Sein fester Griff hielt mich fast so auf der Stelle fest wie die beiden Kämpfer, denen wir zusahen.
Ein Rabe landete auf der Schulter des Ogers. Eine Minute lang wirkte er komisch, wie ein riesiger, ungelenker Zauberer auf einem Gemälde. Dann duckte sich der Rabe, hob aufmerksam den Kopf und flog davon.
Ich bekam düstere Ahnungen.
Dann ging es los. Valorus stürmte vor, und höchstens zehn Fuß vor seinem wartenden Feind lenkte Bayard das große Tier in eine schliddernde, laute Kehre zur linken Seite des Ogers.
Der war darauf nicht gefaßt. Er hatte seinen Dreizack wie zuvor erhoben, wie eine Keule oder einen Knüppel, und wollte alles bewußtlos schlagen, was rechts an ihm vorbei wollte.
Bevor der große Kerl reagieren konnte, war Bayard bei ihm und ließ sein Schwert in einem blitzschnellen Schlag heruntersausen, der jeden außer einem Monster den Arm gekostet hätte. Doch als Bayard zum Angriff überging, ließ der Oger den Dreizack fallen und warf ihm das Netz ins Gesicht, wobei er das niedersausende Schwert erwischte. So schnitt es zwar mitten durch das Netz, doch dieses Schneiden bremste es etwas, so daß der Feind den Schlag, als dieser ihn schließlich erreichte, mit dem schwer gepanzerten Unterarm abwehren konnte.
Der Klang von Metall auf Metall war anders, nicht so wie das Geschepper, das man auf Turnierplätzen hörte. Statt dessen klang die Ogerrüstung klar und hallend nach, wie eine riesige Turmglocke, die selbst die Vögel in der Luft erschreckte, und ich fragte mich, wo ich dieses Geräusch schon einmal gehört hatte.
Die Wolke unter dem Oger verfestigte sich und wurde wieder zu einem Pferd, das sich bewegte. Die Augen des Pferdes glühten rot. Es schüttelte seine verfilzte, schwarze Mähne.
Sofort ging der Vorteil wieder an den Feind, denn Bayard taumelte auf Valorus, halb im Netz verfangen und aus dem Gleichgewicht gebracht, während das Monster versuchte, ihn herunterzuziehen und zugleich nach einem Dolch langte.
Es war nicht besonders klug, was ich jetzt tat, aber ich mußte es einfach tun.
Als die beiden an dem Netz hin und her zerrten und Bayard im Sattel weiter und weiter nach vorn gezogen wurde, bis er unausweichlich herunterkippen und sein Leben verlieren würde, riß ich mich von Agion los, hob einen faustgroßen Stein auf und schleuderte ihn auf den Oger, der mir den Rücken zukehrte und deshalb weder mich, noch den Stein, noch irgend etwas anderes kommen sehen konnte.
Es hatte mal eine Zeit gegeben – und das war gar nicht so lange her –, wo ich ganz gut mit Steinen gewesen war. Ich hatte mich an Nagetieren und Hunden, Dienern und Brüdern geübt. Kurz gesagt, ein Stein in meiner Hand hatte jedem größeren Lebewesen in der Wasserburg gesunden Respekt eingeflößt.
Diese Zeiten waren offenbar vorbei, denn der Stein flog harmlos über die Köpfe der beiden Gestalten zu Pferd hinweg und polterte hinter ihnen in der Finsternis zu Boden.
Ich nahm einen weiteren Stein. Schließlich hatte ich nichts Besseres zu tun, und inzwischen hielt sich Bayard nur noch mit Hilfe von Knauf und Steigbügeln im Sattel.
Natürlich ging der Wurf wieder daneben. Steinewerfen ist vor allem eine Sache des Selbstvertrauens, und das hatte ich jetzt verloren. Und Bayard, der gegen einen starken Gegner kämpfte, der ihn eindeutig überwältigen würde, schaffte es immer noch, seines zu behalten. Er hielt sich im Sattel, als der Oger sein Pferd zurücktrieb und am Netz zerrte. Und knurrte. Der Laut klang, als käme er irgendwo aus tiefem Wasser, oder als hätte ein seltsames, schreckliches Tier am Grunde eines Brunnens eine Halsverletzung und würde da unten in seinem eigenen Blut ertrinken. Der Schrei kam von weitem, war tief und blubbernd.
Blinde Panik hilft nicht beim Steinewerfen. Mein dritter und vierter Wurf gingen weit daneben, und ich sah mit wachsender Furcht zu, wie Bayard das bißchen Gleichgewicht verlor, das er noch hatte, wie er sich allmählich zum Feind hin neigte, der jetzt mit dem Messer in der Hand dasaß und meinen Beschützer in Reichweite zog.
Was bestimmt bald soweit gewesen wäre, hätte der Zufall nicht eingegriffen. Ich schaffte doch noch einen Treffer mit einem Stein.
Mein siebter Wurf überschlug sich immer wieder wie ein Dolch und landete kräftig auf dem Pferd des Ogers.
Das Ereignis brachte sie um ein Haar beide um. Und zwar auch die Pferde, denn das Pferd des Ogers sprang rückwärts, wieherte und bäumte sich auf, wodurch es die Seile des Netzes zwischen seinem Reiter und Bayard straff zog.
Zum Glück war Bayard nicht zu angeschlagen, um rasch und klar zu denken. Die straffen Seile bedeuteten einen Vorteil beim Durchschneiden, und so begann er augenblicklich mit seinem Breitschwert vier, fünf, sechs Stränge von dem Netz zu durchtrennen, so daß er sich endlich befreien konnte. Er zügelte Valorus, der ausgerutscht war, taumelte und um ein Haar gegen die Granitwand geprallt wäre, die an der Straße aufragte.
Als würden sie einem stummem Befehl folgen, stiegen beide Gegner ab. Unser Feind schritt zu dem Platz, wo er seinen Dreizack verloren hatte, hob die Waffe auf und drehte sich mit einem seiner erschreckenden Knurrlaute zu Bayard um.
Mittlerweile hatte Bayard sein Gleichgewicht wiedergefunden und hatte auch einen sicheren Stand und Platz zum Ausweichen. Den ersten Stoß des Dreizacks parierte er geschickt und problemlos und vergolt ihn mit einem glatten Abwärtsschlag und einem Schritt zur Seite.
Der Dreizack schoß harmlos an ihm vorbei, traf auf Granit und bohrte sich gut sechs Fingerbreit in den harten Stein, bevor der Oger die Richtung änderte und dabei den Dreizack so beiläufig herauszog wie eine Mistgabel aus dem Heu. Bayard tänzelte um den Feind herum, der seinen Bewegungen rasch und wild wie ein in die Enge getriebener Dachs folgte.
Ich setzte mich auf einen Steinhang über ihnen. Von hier aus konnte ich nur Beleidigungen brüllen, aber keine Steine schleudern. Denn sie waren zu nah beieinander, und bei meiner Treffsicherheit und meinem Glück hätte ich zu leicht Bayard treffen können.
Also setzte ich mich. Im Mondlicht konnte ich sehen, wie sich Agion wachsam neben mir herunterbeugte. Das Feuer war hinter ihm. Über uns gingen die beiden Monde auf und badeten die nackten Felsen, die Kiefern, die Espen, den Wacholder und die beiden Gegner in silbernem und rotem Licht. Die Kämpfer umkreisten sich. Gelegentlich stolperte einer oder wich gegen eine Felswand zurück, aber sie umkreisten sich weiter aufmerksam und mit schlagbereiten Waffen. Das würde eine lange Nacht werden. Ich muß zugeben, daß der Kampf mich nach einer Stunde Tänzeln und Antäuschen und Beinahe-Treffern nicht mehr interessierte, obwohl doch Bayards Leben auf dem Spiel stand und meines höchstwahrscheinlich von seinem abhing. Bayard war zweimal gestürzt; einmal hatte er seine Waffe verloren. Jedesmal hatte er jedoch schnell seinen Stand und seine Waffe wiedergefunden, und einmal hatte er es geschafft, den großen Kerl für eine oder zwei Minuten in die Enge zu treiben.
Schließlich legte ich mich hin und beobachtete wieder den Himmel. Bis auf das Metallgeklirr, die Schreie, die Rufe und das Knurren der beiden Zweikämpfer war die Nacht still. Alles in allem war doch ziemlich klar, wie die Sache hier ausgehen würde. Mal abgesehen von einem möglichen, plötzlichen Glückstreffer durch Bayard oder einem so unglaublich dummen Fehler des Ogers, daß man noch viele Generationen lang davon erzählen würde, würde der Kampf vorbei sein, wenn der Größere schließlich den Kleineren überwand.
Außer, natürlich, wenn Bayard mit dem Sonnenlicht recht behielt.
Nichtsdestotrotz würde es eine Nacht der Abwehr und der Verzögerung sein.
Bis zum Morgen blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten.
Nun, vielleicht hatte der Oger seine Gründe gehabt, warum er letzte Nacht nicht dagewesen war. Vielleicht hatte er jemand anders geärgert; vielleicht hatte er jagen müssen oder mußte noch andere Pässe bewachen, wo er tagsüber hinging; vielleicht war er dem Ruf der Natur gefolgt, was in voller Plattenrüstung eine ewig lange Prozedur sein kann.
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