unaufhörlich, bis sie kaputt waren, oder sie riefen zu unregelmäßigen Zeiten, wobei Metall über Metall kratzte, so daß der Zuhörer sich wünschte, die Zeit würde anhalten oder er hätte das ganze verdammte Zeug überhaupt nie gekauft.
Die di Caelas waren natürlich eine zu alte und zu reiche Familie, um sich um die genaue Uhrzeit zu scheren. Sie lebten in einem Herrenhaus, wo Vergangenheit und Gegenwart nebeneinander existierten und niemand je das eine dem anderen vorzog. Und darüber hinaus waren sie so reich, daß man, wenn sie wirklich mal zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein mußten, einfach mit dem wichtigen Ereignis wartete, bis sie kamen. Die Vögel dienten nur der Dekoration und den angenehmen Geräuschen, die sie nach Ansicht mancher di Caelas anscheinend von sich gaben.
Diese Geräusche waren für manchen Gast jedoch nicht angenehm. Die Kuckucksrufe rissen mich aus meinen Gedanken, die sowieso schon von Fragen gequält wurden, die früher oder später gestellt werden mußten.
Warum hatte ich Sir Bayard Blitzklinge verlassen, der sich vor knapp vierzehn Tagen so großzügig dazu herabgelassen hatte, mich als Knappen mitzunehmen, obwohl mein Vater erhebliche Einwände gehabt hatte?
Warum war Sir Bayard eigentlich zu spät zum Turnier gekommen, und was hatte ich mit diesen Verzögerungen zu tun?
Je mehr ich über meine Lage nachdachte, desto mehr schien eine Rückzahlung an Sir Bayard angebracht. Ich zog die Würfel heraus und warf die Calantina.
Zeichen des Hirsches. Was völlig aus der Luft gegriffen war, wie ich fand.
Nun, ich glaubte sowieso nicht mehr so recht an die Calantina. Ich versuchte es noch einmal, weil ich auf ein Zeichen hoffte, das ich besser verstehen und lieber mögen würde.
Zeichen der Ratte. Mal wieder. Ich erinnerte mich an das letzte Mal, wo ich das geworfen hatte. Das war in der Wasserburg gewesen.
Also schön. Ich würde wieder gehen. Wieder einmal war das Wiesel eine Ratte.
Ich stand auf, nahm meinen Mantel vom Bett und ging zur Tür. Dort legte ich mein Ohr an die Tür und lauschte. Draußen im Gang war es ziemlich still. Anscheinend waren die Kuckucke in diesem Gang abgelaufen oder kaputt oder fürs erste fertig, bis ihre Rädchen irgendwann in zehn Minuten bis drei Tagen an den Punkt kamen, wo sie wie ein völlig durchgedrehtes Uhrwerk wieder loslegen würden.
Ich öffnete langsam die Tür und trat auf den Gang. Auf Zehenspitzen schlich ich an den metallenen Wächtervögeln vorbei und strebte den Gang entlang auf die Treppe zu. Dabei umklammerte ich immer noch meinen Mantel.
Der von Vögeln beherrschte Gang endete mit einem Bogen, der auf einen Treppenabsatz oberhalb des großen Raumes führte, wo Sir Robert zum erstenmal von der bevorstehenden Hochzeit seiner Tochter gesprochen hatte. Ich stand bei dem Bogen und sah die Treppe hinunter.
Auf diesem Absatz hatte Lady Enid gestanden und die Vögel nachgestellt. Ich sagte der Lady schweigend Ade in der Hoffnung, daß die di Caelas – sowohl die liebliche Enid als auch ihr eleganter Vater – eines Tages im großen Saal der Wasserburg ein paar Tränen vergießen würden, wenn Alfrik die Nachricht erhielt, daß sein kleiner Bruder in einem fernen Land einen vorzeitigen Tod gefunden hatte. Vielleicht würden sie sich dann wünschen, sie hätten diesen jüngsten Pfadwächter gekannt: den unbeugsamen Galen, das durchtriebene, aber gutherzige Wiesel.
Ich schniefte, weil ich durch diese traurige Szene in meiner Vorstellung selbst zu Tränen gerührt war. Dann wollte ich die Treppe hinuntergehen.
In diesem Moment begann der Vogel rechts von mir zu kreischen – laut und schmerzerfüllt, als wenn ihn jemand entzweireißen würde. Überrascht warf ich mich herum und schmiß meinen Mantel über das quäkende, mechanische Ding, das unter den grauen Falten weitertanzte. Sein Schreien kam erstickt, er war aber immer noch nicht still. Ich sah hinter mich zu meinem Zimmer, dann wieder vor mir die Treppe hinunter.
An deren Fuß Enid stand, die ihre kleine Hand auf das Geländer gelegt hatte und mich aus braunen Augen neugierig und amüsiert ansah.
»Spiel nicht an den Apparaten rum, Junge«, sagte sie ruhig. »Sonst klingen sie noch schlimmer. – Obwohl man sich bei dem, den du gerade zugedeckt hast«, fuhr sie fort, während sie die Treppe hochkam, »kaum noch vorstellen kann, daß etwas den Klang noch mehr beschädigen könnte.«
Sie duftete nach Flieder und nach verlorener Zeit.
Ich fand meine Stimme wieder, die zweifellos schon den halben Gang zurückgeflohen war. »Der da kommt einem etwas… heiser vor, Lady Enid. Aber die anderen, wenn ich so kühn sein darf…«
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