»Ich respektiere die Entscheidung meines Herrn und Beschützers, Sir Robert, doch wenn Eure Hoheit einverstanden ist, würde ich heute nacht lieber in Kastell di Caela bleiben.«
Bayard und Sir Robert starrten mich mit offenem Mund an.
Wir standen an der großen Mahagonitür zum Schloß – zwei Mann hoch und fünfmal so schwer –, und es war, als wäre diese Tür plötzlich auf uns vier heruntergekippt.
»Sicher, junger Mann, die Gastfreundschaft dieses Schlosses steht dir frei…«, begann Sir Robert. Ich konnte das große »Aber« in seinem Satz kommen hören, deshalb reagierte ich sofort.
»Dann nehme ich Euer freundliches Angebot an, Herr.« Ich drehte mich zu den Pferden um, um meine Sachen vom Packpferd zu nehmen, denn ich wußte, daß beide Ritter sich viel zu fein waren, um in meiner Abwesenheit eine Entscheidung über meinen Verbleib zu treffen.
Das ist das Beste an der guten, alten solamnischen Höflichkeit: Man kann sich darauf verlassen, daß die Leute, die man ausnutzt, prinzipiell anständiger sind als man selbst. Als ich zu den Pferden lief, konnte ich mich entspannen und mich zum erstenmal umsehen, weil ich wußte, daß während Galens Abwesenheit keine Intrigen gesponnen wurden.
Kastell di Caela war weniger eine Burg, als vielmehr eine von Mauern umgebene Stadt, jedenfalls sah es damals für mich so aus. Häuser und Unterstände mit Strohdächern säumten die Innenseite der Torwand. Sie dienten anscheinend entweder als Heim oder als Geschäft für Bauern und Pächter, die hier Waren tauschten, miteinander stritten und mir Hühner anboten.
Nachdem unsere Pferde erstmal hinter den Burgtoren waren, schienen sie gelöster. Jetzt quälte sie nur noch der Hunger. Während einer der Bauern einen anderen beschimpfte, fischte ich mehrere Rettiche aus dem Korb vor seinem Stand und bot sie der Stute an. Sie fraß selig. Erst schnaubte sie kurz angesichts des ersten, scharfen Geschmacks der Pflanze, doch dann kaute sie laut und genüßlich, wobei sie entzückt ihre großen, braunen Augen schloß.
Ich sah der Stute beim Kauen zu, während ich vorsichtig meine Tasche aus dem unordentlichen Haufen auf dem Packsattel zog. In solchen Zeiten möchte man ein Pferd oder Maultier sein – frei von Sorgen über die Zukunft und vor allem von der gegenwärtigen Politik. Wenn ich mich nur darum zu sorgen habe, wo der nächste Rettich herkommt, schleppe ich mit Freuden eine hundert Pfund schwere Rüstung.
Ich warf einen Blick über die Schulter, wobei ich darauf achtete, meine Hände hinter dem Rücken zu verstecken, falls das Packpferd meine Finger mit weiteren Radieschen verwechselte.
An der Tür zur Burg redeten Sir Robert und Bayard immer noch – anscheinend ruhig, auch wenn ich selbst von hier aus sehen konnte, daß Bayard wegen des Ungehorsams seines Knappen immer noch schamrot war. Wie auch immer, eigentlich dachte ich ja, daß ich nicht mehr sein Knappe war.
Was nicht bedeutete, daß ich ihm nicht mehr diente.
Denn es gibt nichts, was einen Jungen gedanklich so sehr zu sich selbst zurückbringt wie ein langer Ritt, bei dem nicht gesprochen wird. Besonders wenn er die Gedanken seines Gefährten kennt und weiß, daß sie nicht besonders freundlich sind. Auch wenn das ganze Hügelland von Solamnia zwischen dem Fuß des Vingaard-Gebirges und den Toren von Kastell di Caela gelegen hätte, wäre die Reise nicht lang genug gewesen, den Gedanken an diesen schmalen Paß und den prahlerischen Ogerkopf zu entrinnen.
Und an unseren gefallenen Freund mit seinem armseligen Steingrab.
Was ich Agion schuldete, würde ich nie wieder gutmachen können.
Aber auch Bayard schuldete ich eine ernsthafte Buße und wollte mich ans Werk machen. Doch das ging besser in diesem Schloß, wo seine Hoffnungen auf Macht und Heirat in Trümmern lagen, als von irgendeinem einsamen Lager aus.
Schließlich nannte man mich Wiesel.
Wenn alles andere fehlschlug, konnte ich mich bei Robert di Caela einschmeicheln. In den nächsten Tagen würde ich um den alten Mann herumflattern und jedes Wort, jede Tat von ihm bewundern. Selbst seine Gesten würde ich bestaunen. Enid würde ich wie meine geliebte, ältere Schwester behandeln, egal, wie stur und dumm sie sich aufführen mochte, und ich würde von Sir Robert lernen, wie man sein Land verwaltet, während diese neugefundene Schwester in irgendwelchem Ödland von Gabriel Androctus enttäuscht werden würde. Ich würde Sir Robert das leere Nest füllen, und wenn die Frage des Erbes aufkäme (was angesichts der Stärke und offensichtlichen Gesundheit der di Caelas noch Jahre hin war), hatte ich ihn vielleicht genug becirct, daß man von mir in den Sälen hörte, wo der letzte Wille aufgesetzt wurde. Mir gefiel die Größe, die Bauweise und der Luxus von Kastell di Caela. Ich hoffte inständig, eine Weile bleiben zu können.
Doch immer der Reihe nach. In dieser ganzen Pracht mit den vielen Fenstern mußten auch Aussichten für Bayard sein.
Bayard ritt zum Tor hinaus auf das Gelände, das die Burg umgab, wo er die Nacht zwischen den Pferden auf dem Boden verbringen würde, während ich in frischem, seidenem Bettzeug und hoffentlich an einem Kamin schlafen würde. Dabei warf er mir einen so ungläubigen, geschlagenen und enttäuschten Blick zu, daß ich für einen Augenblick richtig wütend wurde. Trotz des Skorpions, seiner Diebstähle und Lügen und Gemeinheiten, glaubte Bayard, daß ich das eigentliche Wiesel im Hühnerstall war.
Dann erreichte mich von irgendwoher aus den warmen Räumen der Burg Bratenduft. Ich folgte Sir Robert durch die riesige Mahagonitür in einen gut erleuchteten Raum mit poliertem Marmorboden, in dem sich glänzende Rüstungen und dunkle Gemälde befanden.
Das war die Art von Heim, für die ich geboren war, beschloß ich.
»Bei meiner Unterhaltung mit Sir Bayard hörte ich den Namen ›Galen‹«, begann Sir Robert, wobei er seinen herrlichen blauen Mantel neben sich über einen Stuhl legte. »Ist es möglich, daß ich den Familiennamen kenne, oder bist du…« und er lächelte, so weit ich sehen konnte, ohne jede Ironie, »… von einem fernen Ort, dessen Namen mir vielleicht nicht bekannt sind.«
»Ich bin ein Pfadwächter«, sagte ich.
»Aha«, entgegnete Sir Robert und sagte nichts weiter, als er eine Kerze auf einem Mahagonitisch im Saal anzündete und mir ein Zeichen gab, ihm zu folgen.
Wir kamen durch den Ahnensaal der Familie di Caela. Ich wußte, daß die Blitzklinges eine gewisse historische Bedeutung hatten – und ich hoffte inständig, daß Sir Robert mich nicht bitten würde, sein Gedächtnis in bezug auf meine Familiengeschichte aufzufrischen –, doch irgendwie verblaßten beide Namen vor dem Glanz und den Traditionen, die dieses Gebäude beherbergte. Ich ging durch eine Art Schrein – ich wußte, sowohl Vater als auch Gileandos wären beeindruckt gewesen.
Denn das hier war der Sitz einer bedeutenden Familie, die Seite an Seite mit Vinas Solamnus gekämpft hatte. Die ihre Herkunft über ein Jahrtausend zurückverfolgen konnte. Und der Mann vor mir, der die Kerze hielt, war der Erbe von alledem – nicht nur des Reichtums, wohlgemerkt, sondern auch der Geschichte, des Heldentums und des Adels. Ich suchte aus dem Augenwinkel nach einem Porträt, das Benedikt darstellen mochte. Die Augen eines Porträts – eines schönen, alten Mannes mit einer auffälligen Narbe auf der linken Wange – schienen mich zu verfolgen, als ich durch diesen Saal lief. Ich dachte an Kindermärchen über Spuk in Galerien und über Wesen hinter den Wänden, die Vorübergehende durch Löcher in den Bildern beobachteten.
Da ich die Augen bei dem Bild und die Gedanken bei der Wahrscheinlichkeit von Spuk in der Vertäfelung hatte, merkte ich erst, daß Sir Robert stehengeblieben war, als ich in ihn hineinlief.
»Ein Pfadwächter, sagst du?«
»Ja, Sir.«
»Sohn von Sir Andreas Pfadwächter?«
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