Ilura war nicht anwesend. Nach ihren Gebeten zu Sithra hatte sie mit ihren Reptildienern wortlos die Stadt verlassen. Omeron war nicht mehr dazugekommen, ihr so zu danken, wie er es gern getan hätte.
Aber Sonja erklärte ihm beim Festmahl: »Das hätte sie nicht gewollt, Fürst, glaubt mir. Dass sie Vergeltung üben und ausführen konnte, wozu sie bestimmt war, ist ihr Belohnung genug. Wir werden sie vermutlich nie wieder sehen, doch wenn Ihr je reist, so stellt in einem von Sithras Tempeln eine Räucherschale auf.«
Omeron lächelte. »Und wie kann ich Euch danken, Rote Sonja? Ohne Eure Hilfe …«
»Ihr habt mehr als genug für mich getan, als Ihr mir das Leben in den Bergen gerettet habt«, erinnerte sie ihn.
»Und Euch sogleich in Gefahren brachte, wie Ihr sie Euch früher vermutlich nicht größer gegenübersaht. Ich bitte Euch, sagt mir, wie ich Euch wenigstens eine kleine Freude machen kann. Mit einem edlen Pferd? Einer neuen Rüstung? Einem Beutel Gold? Zehn Beutel Gold?«
Sie überlegte sichtlich, dann zog ein breites Lächeln über ihre Lippen. »Nun, mein Lord – wenn Ihr unbedingt darauf besteht –, ja, all das könnte ich recht gut brauchen …«
Da lachte Omeron laut auf und setzte den Kelch auf dem Tisch ab, dass der Wein überschwappte. »Es gehört alles Euch!« rief er fröhlich. Er schlang einen Arm um ihre Schultern und drückte sie in einer heftigen Gefühlsaufwallung fest an sich. »Alles, Sonja – und der Thron an meiner Seite ebenfalls, wenn Ihr es möchtet.«
, Ihr Lächeln schwand. »Nein, Omeron, kein Thron für mich, fürchte ich.«
»Wenn Ihr mich heiraten und hier bleiben würdet …«
»Bitte … Ich fühle mich geehrt, wirklich, aber beharrt nicht darauf. Ihr wurdet für den Thron geboren, und ich dazu, durch Bergpässe zu reisen und gegen Zauberer zu kämpfen, glaube ich.«
»Ich achte Euch deshalb um so mehr«, versicherte ihr Omeron ernst.
»Doch wenn mein unsicherer Schicksalsweg mich wieder hier herführt …«
»Ja!« Omerons Gesicht leuchtete auf. »Das muss er! Ihr müsst irgendwann zurückkommen, wenn die Stadt wieder aufgebaut ist.«
»Das werde ich«, versprach ihm Sonja. »Wenn ich nicht zuvor zu schwach und gebrechlich werde, tue ich es!«
»Ihr schwach und gebrechlich?« sagte Omeron. »Nie!«
Sonja nippte an ihrem Wein. »Nie …«, murmelte sie und drehte den Kelch in der Hand. Sie schüttelte den Kopf und schluckte.
Sie verließ Thesrad auf ihrem neuen edlen Pferd, in glänzender neuer Rüstung, frisch gebadet und ausgeruht, mit zwei Beuteln Gold am Gürtel und acht weiteren in den Satteltaschen, dazu mit genug Brot und Dörrfleisch, so dass sie ohne jagen zu müssen über die Berge kam. Und als Begleiter hatte sie Aspre, den Zauberer, der in den Nordwesten zurückkehren wollte.
Sie brachen im Morgengrauen auf und erreichten spätnachmittags den Fuß der Berge. Dort rasteten sie neben einem Bach und äßen ausgiebig. Sonja hatte mit Pfeil und Bogen einen kleinen Fasan erlegt, um ihren ansonsten eintönigen Mundvorrat zu ergänzen, und Aspre hatte Beeren und Wurzeln gesammelt.
»Verzeiht, wenn ich frage«, wandte Sonja sich beim Essen an Aspre. »Aber wäre es Euch nicht möglich gewesen, irgendein Wild durch Zauberei zu erlegen?«
Während des bisherigen Rittes hatten die beiden nur wenige Worte gewechselt. Nun antwortete Aspre ruhig: »Ich habe beschlossen, meine Zauberkünste nie wieder zu benutzen.«
»Ich verstehe«, murmelte Sonja. »Wegen Eures Erlebnisses mit Du-jum?«
»Ja, wegen Du-jum. Wegen all dessen, was geschehen ist.« Er nagte den letzten Fasanenknochen ab. »Ich habe falsch gehandelt. Du-jums Macht war weit größer als meine, und doch versagte er, genau wie ich. Als ganz junger Mann hatte ich die Wahl zwischen zwei Pfaden – und ich entschied mich für den kürzeren, schnelleren. Nun weiß ich, dass dies falsch war.«
»Auch ich wählte einmal einen Pfad«, sagte Sonja nachdenklich. »Manchmal hielt ich ihn auch für den falschen, doch später, zu anderen Zeiten, verstand ich den Sinn dahinter. Das Gewirke der Schicksalsgöttinnen ist nicht immer klar zu erkennen.«
»Vielleicht habt Ihr Euch das nur eingeredet, Sonja. Vielleicht gibt es ein solches Gewirk überhaupt nicht.«
»Und vielleicht habt Ihr nie willig Zauberei benutzt, Aspre.«
»Oh, ich tat es willig genug.« Der Zauberer betrachtete sinnend seine Handrücken, auf die der Schein des Lagerfeuers fiel. »Ich bildete mir ein, Zauberei könnte für die Menschen die Schrecken lindern, mit denen die Götter sie heimsuchen und die sie erdulden müssen, oder für Vergeltung bei furchtbaren Untaten sorgen, oder …« Er zögerte. »… oder eines Tages sogar die Möglichkeit bieten, die Götter zu stürzen und die monströse Welt zu verbessern, die sie erschufen.«
»Euer Freund Elath sagte einmal zu mir, dass Zauberei nicht besser und nicht schlechter ist, als jener, der sie einsetzt. Es gab eine Zeit, da hätte ich das nicht geglaubt, doch jetzt …«
»Das mag stimmen, denn ich bin nun überzeugt, dass Elath weiser ist als ich. Aber Ihr, Rote Sonja – ich spüre auch etwas Magie um Euch, trotz Eures Vorurteils dagegen.«
»Vorurteil? Ich kämpfte gegen Zauberei, wenn sie sich gegen mich richtete, aber nie grundlos. Immer verließ ich mich auf mein Schwert. Nie ließ ich mich willig mit dem Anderen – wie Ihr es nennt – ein.«
Leicht ächzend erhob sich Aspre und wischte sich Brotkrumen von Bart und Gewand. »Ich werde Euch keine Fragen mehr stellen. Rote Sonja. Unsere Pfade, glaube ich, trennen sich hier.«
Auch Sonja stand auf. »Gewiss nicht. Wir müssen beide die Berge überqueren.«
»Das ist ein langer Weg«, entgegnete Aspre. »Wie ich schon erwähnte, wählte ich schon vor langer Zeit den kürzeren.«
Mehr sagte er nicht, und Sonja drang nicht weiter in ihn. Er packte seine Satteltasche um, schwang sich in den Sattel und lenkte sein Pferd zu Sonja.
»Lebt wohl, Hyrkanierin. Euer Pfad ist lange und gefährlich, aber es ist ein wahrer Pfad. Ein guter Pfad.«
»Das wisst Ihr?«
Er nickte. »Ich habe etwas von Eurer Zukunft gesehen. Euer Weg ist … richtig. Eines Tages werdet Ihr die echte Liebe finden. Ihr werdet Euer Schwert nicht aufgeben, aber Ihr werdet den richtigen Mann finden und eine erfüllte Frau werden.«
Sonja runzelte die Stirn. »Was meint Ihr damit?«
»Und Ihr werdet lange leben und graues Haar haben, doch Ihr werdet auch im Alter und mit grauem Haar stark sein. Ihr werdet in die Geschichte dieser Welt eingehen, Rote Sonja.«
Verblüfft blinzelte sie. »Ich will doch nur …«
»Die Sonne geht unter«, unterbrach Aspre sie. »Es ist Zeit, dass wir uns wieder auf den Weg machen. Folgt dem langen Pfad, Rote Sonja aus Hyrkanien, und Kraft wird immer mit Euch sein.«
Mit einem letzten Nicken trieb er sein Pferd an und ritt dahin. Sonja blickte ihm noch lange nach.
An diesem Abend ritt sie einen Berg noch halb hoch, dann machte sie sich ein Feuer und schlief daneben. Am Morgen badete sie in einem nahen Weiher und gönnte sich danach erfrischt Beeren, Wurzeln, Kräuter und kühles Quellwasser zum Frühstück. Schließlich füllte sie sich einen Handschuh mit Beeren und aß sie im Reiten.
Die Sonne stand voll über den Bäumen, als Sonjas Pferd vor etwas am Pfad scheute, wieherte und sich aufbäumte.
»Ruhig, Junge … ruhig! Wa-as …?«
Mitten auf dem Weg ringelte sich eine Schlange.
Sonja lächelte. Sie beobachtete das Reptil, dachte an Ilura, und salutierte. »Zieh weiter, ich halte dich nicht auf, alte Freundin. Ich weiß zu schätzen, was du und deinesgleichen für uns getan habt.«
Aber die Schlange zog nicht weiter. Sie wand sich vor dem Pferd vor und zurück und zog Spuren durch den Staub, bis Sonja klar wurde, dass das Tier bedeutete, ihm zu folgen.
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