Da war Sir Prosper Inverno von Zeriak, der von allen Rittern von Solamnia dort in Kastell di Caela aus dem tiefsten Süden kam. Seine Rüstung war dick und durchscheinend wie der Gletscher von Eismauer, der eine halbe Tagesreise von seinen Ländereien entfernt lag. Dick und durchscheinend und glitzernd wie Saphire, so daß die Versammelten sich fragten, ob sie aus Eis oder aus Edelstein bestand. Über den Schultern trug er das Fell eines weißen Bären, und es hieß, daß die Luft in seinem Zelt kälter wäre als in der Umgebung. Selbst Wein, der in einem Becher in seinem Zelt stehenblieb, sollte morgens eine Eiskruste gehabt haben. Aber unabhängig von den Gerüchten war er für sein unübertroffenes Geschick und seine Kraft im Kampf mit der Lanze berühmt, und kein Ritter wollte ihn zu Beginn des Turniers als Gegner haben.
Dann war da Sir Ledyard von Südlund, der, wie es hieß, zu lange zur See gefahren war. Er hatte von weitem das Blutmeer von Istar gesehen, und seine Augen waren von dem Anblick rot geworden. Genauso seltsam war sein Helm, auf dem über den Ohren Muschelwirbel in das Metall getrieben waren, so daß Sir Ledyard aussah, als wäre er selbst ein Wesen aus dem Blutmeer. In diesem Helm und in den Muscheln über seinen Ohren sang angeblich die See und rief ihn unablässig zurück.
Dann gab es noch Sir Ramiro vom Schlund, der noch weiter aus dem Osten kam als der Blaue Ritter von Balifor und auch noch größer war. Vierhundert Pfund muß er gewogen haben – ohne Rüstung. Er war immer gutgelaunt und liebte Marschlieder – und zwar etwas obszöne –, und ich bin sicher, daß Lady Enid erleichtert aufatmete, als er am ersten Tag des Turniers dem verhüllten Ritter zum Opfer fiel.
Denn der verhüllte Ritter war derjenige, der in Kastell di Caela die meisten Gerüchte auf sich vereinte. Er kam in der letzten Nacht vor Beginn des Turniers und schlug sein Lager abseits der anderen Teilnehmer gut zwei Meilen westlich der Burgmauern auf. Viele Ritter, selbst der unbeschwerte Sir Ramiro, erschauerten, wenn sie nach Westen zum Lager des verhüllten Ritters blickten, das sich als schwarze Silhouette vor der blutroten, untergehenden Sonne abzeichnete.
Sir Robert di Caela war deswegen selbst beunruhigt, auch wenn er nicht wußte warum, und stellte fest, daß er immer wieder über dieses fernste Lager hinaus nach Westen blickte. Er suchte die Ausläufer des Vingaard-Gebirges nach Zeichen einer Bewegung ab, nach einem letzten Lichtschimmer von der berühmten Rüstung des nahenden Bayard Blitzklinge. Einem Zeichen, daß wir endlich kämen. Dann würde Sir Robert den Ereignissen voller Zuversicht entgegensehen können, weil er wußte, daß das Schicksal sich erfüllte, daß der Blitzklinge, den er erwartete, doch noch gekommen war.
Als die Dunkelheit hereinbrach, stieg Sir Robert enttäuscht von den Zinnen, denn der Blitzklinge war nicht gekommen, war sicher unterwegs aufgehalten worden. Inzwischen gingen im Lager die Gerüchte um.
Der verhüllte Ritter stammte angeblich von jemandem ab, der aus einer Familie der solamnischen Orden ausgestoßen worden war. Er war zum Turnier gekommen, weil er hoffte, der Sieg könnte seine Familie rehabilitieren und die Ehre wiederherstellen, die sie Generationen zuvor bei der Umwälzung verloren hatten.
Oder der verhüllte Ritter war ein Zauberer, der verflucht war, über die Erde zu wandern, bis er ein solches Turnier gewinnen konnte. Dann würde er von dem Fluch und seinem Band an diese traurige Erde befreit sein und spurlos verschwinden.
Oder der verhüllte Ritter war der verkleidete Sir Bayard Blitzklinge, denn er war ohne Bedienstete gekommen, und war Bayard nicht auf der Suche nach einem Knappen durch Küstenlund gestreift?
Solche und andere Geschichten nahm Sir Robert in jener Nacht in das herrschaftliche Schlafzimmer von Kastell di Caela mit. Während er sich diese Geschichten durch den Kopf gehen ließ, klopfte es an den Toren, und es gab einen kurzen, überraschten Ausruf von den Wachen – ob freudig oder erschrocken konnte Sir Robert nicht sagen.
Heute nacht ist es zu spät für einen Antrittsbesuch, dachte Sir Robert, wie er mir später erzählte. Wer es auch ist, er kann bis morgen warten, denn das Turnier geht über Nacht nicht los.
Aber dann dachte er an Sir Bayard Blitzklinge irgendwo auf dem Weg nach Kastell di Caela. Wer weiß? Vielleicht stand er vor dem Tor und erwartete solamnische Höflichkeit – ein warmes Zimmer, einen Becher Wein, einen höflichen, formvollendeten Eintrag in die Listen für morgen.
Von neuer Hoffnung beseelt, erhob sich Sir Robert aus dem Bett, wobei seine Gelenke wohl knirschten und knackten.
Ich kann ihn vor mir sehen – kann alles sehen und hören, als würde es vor meinen Augen geschehen.
Sir Robert schnallt sich die Rüstung über das Nachthemd, den Helm über die Nachtmütze, und vor dem Schlafzimmerspiegel – eines der letzten Überbleibsel seiner schönen Frau, die viel zu jung starb – rückt der alte Mann den Brustharnisch und das glänzende Visier zurecht und bemüht sich um ein Gleichgewicht zwischen Bequemlichkeit und Würde.
Nicht schlecht für einen Mann mit Fünfzig, denkt er. Die Haare natürlich ein bißchen gelblich fahl, und das Gewicht drückt gegen die Nähte der Rüstung. Aber alles in allem nicht so weit entfernt von den alten Tagen und bestimmt gut genug, um solche wie diese jungen Bewerber zu empfangen.
Die außer Sir Bayard Blitzklinge und vielleicht noch ein paar anderen nur blasse Abbilder der Ritter sind, die den Orden in meiner Jugend bevölkerten.
Dann steigt er die Treppe hinunter, wobei er wegen der späten Stunde und der Kälte etwas hustet. Irgendwo hinten im Schloß melden sich drei mechanische Kuckucks. Sir Robert fummelt an einer Kerze herum, die kurz aufflackert, dann ausgeht und ihn im Dunkeln stehen läßt. Er flucht verhalten und greift über sich, um den Stummel an den glühenden Resten einer Fackel an der Wand anzuzünden.
Da hört er die Stimme unten am Fuß der Treppe. Obwohl er den Mann nie zuvor gesehen hat, weiß er, daß dies nicht Bayard Blitzklinge ist, wie er gehofft hat. Es ist der verhüllte Ritter, der weit im Westen sein Lager aufgeschlagen hat und auf die Dunkelheit gewartet hat, um sich erst dann im Schloß vorzustellen und für das Turnier anzumelden.
»Ich nehme an, Ihr seid Sir Robert di Caela?« fragt der Ritter aus dem Dunkeln. Und di Caela hat ein Dutzend Bemerkungen im Kopf – von tapferen, zornigen Worten bis zu scharfen Abfuhren, die diesen unverschämten Kerl wissen lassen sollen, daß in diesem Schloß die Geschäfte bei Tag erledigt werden. Doch als er die kalten, abfälligen Worte des Ritters unten an der Treppe hört, kann er nur ein schwaches »Ja« zur Antwort geben.
Sir Robert weicht unwillkürlich in sein Schlafzimmer zurück. Die Beine, die ihn sicher durch hundert Turniere getragen haben, das unerbittliche Schwert vom Chaktamir Paß, wo mein Vater zum Helden wurde, bewegen sich jetzt, bevor er es überhaupt bemerkt. Er bleibt stehen, wobei er sich wundert, warum ihn das so viel Mut kostet.
Am Fuß der Treppe regt sich etwas.
»Ich bin zu meinem Antrittsbesuch gekommen, Sir Robert«, sagt die Stimme eisig. »Ihr habt ein herrliches und gut gepflegtes Schloß. Die Ausbauten fallen kaum auf, was auf meisterliche Handwerksarbeit hindeutet.«
»Ich danke Euch«, setzt Sir Robert an, der sich von dem unguten Gefühl, der seltsamen Angst erholt. »Danke, Herr Ritter, auch wenn ich leider wohl wenig über die Ausbauten und Verzierungen am Schloß weiß. Ich bin ein rauher Geselle, der sich das Kinn mit dem Tischtuch abwischt, anstatt mit guten Manieren ein passender Erbe für seine alten Vorfahren zu sein.«
»Wenn das Euer größter Fehler als Ritter ist, Sir Robert«, besänftigt die dunkle Stimme, »dann könnt Ihr Euer Land an Eure Erben weitergeben in dem Wissen… daß Ihr in jeder Hinsicht gut gedient habt. Ich vermute mal, daß der Zustand Eures Besitzes – die Finanzen, das Land, das Wohlergehen Eurer Diener und Pächter – so gesund ist, wie Euer Schloß aussieht.«
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