»Scimitare?« warf ich ein.
»Ich nehme an, das ist ein Name dafür, Galen. Du solltest das wissen; du hast mehr von den alten Geschichten gelesen als ich. Wie sie auch heißen, die Ziegenmenschen wußten mit ihnen umzugehen, und Agion und ich hatten einen kurzen, aber gefährlichen Kampf zu bestehen, um sie zu erledigen. Wobei dein Bruder sich heraushielt. Aber den Hang zum Kämpfer scheint ja von euch keiner von eurem tapferen Vater geerbt zu haben.«
Er sah Brithelm niedergeschlagen an. Brithelm lächelte fröhlich zurück und nickte ihm aufmunternd zu. Bayard lächelte unwillkürlich zurück.
»Bis hierhin konnte ich die Unterschiede zwischen unseren Geschichten noch auf die Verwirrung durch den Kampf zurückführen«, erläuterte Bayard. Mit schiefem Lächeln hockte er sich auf die Fersen. »Ich erinnere mich an meine erste Mission, ein kurzes, häßliches Scharmützel mit den Männern aus Neraka auf der Trotylhalde vor zwölf Jahren. Wir waren zu siebt, alle zwischen siebzehn und zwanzig.«
Lachend schüttelte er den Kopf.
»Es gab sieben Versionen von diesem Gefecht, in denen die Zahl der Gegner zwischen zehn und zweihundert schwankte. Erst eine Woche später erkannten wir, daß wir in der Überzahl gewesen waren.«
Immer noch lächelnd machte er eine Pause, um uns dann reihum anzustarren. Seine grauen Augen wurden ernst.
»Aber das hier war nicht mein erster Kampf«, erklärte er ruhig und starrte in das flackernde Licht des Feuers. »Ich bin dreißig Jahre alt und habe von hier bis Kargod Reibereien, Gefechte und Schlachten erlebt. Doch es verwirrt mich, was nach dem Kampf mit den Satyren geschah, als die Lage sich beruhigt hatte und ich als alter Kämpfer für Illusionen nicht empfänglich war. Denn weder Agion noch dein Bruder haben gesehen, was als nächstes geschah, als ich mich über einen der toten Satyre beugte, um den Feind genauer zu untersuchen. Agion behauptet, daß nichts passiert ist.«
»Daß sich nichts geändert hat, Sir Bayard«, unterbrach der Zentaur und kreuzte die Arme vor der Brust. »Nichts außer Seinem Gesichtsausdruck, der mich doch erschreckte, denn er war so voller Unglaube und Entsetzen.«
»Agion«, erklärte Bayard, »hat nicht gesehen, wie der Satyr sich in eine Ziege verwandelte.« Der Ritter setzte sich hin, zog sein Messer und fuhr mit dem Finger leicht über die Klinge.
»Es war, als hätte der Tod ihm das Menschliche geraubt«, sagte er schließlich, während er wieder ins Feuer starrte. »Als ob das Sterben alles Menschenähnliche von seinem Körper genommen hätte, so daß nur noch das Unmenschliche, Ziegenhafte übrig war.«
»Denn mehr war von Anfang an nicht da, Sir Bayard«, sagte Brithelm geduldig, aber viel zu laut für diese gefährliche Gegend. »Es klingt nach einem Sprichwort«, fügte er mit einem Lächeln hinzu. »Wer gegen Ziegen kämpft, wird Ziegen töten.«
»Wie auch immer«, sagte Bayard mit leiser und merkwürdig verunsicherter Stimme. »Aber an einem besteht kein Zweifel: In diesem vermaledeiten Sumpfgebiet gehen merkwürdige Dinge vor sich. Ich möchte unbedingt weiter, aber erst muß ich mein Versprechen erfüllen und mit den Satyren reden, seien sie nun echt oder nur eine Illusion.«
Bayard starrte lange ins Feuer, bevor er aufstand. Er stapfte zu Valorus und dem Packpferd hinüber, um sich um sie zu kümmern. Links in den Büschen flatterte etwas. Ich erschrak, weil ich einen Hinterhalt befürchtete.
Inzwischen hatte Agion Schilf und Blätter zu Bündeln aufgeschichtet, die er auf dem Boden der Lichtung zu einer provisorischen Matratze ausbreitete. Während die anderen ihren eigenen Angelegenheiten nachgingen, traf sein Blick den meinen und zeigte mit seiner großen, plumpen Hand auf sein Werk.
»Mein Herr Archala sagte, sieben Tage und Nächte bei uns würden Ihn entlarven«, stellte er fest, wobei sein Gesicht sich zu einem ebenso freundlichen wie häßlichen Lächeln verzog. »Aber er hat keinem befohlen, die ganze Zeit wachzubleiben.«
Ich kroch dankbar auf das Lager und schlief den Morgen und den Nachmittag über wie ein Stein, während mein gewaltiger Gefährte und Aufpasser Wache stand.
Ich begriff, daß Bayard vorläufig jegliche Geduld mit den Pfadwächtern verloren hatte. Selbst die Zeit, die ich verschlief, war Zeit, die er auf dem Weg nach Kastell di Caela aufholen mußte.
Doch diese Ungeduld hatte auch ihr Gutes, denn während ich schlief, schien Sir Bayard vergessen zu haben, weitere Details über meine nächtlichen Abenteuer aus mir herauszulocken. Oder er überging dies absichtlich.
Während er die Pferde versorgte und Brithelm vom Feuer zum Rand des Lichtscheins ging und sich anscheinend zum Meditieren hinsetzte, regte ich mich schläfrig auf meinem Schilfbett, griff in die Tasche und zog die Calantina hervor.
Eins zu Zehn. Zeichen der Viper.
Na schön. Also tat ich, was Schlangen tun.
Ich erhob mich und ging zu Bayard rüber, der sich an das Packpferd lehnte und mit seinen großen Händen alles festzurrte, was der Sumpf am Sattel gelockert hatte. Als ich kam, schaute er kurz über die Schulter und widmete sich dann wieder seiner Arbeit.
»Bayard?«
Ich rief noch einmal leise: »Bayard?«
Er zerrte seine Rüstung vom Pferd und begann, sie anzulegen. Dann sah er mich an, lächelte und winkte mich zu sich. Ich kam mir immer gemeiner vor.
»Ich hoffe, du hast gut geschlafen, Galen, aber jetzt müssen wir los. Ich bin sicher, daß wir die Satyre dort finden, wo du gesagt hast. Was meinst du, wie weit wir von dem Lager entfernt sind? Hilf mir mal.«
Ich bückte mich, zog eine Beinschiene fest und antwortete: »Nicht weit, glaube ich, Sir. Es dürfte leicht zu finden sein.«
»Denk nach, Junge«, drängte er. »Du hast keine Ahnung, was diese Verzögerung für mich bedeutet.«
Als ich Bayard auf die Beine half, begann über unseren Köpfen ein Irrlicht zu glühen. Zuerst schillerte es in der Luft des frühen Abends, als hätte es sich wie ein Haufen Glühwürmchen in den Zweigen einer riesigen, moosbewachsenen Eiche niedergelassen, die die Lichtung überschatteten, wo wir gelagert hatten. Kurz darauf hob sich das Licht aus den Zweigen und begann, sich in die Richtung zurückzubewegen, aus der ich gekommen war.
Am Anfang tat ich so, als würde ich das Irrlicht nicht bemerken, aber bald wurde mir klar, daß keiner meiner Gefährten es gesehen hatte. Also konnte ich dem wabernden Licht leicht folgen und hielt nur hin und wieder an, um angeblich die Position zu bestimmen und dann einen Baum, einen Teich oder eine Wegbiegung wiederzuerkennen. Bald mußte ich nichts mehr vorspielen, denn meine Gefährten folgten mir ohne Fragen. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, Stechmücken totzuschlagen, sich durch das Unterholz zu arbeiten und das Gelände und sich gegenseitig zu beschimpfen.
Die ganze Zeit hing das Licht etwas vor und über uns, mein Leuchtfeuer in diesem verräterischen Sumpf. Und die Nacht brach mit der entsetzlichen Geschwindigkeit über uns herein, die sie nur in dichtem Urwald haben kann.
Auf Bayards Befehl ritt ich als Führer voran. Brithelm ging neben mir mit der einen Fackel, Agion lief hinten mit der anderen. Bayard führte Valorus und lief zwischen ihnen. Er trug jetzt die volle Rüstung, die laut klirrte und ihn tief in den weichen Untergrund einsinken ließ. Er mußte die Möglichkeit eines Endkampfes an dem Ort, wohin ich sie führte, vorhergesehen haben und wollte auf diesen Fall vorbereitet sein.
Was mich am meisten belastete war, daß Brithelm mit uns kam. Was der Skorpion mit unserer kleinen Gruppe vorhatte, konnte ich nicht erraten, aber mein unschuldiger Bruder hatte meinen Verrat nicht verdient. Doch er wollte uns unbedingt begleiten. Mein Bruder würde vorläufig bei uns bleiben.
Die ganze Zeit tanzte ein paar Meter vor mir das ungesund grüne Irrlicht, das uns alle zum Lager und in ein ungewisses Schicksal führte.
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