Bayard war fast über seine eigenen Füße gestolpert, als Valorus’ kräftiger Ruck an den Zügeln ihn fortriß. Fluchend ließ er den Hengst los, der an die Seite sprang und stehenblieb, weil er die Bewegung im Unterholz sah. Dann riß der Zügel, an dem Bayard das Packpferd geführt hatte, mitten entzwei, als die Stute voller Panik daran zerrte. Sie wieherte laut, keilte wild nach etwas aus, das ich nicht sehen konnte, und stürzte sich dann Hals über Kopf in den Sumpf – wahrscheinlich auf und davon.
Nicht daß ich Zeit gehabt hätte, mir über den Verbleib der Stute Gedanken zu machen. Denn ein Kampf begann, jedenfalls sah es so aus. Bayard und Agion schlugen mit ihren Waffen durch die Luft, die um ihre Klingen herum schimmerte und tanzte, als wenn sie durch Wasser schnitten. Aber das war auch alles, was ich vom Feind sah, dieses ungewöhnliche Schimmern in der Luft. Das heißt, bis ich mich aufgerappelt hatte und wieder auf dem Weg stand.
Vier Satyre waren auf dem Weg in einen tödlichen Nahkampf mit meinen beiden Begleitern verstrickt. Ich zwinkerte rasch und wich zurück, weil ich immer noch nicht begriff, wie diese Wesen aus den Luftwirbeln gekommen waren.
Es waren kräftige Kerle, diese Satyre, und noch häßlicher, als man sich aufgrund der Beschreibung »Ziegenmenschen« hatte vorstellen können. Ja, sie waren gehörnt, und ihr Unterkörper war mit schmutziger, fleckiger Haut bedeckt. Ja, sie hatten kurze, strähnige Schwänze und Hufe an den Füßen. Ja, ich konnte sie schon von weitem riechen. Aber darüber hinaus waren ihre Gesichter nur Haut und Knochen, und ihre Züge waren nicht sehr ziegenartig – Ziegen können sehr edel aussehen, auch wenn sie nicht besonders schön sind –, sondern ähnelten denen von Riesen oder grauenhaft verzerrten Menschen. Und zudem trugen alle vier Messer und kurze Speere, mit denen sie unsere Gruppe angriffen.
Mir kam es so vor, als wären wir zahlenmäßig unterlegen.
Wenn ein Strammer junger Bursche wie Agion und ein erfahrener, geübter Kämpfer wie Bayard schon kaum Chancen hatten, das zu besiegen, was sie angriff, dann wußte ich nicht, was passieren würde, wenn sich ihnen ein magerer Junge mit spitzem Gesicht anschloß, der ein ruhmreiches, langes Messer trug.
Also kauerte ich mich an den Wegrand, während meine Kameraden sich auf den Feind stürzten. Bayard wich dem Speerstoß des vordersten Satyrs aus und versetzte dem Kerl einen kräftigen Tritt ins Hinterteil. Der Satyr kullerte in das hohe Gras am Wegrand, aber zuvor war Bayards Fuß – anscheinend – bis zum Knöchel in seinen Rücken gedrungen.
Bayard schrie auf, nicht vor Schmerz und bestimmt nicht vor Schreck, sondern vor Überraschung. Als er das tat, sprang ihm ein weiterer Satyr auf den Rücken und stach mit blankem Messer nach seiner Kehle.
Als Agion diesen Kampf auf Leben und Tod bemerkte, warf er die beiden Satyre von sich, die er jeweils in einer Hand kopfüber gehalten hatte. Die Ziegenmenschen kamen irgendwo in den Binsen auf, wo sie meckerten, um sich schlugen und dann still liegen blieben. Der Zentaur sprang vor und pflückte den Angreifer von Bayards Rücken.
Der Satyr zappelte und kreischte, als Agion ihn hoch in die Luft hob und schüttelte wie ein Terrier, der eine Ratte schüttelt, und ihn dann gut fünf Meter durch die Luft zu seinen Kameraden schleuderte. Es gab einen dumpfen Aufprall, und dann war Stille. Dann hörte man, wie das Schilf von etwas – oder mehreren etwas – zertrampelt wurde, das sich entfernte.
Der Sumpf war wieder ruhig, bis auf den gelegentlichen Ruf eines Vogels und das Zirpen der Grillen.
So viel zu unserer Friedensmission.
Meine Begleiter entspannten sich und sondierten nach diesem ersten Angriff die Lage. Agion rieb sich zufrieden die Hände und nickte Bayard zu, der müde seufzte und das Schwert einsteckte, das er nicht benutzt hatte. Er ging zu Valorus, streichelte dem Hengst die Mähne und flüsterte ihm etwas auf Altsolamnisch ins Ohr.
Erst da fiel es ihm wieder ein.
»Das Packpferd! Es ist weg, und es hat meine Rüstung!«
In diesem Moment begann der Sumpf, der bestimmt eine Stunde geschwiegen hatte, zu lärmen, und ich fragte mich, was mich an der Stille so aufgeregt hatte. Überall um mich herum herrschte ein schrecklicher Lärm – Vogelrufe aus dem Hals von Wesen, die bestimmt keine Vögel, aber auch keinesfalls Menschen waren. Etwas in diesen Rufen klang belustigt und spöttisch, und ich dachte, ich hätte meinen Namen gehört. Allerdings hatte ich solche Angst, daß ich ihn durchaus aus diesem sinnlosen Lärm hätte heraushören können.
Ich erinnerte mich an die dunkle Bücherei und fragte mich, obwohl Raben in diesem Chor der Stimmen waren.
Bayard blickte sich rasch um und versuchte, die Ursache für diesen merkwürdigen Lärm herauszufinden. Leise und gezielt deutete er auf Agion und dann auf die Binsen links vom Pfad.
Der große Zentaur nickte wieder und machte sich in diese Richtung auf. Bald war er in dem dichten Grün verschwunden.
Jetzt war ich dran. Bayard zeigte auf mich und wies nach rechts.
»Wie bitte?« flüsterte ich.
»Oh, Galen, geh einfach drei Meter oder so vom Pfad ab und bezieh dort Stellung! Bewach da drüben unsere Flanke.«
»Bewachen? Ich weiß nicht, ob ich Euch richtig verstanden habe. Ihr habt doch ›bewachen‹ gesagt, oder?«
Bayard verdrehte die Augen, während er sein Schwert zog und seinen Schild vor sich hielt, um weiter dem Pfad zu folgen.
»Bei Humas Lanze! Schrei einfach, wenn du etwas siehst.«
Widerwillig verließ ich den Pfad nach rechts. Rohrkolben und tiefhängende Zweige streiften mein Gesicht, und ein paarmal stolperte ich, weil ich mich in dem grünen Königreich da unten verfangen hatte. Mein letzter Blick auf den Pfad zeigte mir Bayard, der tief geduckt und so schnell wie ein gewaltiger Panther auf die Quelle des Lärms zurannte.
Ich dagegen gab eine weniger raubtierhafte Figur ab. Höchstens drei Meter vom Pfad entfernt schob ich das Schilf auseinander, um auf eine kleine Lichtung zu stolpern, auf der sich ein verrotteter Baumstumpf und zwei stehende Wasserlachen befanden. Wieder wurde der Sumpf merkwürdig still, und die Rufe und Schreie verloren sich so plötzlich, wie sie begonnen hatten, in den natürlicheren Geräuschen des Sumpfes: Hin und wieder summten mir Mücken um die Ohren, und über meinem Kopf wurde das tiefe, geheimnisvolle Schweigen des Himmels nur vom Schrei eines Raben unterbrochen.
Ich zog mein kleines Schwert, weil ich fand, daß es – ob mit oder ohne Lärm – leicht zum Kampf kommen konnte, und daß ich dann vielleicht sogar daran teilnehmen mußte. Lieber Stahl und Kampf als Gefangenschaft.
Die Zeit verging – zuviel Zeit. Mitten in meine Ängste drang aus der Nähe ein Geräusch, ein lautes Rascheln von Blättern und Unterholz. Schnell begann ich, mich in den sumpfigen Boden einzugraben. Ich hoffte, mir würde die Zeit reichen, um mich zu vergraben und so der Entdeckung zu entgehen. Aber der Boden war zu naß; das Loch füllte sich genauso schnell mit Wasser, wie ich grub, und mir schoß durch den Kopf, daß die Zentauren mich ertränken würden, ob ich nun der Spionage schuldig war oder nicht.
Da drang Bayard aus dem Gehölz. In der rechten Hand hielt er sein Schwert, mit der linken gebot er mir dringlich, leise zu sein. Gebückt kam er auf mich zugehuscht und kniete sich neben mich.
»Wo seid Ihr gewesen!« platzte ich los, wobei mein Flüstern schnell zu voller Lautstärke und fast zu Schreien anstieg, bevor er mit der behandschuhten Hand meinen Mund bedeckte und mich zum Schweigen brachte.
»Es ist doch alles in Ordnung mit dir?«
»Ja. Naja, eigentlich nicht. Es ist mein Bein, Sir. Ich fürchte, es ist gebrochen oder anderweitig verletzt. Wenn Ihr einen Fluchtweg habt, so könnte ich den Schmerz wahrscheinlich aushalten und es schaffen. Ansonsten ist das Bein zu nichts gut. Taugt überhaupt nicht dazu, eine Stellung zu stürmen, oder was Ihr sonst für Angriffe im Kopf habt.«
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