Nun, sie hießen mich richtig freudig willkommen, was mehr war, als ich erwartet oder verdient hatte. Bayard und Brithelm sprangen augenblicklich auf, wobei Brithelm die Arme zu einer brüderlichen Umarmung ausbreitete. Bayard war reservierter, wie es seiner Position entsprach, doch er verbarg kaum seine Freude und Erleichterung. Agion tänzelte buchstäblich wie ein Hengstfüllen zwischen Valorus und der Stute hin und her.
Und ich würde diese Unschuldigen dorthin führen, wohin der Skorpion es befohlen hatte.
Ich hatte solche heimlichen Abmachungen mit dem heimlichen Feind nie gemocht. Es regte mich allmählich auf, daß meine Überwachung Teil eines geheimnisvollen Plans war, der für manche, die das nicht verdient hatten, leicht ein böses Ende nehmen konnte. Aber wie es auch sei, es ging um ihre Haut oder meine. Wenn man es so klar formulierte, war es leicht, edleren Anwandlungen zu widerstehen.
Brithelm umarmte mich und stellte tausend Fragen, als er mich zum Feuer führte und mir einen dampfenden Becher Roka in die Hand drückte. Ich roch widerwillig daran, denn ich roch die Rokanüsse und den Zimt. Dann probierte ich. Zu meiner Erleichterung hatte nicht mein spiritueller Bruder den Roka gebraut.
Ich setzte mich hin, merkte, wie das beruhigende, warme Getränk mich durchströmte, und dachte an das Ende einer alten Fabel: Und so nahmen sie die Schlange in ihre Mitte auf und fütterten und beschützten sie und – pflegten sie gesund.
Und gaben ihr zweifellos Roka zu trinken. Die Welt ist kein freundlicher Ort.
Beim Trinken beantwortete ich die Fragen, mit denen mein ritterlicher Beschützer mich bombardierte.
»Aber ich weiß nicht, wo ich gewesen bin, außer in diesem Sumpf und in ein oder zwei Treibsandlöchern.«
»Und ich weiß nicht genau, was ich gesehen habe, außer daß es ganz schön verwirrend war.«
»Ich bin hier vorbei gekommen und habe das Licht gesehen. Ohne das Licht hätte ich euch wahrscheinlich nie gefunden.«
Keine der Antworten war eine Lüge. Zumindest nicht direkt.
»Egal, wie du zu uns zurückgekehrt bist, Galen, ich danke den Göttern für diese Rückkehr!« rief Brithelm aus und umarmte mich erneut. Agion sprang herum und nickte heftig zum Zeichen seiner Zustimmung.
Nur Bayard hielt sich von diesem Trubel und dem brüderlichen Geschwätz fern und beobachtete mich forschend – vielleicht sogar ein bißchen mißtrauisch. Aber vielleicht entstammte das Mißtrauen, das ich auf seinem Gesicht lesen konnte, dem Wissen um meine eigenen Verfehlungen und meiner Angst vor Entdeckung. Schließlich war ich als Agent des Skorpions hier und damit irgendwie ein Stinktier, wenn man es genau besah.
Bayard äußerte sich schroff.
»Ich kann mir nicht vorstellen, Galen, daß du verlorengehst und dir nicht einmal im Vorbeigehen einen Teil der Umgebung einprägst. Falls du es noch nicht bemerkt hast, ich bin es ziemlich leid, daß du in ruhigen Zeiten auftauchst und in Zeiten der Not verschwindest. Ich nehme an, du warst mal wieder irgendwo im sicheren Sumpfgebiet ›auf Kundschaft‹.«
Bayard hockte sich ans Feuer und wärmte sich die Hände, denn es war wieder ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit.
»Ich weiß ja, Sir, daß ich gewisse gemeine Verdächtigungen von Euch verdient habe, auch wenn so etwas für einen Ritter von Solamnia untypisch ist. Ich weiß, daß ich mich versteckt habe, wo ich vielleicht… mehr Einsatz hätte zeigen sollen. Aber immerhin habe ich Eure Rüstung wiedergefunden, wofür ich doch eine kleine Anerkennung verdient habe.«
Bayard blickte ins Feuer und nickte widerwillig.
»Und darüber hinaus, Sir Bayard, habe ich bei all diesem Kundschaften und Wiederfinden noch etwas wirklich Wichtiges herausbekommen, das Ihr unbedingt hören müßt.«
Ich erzählte ihm von dem Lager mitten im Sumpf – dem Kreis aus Lagerfeuern, dem Haus auf Stelzen und den paar Ziegen auf dem Platz. Natürlich ließ ich den Skorpion aus – und Alfrik sowieso – und berichtete meine Geschichte schnell und natürlich mit all dem Instinkt, den ich in der Wasserburg entwickelt hatte.
Falls Bayard einen Verdacht hegte, so wurde dieser jedenfalls nicht von den anderen der Gruppe geteilt. Agion machte weiter Freudensprünge, und Brithelm redete fröhlich weiter.
»Ziegen und Häuser und Feuer – was soll’s, kleiner Bruder. Ich bin so erleichtert, dich in Sicherheit zu wissen, bevor ich mich zum Meditieren in meine Einsiedelei zurückziehe. Ich fürchte, ich wäre nie leichten Herzens dorthin zurückgegangen, ohne dein Schicksal zu kennen.«
»Brithelm?«
»Ja, kleiner Bruder?«
Aber was sollte ich sagen?
»Paß auf dich auf, wenn du Einsiedler wirst. Der Sumpf hat sich verändert, seit du damals mit den wilden Tieren Kontakt aufgenommen hast.«
»Auf mich aufpassen? Aber, Galen, nichts in diesem Sumpf ist wirklich gefährlich. Nicht einmal die Satyre sind Satyre.«
Ich warf einen schnellen Blick auf Bayard, der mit den Achseln zuckte.
»Nun«, antwortete ich, »meiner Erfahrung nach können Treibsand und Krokodile, ganz zu schweigen von Satyren, dem Gläubigen und den Edlen genauso schaden wie jedem anderen.«
»Genau das ist es, Galen«, mischte sich Bayard von seinem Platz am Feuer ein, ohne mich beim Sprechen aus den Augen zu lassen. »Brithelm glaubt nicht an die Satyre. Er sagt, es gibt sie nicht.«
»Moment mal. Es gibt sie nicht?« Ich wollte nicht preisgeben, was ich wußte. »Nun, Ihr habt sie doch gesehen, oder?«
Bayard nickte.
»Und du, Agion?«
Der Zentaur trat zurück in den Feuerschein und sagte: »Ja, Galen. Das habe ich tatsächlich. Aber darum geht es nicht.«
»Nicht?«
Der große Zentaur lehnte sich nach vorne, um sich am Feuer die Hände zu wärmen. Über sein offenes Gesicht legte sich ein verwirrter Ausdruck. »Nein«, erklärte er, »denn Brithelm hat uns erklärt, daß es die Satyre nicht gibt, ob wir sie sehen oder nicht. Er ist ein Heiliger, der mit dem Unsichtbaren vertraut ist.«
»Ich verstehe. Vielleicht kann mir mal einer von euch erklären, was hier passiert ist, während ich fort war. Wenn etwas, das Bayard mit dem Messer anspringt, das zwei von Agions Freunden umgebracht hat, das ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe, nicht existiert, dann wüßte ich gerne…«Ihre Geschichte war kurz und bitter und merkwürdig. Als ich sie erfuhr, ähnelte sie mehr und mehr einem der legendären Edelsteine aus dem fernen Kharolis, die verschiedene Farben haben, je nachdem, wie man sie hält. Oder noch eher einem dieser alten, prophetischen Gedichte aus dem Zeitalter der Träume, in denen jeder Leser die Vorhersage seiner eigenen Katastrophen wiederfindet. Bayard begann zu erzählen.
»Ich habe dich gesucht, Galen«, sagte er ruhig, »dich aber nirgends gefunden.«
»Und als wir Ihn nicht finden konnten«, nahm Agion sofort den Faden auf, »brachen wir aus dem Gebüsch und stürmten auf den Weg, wo wir es mit einem halben Dutzend Satyre zu tun bekamen.«
»Vier«, berichtigte Bayard.
»Keine«, berichtigte Brithelm.
»Keine?« fragte ich, während ich näher ans Feuer trat.
»Unsere Geschichten weichen fast von Anfang an voneinander ab«, erklärte Bayard, der vom Feuer zurückwich. »Ich habe vier gesehen, Agion sechs, und Brithelm sah vier Ziegen. Die Ziegen kommen in meiner Geschichte später.«
Bayard brach einen Zweig von einem Ewigkeitsbaum ab und fachte mit dem blauen, duftenden Holz das Feuer an. Dann setzte er wieder an.
»Jedenfalls war der Kampf schnell vorbei. Welcher Kampf auch immer. Agion behauptet, daß zwei Satyre unverletzt entkamen und zur Mitte des Sumpfes gelaufen sind.«
Zur Palisade, natürlich. Das klang glaubhaft.
»Ich hingegen habe wie gesagt nur vier gesehen«, sagte Bayard. »Und alle haben tapfer gekämpft. Sie schwangen Keulen, Kurzspeere, diese Schwerter mit den gebogenen Klingen…«
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