Über solche Blödeleien würde Sir Robert normalerweise lange und laut lachen, besonders wenn sie mit Ramiros eigenartigem, östlichen Akzent vorgebracht werden. Und ebenso würde er über den Tanzbären und die Gaukler lachen, die vor den Zuschauertribünen Späße machen, während alles auf den nächsten Kampf wartet. Aber jetzt ist er schweigsam, weil er den nächsten Kampf auf der Liste erwartet, denn die Turniermarschälle haben sich bereits an die langwierige Prozedur gemacht, die nächsten beiden Ritter aufzustellen – den Blauen Ritter aus Balifor und den geheimnisvollen, schwarzgewandeten Gabriel Androctus.
Schließlich erklingt die Trompete des Herolds, und die Vorstellung der Gaukler wird unter vereinzeltem Applaus von seiten der Diener und einiger weniger aufmerksamer Ritter und Damen abgebrochen. Wer sich mit Turnieren auskennt, hat seine Aufmerksamkeit bereits den Kämpfern zugewendet, die jeder an einem Ende des Platzes stehen und vom aufgewirbelten Staub halb verdeckt sind. Die Ritter halten ihre Lanzen in Habachtstellung – aufrecht, so daß sie wie Fahnenstangen oder Obelisken fast zwanzig Fuß in die warme Nachmittagsluft ragen.
Androctus ist Linkshänder, stellt Sir Robert besorgt fest. Das macht es dem Blauen Ritter schwerer. Aber den Geschichten nach hat er schon Schlimmeres bewältigt.
Beim Trompetenstoß des Herolds sollen beide Männer ihre Visiere schließen und die Lanzen anlegen – als Zeichen, daß sie aufeinander vorbereitet sind und daß der Kampf beginnen kann.
Doch hier haben wir ein Problem. Die Visiere beider Ritter sind schon den ganzen Morgen geschlossen, weil beide die Dramatik einer Anonymität vorgezogen haben.
Eine Dramatik, der Sir Robert schnell entgegentritt.
»Edle Herren, öffnet die Visiere!« ruft er mit seiner theatralischsten, befehlendsten Stimme aus. Wie er es erwartet hat (und sich heimlich daran erfreut), zögern beide Seiten.
Dann hebt zu seiner Überraschung der schwarz gerüstete Ritter sein Visier. Er hat ein blasses Gesicht – eines, das Frauen schön nennen würden, das Männer jedoch sicher als gefährlich einstufen würden. Sir Robert wünscht sich, seine Tochter Enid säße neben ihm, die so sicher Gesichter beurteilen kann. Doch sie ist nicht anwesend, weil sie lieber in ihren Zimmern bleiben wollte. Für sie ist das ganze Ereignis bloß ein »Haudegenspektakel in feinen Kleidern«. Also ist er auf sein eigenes Urteil angewiesen.
Das Gesicht im Helm ist so undurchdringlich wie das einer Statue oder eines Toten. Es ist das Gesicht eines Mannes irgendwo zwischen zwanzig und sechzig – genauer kann Sir Robert das nicht bestimmen. Die Augen sind grün, fast gelbgrün, und die Augenlider unnatürlich rot, als wären sie schlecht geschminkt oder nicht ans Licht gewöhnt.
Obwohl es so geisterhaft wirkt, ist es ein beunruhigend vertrautes Gesicht.
Den Blauen Ritter beachtet Sir Robert kaum. Er weiß nicht einmal genau, ob Sir Gabriels Gegner sein Visier öffnet und schließt. Denn der verhüllte Ritter schließt mit einem lauten Schnappen seinen Helm, lehnt sich im Sattel zurück und wechselt die schwere Lanze in die rechte Hand – um keinen unziemlichen Vorteil zu haben.
Pferde dieser Größe – die schweren, braunen Streitrösser aus Abanasinia – brauchen einen Augenblick, um in Gang zu kommen. Die großen Beine und Schenkel und die breite Pferdebrust sind schwere Gewichte, zu denen noch der Ritter in Rüstung auf dem Rücken dazukommt. Um dann annähernd Kampfgeschwindigkeit zu erreichen, brauchen sie Zeit und Kraft. Aber wenn so ein Pferd einmal in Bewegung ist, ist es praktisch nicht mehr aufzuhalten – wie eine Lawine oder ein Sturzbach aus den Bergen.
Genau auf den schwarzen Ritter treibt der Blaue Ritter von Balifor sein Pferd zu, und einen Augenblick scheut und wiehert das Tier unter ihm, weil es vielleicht eine unerwartete Wendung im Kampf wittert. Doch dann rasen beide Männer schwer gerüstet und mit angelegter Lanze aufeinander zu, wo zwei Wimpel – der eine klares Himmelblau, der andere schwarz wie das Auge des Raben – an hohen Fahnenstangen flattern.
Dann stoßen sie zusammen, und die Lanzen splittern. Der Blaue Ritter fällt mit scheppernder Rüstung vom Pferd, wobei ein eisenblauer Stiefel im Steigbügel hängenbleibt, als das erschreckte Tier in einer Staubwolke davongaloppiert. Der Marschall reitet ihm hinterher, die Stallburschen folgen auf dem Fuße. An der Stelle des Zusammenstoßes liegt reglos der Blaue Ritter. Einen Augenblick hebt er langsam den Kopf mit dem Helm, als wolle er auf die Beine kommen. Dann kippt der Kopf zurück, und der Körper zuckt qualvoll zusammen.
Auf der Stelle ist Sir Robert auf den Beinen, weil er Betrug wittert, einen unfairen, höchstens geduldeten Stoß mit der Lanze. Doch alles hat sauber ausgesehen, absolut sauber, und als der Knappe des Blauen Ritters und andere Bedienstete zu ihrem Herrn laufen, wirft Sir Robert einen neuerlichen Blick auf den Sieger.
Sir Gabriel scheint vom Leiden seines Gegners ungerührt, denn er hat nicht einmal der Form halber ritterlich nach dem Wohlergehen seines gestürzten Gegners gefragt, wie es Orban und sogar der exzentrische, von der See geprägte Sir Ledyard getan haben. Statt dessen sitzt der schwarze Ritter am Rand des Platzes auf seinem Pferd und hält die gebrochene Lanze in die Höhe. Langsam lenkt er das große Schlachtroß zu den Zuschauertribünen, und als er direkt vor Sir Robert ist, klappt er wieder sein Visier hoch.
Sein Gesichtsausdruck ist ironisch, das Lächeln kalt wie schroffe Berge. Es ist ein Lächeln, das Sir Robert während des langen ersten Nachmittags des Turniers verfolgt, während die Lanzen splittern und Jubelrufe in seinen Ohren verklingen, bis sie nur noch unwichtige Hintergrundgeräusche für seine verstörten Überlegungen sind. Geräusche wie die von den mechanischen Kuckucks am Abend in den Gängen von Kastell di Caela, wo Sir Robert hektisch in seinen unaufgeräumten Zimmern herumläuft, nachdem er die Bediensteten für den Abend weggeschickt hat.
Morgen aber. Da bekommt dieser Sir Gabriel Androctus mit Sir Orban von Kern einen würdigen Gegner. Orbans Lanze war einst von hier bis Tarsis berühmt.
Sir Robert schläft unruhig und in der Hoffnung, daß die Zeiten von Orbans Lanze nicht vorüber sind.
Den Losen zufolge, die aus dem goldenen Helm gezogen werden, ist es der fünfte Kampf des nächsten Tages. Sir Robert ist aufgebracht und ungehalten, nachdem er am Morgen Lady Enid gescholten hat, bis wirklich die Tränen flossen (seine eigenen Tränen allerdings, denn wenn man Lady Enid schilt, dann schimpft sie zurück!). Es geht sogar das Gerücht, daß er auf dem Weg zum Turnier einen trödelnden Diener geschlagen hat.
Es ist, als hätte sich eine Wolke über den Kampfplatz gelegt, als Sir Robert trübsinnig und nervös vier langweilige Kämpfe hindurch auf der Tribüne sitzt, weil er nur darauf wartet, daß Sir Orban und der finstere Gabriel Androctus die Lanzen kreuzen.
Am Nachmittag ist es dann endlich so weit. Die Helden besteigen an entgegengesetzten Enden des Feldes ihre Rösser, und ihre Knappen marschieren vor die Tribünen, um den Gastgeber des Turniers von ihren Herren zu grüßen. Sir Orbans Knappe ist ein hübscher, dunkelhaariger Bursche, der zur Fülle neigt. Es ist der Neffe von Sir Ramiro vom Schlund, der am ersten Tag des Turniers von seinem eigenen Wein und von Sir Prosper Inverno besiegt wurde. Jetzt sitzt Ramiro in Begleitung einer unbekannten, jungen Frau neben Sir Robert bei den Zuschauern. Alle applaudieren dem gewandten, stattlichen Neffen.
Sir Gabriels Knappe hingegen ist ein ebenso großes Geheimnis wie sein Herr. Die dünne, schwarz verhüllte Gestalt hat das Turnier am ersten Tag nicht besucht, und eigentlich hatte alles geglaubt, Sir Gabriel wäre allein gekommen. Wer er auch ist und wo er auch herkommt, der Knappe versteht seine Sache: Er bringt die Förmlichkeiten kühl und ohne Versprecher über die Lippen und kehrt auf der Stelle zu seinem Herrn zurück. Jetzt führen die Knappen die Pferde langsam zu den Plätzen, wo sich die Visiere schließen und die Lanzen angelegt werden.
Читать дальше