Das Turnier muß weitergehen. Sir Prosper hat heute morgen einen würdigen Gegner gezogen; ich einen unwürdigen. So geht es halt bei Turnieren. Wenn ich mich recht entsinne, hat er sein Los zuerst aus dem Helm geholt. Das sind Eure Regeln. Befolgt sie. Sir Robert sitzt an seinem Schreibtisch und liest die Botschaft, die man ihm gerade überreicht hat. Er entläßt den Boten und liest sie noch einmal, als der Junge fort ist.
Er seufzt tief und resigniert, hält den Zettel über eine verlöschende Kerze und sieht zu, wie er beim letzten Aufflackern Feuer fängt. Das brennende Papier hält er so lange wie möglich in der Hand, bevor er es in den Kamin wirft.
So beginnt der Schlußkampf des Turniers, immer noch bleibt Zeit, und die Hoffnungen von Sir Robert di Caela steigen und sinken und steigen, nur um wieder zu sinken.
Denn während der langwierigen Vorbereitungen der Ritter auf das Aufrufen und das Lanzenanlegen sucht Sir Robert wie immer den Horizont ab – fast automatisch inzwischen, denn eigentlich hat er die Hoffnung aufgegeben, daß Sir Bayard Blitzklinge aus dem Vingaard-Gebirge naht.
Was ist das, was da Meilen entfernt im Westen Staub aufwirbelt, dort, wo die Ebene am Rand der Berge lila wird?
Die Staubwolke kommt näher und entpuppt sich als Gestalt zu Pferd, die in vollem Tempo auf das Schloß zureitet. Als die Gestalt näher kommt und aus dem Schatten der Berge ins Sonnenlicht gelangt, erkennt Sir Robert den unverwechselbaren Glanz einer fernen Rüstung.
Blitzklinge?
Bei Humas Blut, wenn es doch so wäre! Denn in diesem Fall ist er Gabriel Androctus’ nächster Gegner. Es wird Stunden dauern, bis wir diesen kleinlichen Androctus, der so auf Regeln pocht, dazu bekommen. Wir werden stundenlang im Maßstab der Ritterschaft von Solamnia nach Präzedenzfällen suchen müssen. Ich wäre nicht überrascht, wenn der verhüllte Ritter darauf besteht, daß die Schreiber und Priester und Gelehrten des Schlosses alle siebenunddreißig Bände des Maßstabs durchforsten müssen, denkt Sir Robert. Aber selbst wenn ich den Appell an den Maßstab verliere, erkaufe ich damit Prosper wertvolle Zeit.
Das heißt natürlich, wenn die Gestalt dort auf der Straße Blitzklinge ist.
Sir Robert hebt die Hand und gebietet den Vorbereitungen Einhalt. Ein Reiter kommt, verkündet er. Kommt schnell von Westen. Es sind schlechte Zeiten, wo ein schnell herannahender Reiter einen Aufstand, eine Invasion oder was auch immer bedeuten kann. In solchen Zeiten und in dieser Situation bittet er daher darum, daß »die zwei letzten Wettbewerber ihren ersten Kampf noch etwas verschieben, bis der Reiter eintrifft und wir erfahren, ob es etwas Dringendes ist oder…«, und Sir Robert di Caela lacht, »… oder ob es bloß ein junger Kerl ist, der sich für einen guten Platz beim Schlußkampf verspätet hat.«
Prosper von Zeriak nickt höflich.
Androctus hingegen ist nicht erfreut. Er schickt seinen verhüllten Knappen mit einer Botschaft, daß der letzte Wettkampf jetzt angesetzt sei. Wenn Sir Robert zu seinem Wort stehen würde, würde der Kampf jetzt wie vorgesehen beginnen.
Das ist zu viel. Sir Robert lehnt sich in seinem Stuhl nach vorne und brüllt den Knappen an.
»Sag deinem Ritter, Gabriel Androctus, daß ich dieses Turnier auf meinem Land ausrichte. Auf meine Kosten. Um die Hand meiner Tochter. Und angesichts dieser Tatsachen sag Gabriel Androctus…«
Dabei wendet sich Sir Robert von dem Knappen an den Ritter, der am Rande des Platzes auf seinem schwarzen Schlachtroß sitzt, und er erhebt seine Stimme noch lauter, bis Sir Ramiro neben ihm zusammenzuckt und dessen unbekannte, aber hübsche Begleiterin sich die Ohren zuhält, und er schreit so laut, daß selbst die schwerfälligen Schlachtrösser hochschrecken:
»Daß ich aus diesem Grunde verdammt noch mal das tue, was mir gefällt!«Das ist wahres Drama – Sir Roberts bester Auftritt in den letzten drei leidvollen Tagen. Unglücklicherweise kommt bei all dem Gebrüll wenig heraus.
Denn der Reiter ist ganz und gar nicht Bayard Blitzklinge, sondern ein einfältiger, rothaariger Junge aus Küstenlund in einer Rüstung, die nur von den Schultern aufwärts glänzt, weil der Brustharnisch und alles darunter mit dunklem, sandigem Schlamm, vertrockneten Algen und Wasserpest und anderen, noch übler riechenden Dingen verkrustet ist.
Ein Pfadwächter ist der Junge. Sir Robert erinnert sich an den Vater und fragt sich, wie ein so feiner, alter Ritter wie Andreas so ein schniefendes Würstchen hervorgebracht haben sollte.
Der Bursche verkündet, daß er vorhat, am Turnier um die Hand der Lady Enid di Caela teilzunehmen. Die Tribüne platzt vor Lachen, und Sir Prosper, dem die verletzte Würde des Jungen bewußt ist, schwenkt wild seine Lanze in der Luft. Aus Respekt vor Prosper erstirbt das Lachen.
Außer bei einem Mann. Von jenseits des Turnierplatzes erhebt sich das Lachen von Gabriel Androctus – melodisch, tief und fast schön. Enid di Caela hört dieses Lachen, fragt sich, von wem es kommt, und geht zum Fenster.
Wo sie zum erstenmal etwas vom Turnier sieht. Sie sieht Sir Prosper von Zeriak, den sie an seiner wolkenartigen, durchs scheinenden Rüstung erkennt und der sich einem Mann entgegenstellt, der lacht – einem schönen Ritter in schwarzer Rüstung, den sie trotz seines angenehmen Äußeren sofort ablehnt.
Sie stellt fest, daß er Linkshänder ist. Da sie selber bei Turnieren zugesehen hat, weiß sie, daß Linkshänder für Verwirrung sorgen können.
Enid di Caela stellt fest, daß sie um Prosper von Zeriak bangt. Auch wenn sie keine Lust hat, Sir Prospers viel jüngere und viel klügere Frau zu werden, weiß sie, daß er ein guter Mann ist.
Wohingegen sie über den Ritter in der schwarzen Rüstung nur weiß, daß er Orban von Kern getötet hat und daß schon sein Anblick – obwohl er schön und gepflegt ist – ihr eine Gänsehaut bereitet.
Unter dem Aussichtspunkt der Lady Enid stampfen unruhig die beiden Streitrösser. Es sind reinblütige Kriegspferde, die darauf versessen sind, sich an Kraft und Geschwindigkeit zu messen.
So also steht es um Sir Prosper von Zeriak. Gemessen und sehr solamnisch nickt er seinem Gegner zu. Er schließt sein Visier und legt die Lanze an.
Der verhüllte Ritter, Gabriel Androctus, steht reglos wie eine riesige Onyxstatue am Ende des Turnierplatzes. Als schließlich der Herold zu Sir Robert blickt und dann die Trompete an die Lippen setzt, macht Sir Gabriel seine Lanze bereit. Die beiden Rösser stieben vor und wirbeln den Boden unter sich auf. Der letzte Kampf um die Hand von Enid di Caela beginnt.
Für zwei so erfahrene und vortreffliche Ritter kommt der erste Stoß zögernd, ja, ungeschickt. Androctus, den zweifellos der Ruf seines Gegners eingeschüchtert hat, macht einen großen Bogen um Sir Prosper und dessen riesigen Falben, und Sir Prosper täuscht linkisch mit der Lanze an, um eindeutig auf den Schild am rechten Arm seines Gegners zu zielen.
Normale Männer hätten sich beim ersten Stoß verausgabt, um ihren Gegner möglichst gleich mit einem glänzenden, auffälligen Treffer niederzuwerfen. Doch Sir Gabriel und Sir Prosper begegnen sich gelassen und geduldig erneut und dann ein drittes Mal. Erst beim vierten Gang trifft die Lanze auf den Schild. Die älteren, erfahreneren Ritter, einschließlich Sir Robert und Sir Ramiro, lehnen sich zurück, weil sie einen langen Nachmittag erwarten.
Selbst der älteste, gewiefteste Ritterveteran ist vom nächsten Gang überrascht. Denn es scheint, als hätte jeder die Schwäche in der Verteidigung des anderen erkannt, um sie sofort zu nutzen. Beim fünften Durchgang splittern die Lanzen, als Sir Prosper Sir Gabriels Schild von vorn erwischt. Dabei stürzt der verhüllte Ritter über die rechte Flanke von seinem Streitroß, bleibt mit dem Fuß im Steigbügel hängen und wird ein paar Schritte mitgeschleift, bis er sich befreien kann und taumelnd aufsteht.
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