Bayard nickte ernst.
»Daran habe ich auch gedacht, Galen«, bestätigte er mit gerunzelter Stirn.
»Alles, was ich sage«, erklärte er dann, »ist, daß es Zufälle gibt, die keine Zufälle sind, die allem zugrunde liegen, was wir tun, und aus denen Geschichte entsteht. Es war Zufall, daß ich das Buch von Vinas Solamnus fand, aber es war kein blinder Zufall. Es war eine Möglichkeit, die in einem großen Plan stattfand, den ich damals noch nicht erkannte.«
»Wie der Wurf von zwei roten Würfeln«, beharrte ich stur. Bayard starrte mich lange an, setzte zum Sprechen an und schwieg dann doch wieder. Das Packpferd hinter mir stampfte auf die harte Erde, und Valorus wieherte, als ob jemand hinter der Wärme unseres Feuers lachte und tanzte.
»Im Augenblick«, beschloß Bayard, der sich in seine Decke wickelte und dessen Atem zu sehen war, obwohl er nur zehn Fuß oder so vom Feuer entfernt stand, »im Augenblick sollten wir uns lieber nicht über solche Dinge aufregen, sondern lieber schlafen.«Der Oger kehrte gegen Mitternacht zurück, wie Bayard es vorausgesehen hatte. Das vorherige Handgemenge hatte dem grobschlächtigen Kerl nichts ausgemacht, und er legte es offenbar schon wieder auf Ärger an.
Bayard hingegen war immer noch in einem schrecklichen Zustand. Trotzdem erhob er sich langsam – vorsichtig, fand ich – und grüßte seinen enormen Gegner mit dem altehrwürdigen Gruß von Solamnia. Das Schwert in der rechten Hand und den Dolch in der linken, stand er am Feuer, sah den dunklen Koloß auf dem Pferd an und verschränkte demonstrativ die Arme.
Nun, der dunkle Koloß machte keinerlei Anstalten zu antworten. Ich bezweifle, daß er aus einer gewissen Ehrfurcht vor solamnischen Bräuchen schwieg oder überhaupt irgendwelche Ehrfurcht hatte. Nein, er saß wahrscheinlich da und freute sich darauf, daß dieser kleine Kerl in seiner Rüstung wieder in die Reichweite seines Dreizacks reiten würde.
Agion und ich liefen Bayard nach, bevor er auf den Oger zuritt, und versuchten beide, ihn vom Kampf gegen Windmühlenflügel abzuhalten.
»Ihr seid nicht dazu verpflichtet, gegen diesen Burschen anzutreten, Sir Bayard«, drängte ich. »Soll er uns doch den Pfad hinunterjagen, und unten stellen wir ihm eine Falle.«
Das hörte sich vernünftig an, fand ich. Bayard jedoch zog eine Schnalle an seinen Beinschienen fester und drehte mir den Rücken zu.
»Aber wenn Er darauf besteht«, fügte Agion hinzu, »daß unser Weg über dieses Monster da führen muß, dann bedenke Er, daß es auch unsere Straße ist – meine und Galens –, nicht allein die Seine.« Er starrte den Oger an, um seinen Gegner einzuschätzen. »Und daß der Kampf vor uns ebenso unser Kampf ist wie Seiner.«
»Aber ich denke, wir müssen es jetzt zu Ende bringen«, warf ich geschwind ein und warf dabei Agion einen Blick aus reinem, blitzenden Haß zu, »und ich muß Euch wohl dringend an Eure eigenen Worte erinnern, daß ›dies ein Kampf zwischen Ritter und Gegner‹ ist. So gern Agion und ich auch helfen würden, wir können es wirklich nicht tun, ohne praktisch all Eure Prinzipien zunichte zu machen. Und damit wärt Ihr ja sozusagen der Ritterschaft von Solamnia unwürdig.«
»Und deshalb kann ich auch nicht auf eine List zurückgreifen, Galen.«
»Ich verstehe, Sir«, behauptete ich.
Diesmal ging es anders los. Valorus, der sich zweifellos an die Begegnung vor zwei Tagen erinnerte, war nicht nur unruhig, sondern tänzelte aufgeregt herum, weil er offenbar von ungleichen Kämpfen genug hatte. Obwohl Bayard so müde und wund wirkte, beruhigte er den großen Hengst mit einem einzigen Klopfen seiner Hand und drehte sich dann zu uns um.
Der Ausdruck auf seinem Gesicht war nicht der eines Verurteilten. Müde, ja, und bestimmt etwas Angst dabei, aber unter der Müdigkeit und der Angst lag eine Zuversicht, die ich zuvor nie bemerkt hatte. Die ich mir nie vorgestellt hatte.
»Wenn ich ihn eine Weile beschäftigen kann, nur diese Nacht, Galen, dann werde ich ihn besiegen«, flüsterte Bayard. »Da bin ich mir sicher.«
»Denn es gibt bestimmt einen Grund, weshalb er nur nachts kämpft. Ich wette, es ist ein so einfacher Grund wie die in den alten Legenden: Daß er bei Tag nicht kämpfen kann, weil das Sonnenlicht ihn schwächt und lähmt. Wesen der Finsternis sind oft so. Denk an die Vettern der Oger, die Goblins und Trolle, wie sie vor dem gesunden Sonnenlicht zurückschrecken.«
Bayard lenkte Valorus zum Kampf, warf einen letzten Blick über die Schulter und lächelte, als er das Visier seines Helms schloß.
»Den Fuchs spielen, Junge! Den Fuchs spielen!« rief er, als Valorus zu traben begann und dann, weil er wieder von einer zuversichtlichen, sicheren Hand gelenkt wurde, losgaloppierte. Genau auf die turmhohe, dunkle Gestalt des Ogers zwischen den Felsen zu, was für ein gefährliches Spiel.
Ich kletterte auf einen kleinen Vorsprung in der Nähe der Straße, von wo ich die Ereignisse beobachten konnte.
Als Bayard sich dem berittenen Oger näherte, blickte ich zum klaren, kühlen Herbsthimmel hoch. Die unzähligen, spiralenförmigen Sterne aus der Konstellation von Mishakal, Göttin der Heilkunst und des Wissens, flackerten über mir, und wenn ich ein Sterndeuter gewesen wäre, hätte mir dieses Zeichen Mut verliehen.
Statt dessen sah ich dort im Licht der zwei Monde und im schwachen Schein von Agions hundert Fuß entferntem Feuer die Calantina.
Zeichen des Mungos.
Ich wußte von den Schlangentänzen im hintersten Estwilde, wo ganz zum Schluß der Mungo gebracht wird, und wo er zur Musik der Flöte und der Trommeln mit nichts als seiner Schnelligkeit, seinem Verstand und seinen scharfen Zähnen gegen das tödliche Reptil antritt. Und ich schöpfte etwas Hoffnung, daß Bayards Version der Ereignisse irgendwie stimmen würde, daß wir in einer Geschichte steckten, wo die Sonne aufging, der Oger einen furchtbaren Schrei ausstieß, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ, und sich dann vor unseren Augen in Rauch auflöste oder dahinschmolz.
Bis ich meinen Posten eingenommen hatte, hatte Bayard dort, wo die Felsen vom Weg zurückwichen, etwa fünfzehn Meter vor dem Oger, angehalten – knapp sieben Meter außerhalb der Reichweite von Netz und Dreizack. Hier konnte er noch ausweichen.
Bayard blieb, wo er war – starrte regungslos seinen Feind an. Der Oger antwortete auf die gleiche Weise, wobei eine dunkle Wolke praktisch aus dem Erdboden zu kommen schien und sein Pferd bedeckte, bis es aussah, als säße er auf dem Rücken einer Gewitterwolke. Die beiden Widersacher saßen so still, daß ein Kaninchen leise aus den Felsen an der Straße hoppelte, zwischen ihnen Männchen machte und dann ohne Eile davonsprang, ohne zu bemerken, daß es mitten durch ein Gebiet gelaufen war, wo jederzeit ein blutiger Schwertkampf losbrechen konnte. So still war es.
Als das Kaninchen vorbei war und der Pfad wieder eine Weile still dagelegen hatte, gab es eine winzige Bewegung. Aber nicht von Bayard.
Die Hand des Ogers glitt langsam über den Dreizack. Er sah Bayard direkt in die Augen, und plötzlich flatterte Bayards Mantel wie ein Banner, als ein eisiger Windstoß es ihm von den Schultern riß, so daß es wie ein riesiger, ungeschickter Vogel hinter ihm den Weg hinab segelte.
Bayard bewegte sich noch immer nicht. Es kam einem vor, als wäre er ein Teil der Landschaft geworden. Vielleicht hatte er in die schrecklichen Augen des Ogers gesehen und sich in Stein verwandelt.
Langsam wurde der Dreizack erhoben, »angelegt«, wie es bei den Solamniern hieß. Wie bei einer Lanze zeigten seine drei häßlichen Zähne genau auf Bayards Herz.
Bayard bewegte sich noch immer nicht. Valorus zuckte nervös und schnaubte, doch Bayards feste Hand beruhigte ihn.
Noch einmal blieben sie lange Zeit reglos stehen. Agion kam zu mir auf das Plateau und legte mir die Hand auf die Schulter.
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