Füssescharren war zu hören, ebenso heftige Verwünschungen. Du-jums Soldaten drohten mit den Schwertern, als sie sich einen Weg durch die Verwundeten bahnten und Omeron herbeizerrten, der stark hinkte. Vier Soldaten hielten ihn. Er trug den Kopf hoch und blickte Yarise nicht an, Du-jums finsterem Blick begegnete er jedoch grimmig.
»Omeron …«, murmelte Yarise.
Er kämpfte gegen sein Zittern, sein Gefühl der Schmach und seinen an Wahnsinn grenzenden Zorn an. »Der Höllenfürst«, sagte er trocken, und auch jetzt schaute er Yarise nicht an, »und seine Hure.«
Yarise erblasste, dann verzog das Gesicht sich in wilder Wut. »Tötet ihn!« schrie sie. »Tötet ihn!«
»Schafft ihn in mein Gemach«, befahl Du-jum den Wächtern. »Kettet ihn nackt an die Wand. Ich komme dann.«
Omeron schluckte schwer und blickte flüchtig auf Yarise, als er fortgebracht wurde. Er sah Augen voll Qual und Zorn zugleich.
»Die finsteren Geister werden viele Nächte prassen können«, murmelte Du-jum, dann wandte er sich laut an seine Soldaten: »Bringt nun die Verwundeten sogleich zu Urmu!«
»Dieser Gang führt zu den Verliesen«, erklärte Elath, der kurz stehen blieb.
Sonja und die sechs Soldaten, die den Kampf im Hof überlebt hatten, waren den verschlungenen Gängen tief unter dem Palast gefolgt.
»Wie könnt Ihr das wissen, Elath?« fragte Sonja.
Die Öllampe flackerte plötzlich, doch nicht von einem durch ihre Bewegung entstandenen Luftzug. Elath drückte schweigengebietend einen Finger an die Lippen. Nun blieben auch die anderen stehen.
»Ich spüre menschliches Leben in der Nähe. Menschen voll Furcht, doch nicht ohne Hoffnung.«
Er streckte den Arm mit der Lampe aus und wandte das Gesicht von ihr ab, damit sein Atem die Flamme nicht beeinflusste. Trotzdem flackerte sie weiter, als käme von irgendwoher eine leichte Brise.
»Wir müssen vorsichtig sein«, mahnte ein Soldat.
Sie schlichen auf Zehenspitzen weiter, und nachdem der Gang mehrere Biegungen gemacht hatte, wurde der Luftzug stärker, und sie hörten den gedämpften Klang von Stimmen.
Lauschend blieben sie stehen. Sonja, die den Abschluss bildete, konnte das Stimmengemurmel kaum hören. Leicht benommen von der modrigen Luft, lehnte sie sich mit einer Schulter an die Wand. Da gab der Stein nach.
Erschrocken duckte sie sich und sah im Geist eine Hand, die nach ihr greifen wollte, einen Dolch, der nach ihr stach und einen Strick, der sich um ihren Hals schlang.
Doch da war nichts dergleichen, nur das Scharren des alten Steins, der sich nach innen drehte und gerade noch am Rand des Steins unter sich balancierend anhielt.
Die anderen vor Sonja waren bei dem Scharren herumgewirbelt. Sie hatte sich inzwischen wieder aufgerichtet und betastete die Wand.
»Was ist los?« erkundigte sich der vorderste, der jetzt auf sie zukam.
»Die Wand ist hohl!« flüsterte sie.
»Sonja, wir haben jetzt keine Zeit, um …«
»O doch, dafür haben wir Zeit. Möglich, dass diese Entdeckung uns nichts nutzt, aber es könnte ja auch sein, dass sie uns sehr hilft. Vielleicht weiß Du-jum nichts davon.« Sie kratzte mit den kurzen Fingernägeln an dem uralten, zerbröckelnden Mörtel zwischen den Steinblöcken, dann nahm sie die Dolchspitze zur Hilfe.
Sie hörte ein ungeduldiges Seufzen hinter sich, ehe Elath mit der Lampe in der Hand herbeikam.
»Geht ruhig weiter!« flüsterte Sonja angespannt. »Ich möchte wissen, was hinter dieser Wand ist.«
»Ich ebenfalls«, versicherte ihr der junge Zauberer. »Ich betete zu den Schicksalsgöttinnen, uns zu helfen. Vielleicht ist dies ihre Antwort.«
Die Soldaten hörten auf zu brummeln und auch zu seufzen.
»Ah!« Sonja hatte den Mörtel von dem Stein unter dem verschobenen gelöst und drückte ihn nach innen. »Helft mir«, bat sie. »Sie dürfen auf keinen Fall umkippen, sonst machen sie einen furchtbaren Krach!«
Zwei Paar Arme unterstützten sie, und gemeinsam hoben die drei, mit leisen Verwünschungen und unter großer Mühe, die Steinblöcke aus der Wand und setzten sie vorsichtig auf den Boden.
»Was jetzt?« fragte ein Soldat.
»Bringt die Lampe hierher, Elath.«
Der Zauberer gehorchte. Das schwache Licht zeigte einen höhlenähnlichen Raum. Der Moder aus dem Gang stieß mit der uralten, stinkenden Luft zusammen, die durch die Öffnung kam, so dass es Sonja und den anderen den Atem abwürgte.
»Was wohl da drinnen ist?« fragte ein Soldat.
»Hebt mich hoch!« befahl Sonja. Sie steckte den Dolch ein, stützte die Arme auf den unteren Stein der Öffnung und machte sich daran sich hochzuziehen.
Ein Soldat legte beide Hände fest an Sonjas Gesäß und stemmte sie hoch. Die Öffnung war mehr als groß genug, dass sie hindurch kriechen konnte. Sie kauerte sich hinein und fauchte den Mann an, der ihr geholfen hatte: »Danke für die Hilfe – aber pass das nächste Mal besser auf, wo du hingreifst!«
»Meine Hand ist ausgerutscht.«
»Ja, ja, das kann ich mir denken. Bringt die Lampe hierher!«
»Sonja, wir wissen nicht, wo es da drinnen weitergeht, und auch nicht wie alt …«
»Gebt mir die Lampe! Bei Mitra, wovor habt ihr Männer denn Angst?«
Dass sie mit ihrem Fluch angedeutet hatte, es sei Angst, die sie zaudern ließ, nicht etwa die Befürchtung, Zeit zu verlieren, brachte die Männer zum Verstummen.
Sonja nahm die Öllampe, stellte sie neben sich auf den Stein, schätzte dann die Entfernung zum inneren Boden ab und sprang. Einen Augenblick war sie ganz aus der Sicht verschwunden, dann tauchte ihr zerzauster Lockenkopf auf, und ihre Hand griff nach der Lampe.
Drei Gesichter drängten sich in die Öffnung und spähten hindurch. Was sie sahen, war nicht das, was sie erwartet hatten.
Sonja war zutiefst enttäuscht. In wenigen Augenblicken hatte sie den ganzen Raum durchmessen. Er war kreisrund, die Wände bestanden aus uralten Steinblöcken – und ganz offensichtlich führte er nirgendwohin. Sie fluchte leise vor sich hin und machte sich daran, zur Öffnung zurückzukehren. »Seid Ihr jetzt zufrieden?« brummte einer der drei.
»Wer nichts wagt … Hoppla!« Sie war gestolpert, hatte sich aber gefangen, ehe sie auf dem Boden landete. Sie senkte die Lampe, um zu sehen, worüber sie gefallen war. »Mitra!«
In der Mitte der Kammer war eine runde Steinplatte in den Boden eingelassen, und aus ihrer Mitte ragte ein schwerer eiserner Griff. Sonja betrachtete den Rand der Platte eingehend, dann stellte sie die Lampe ab und langte nach dem Griff.
»Sonja!« Es war Elath. Er kletterte, nein glitt eher, durch die Öffnung. Und wieder glühten seine gelben Augen.
Sonja strengte sich an, um die Platte zu heben, doch sie ließ sich nicht bewegen.
»Sonja, hört mir zu«, drängte Elath, der nun neben ihr stand. »Es gibt Sagen über einige der Städte in diesem Tal. Es soll bestimmte Gänge unter ihnen geben, und nach uralten Schriften führen sie geradewegs in die Sieben Höllen, oder sogar den ganzen Weg unter die Erde ins Meer der Finsternis, auf der wir treiben.«
»Was?« Sonja strich sich das Haar aus dem Gesicht und stand auf. Sie atmete schwer von ihrer vergeblichen Anstrengung.
»Ich glaube, dass Du-jum deshalb hier ist, Sonja. Er sucht nach einem Weg zu den Höllen, um ihren Meister und Gebieter, dem zu dienen er sich entschieden hat, leiblich kennen zu lernen. Und Ihr habt vielleicht gerade einen der Zugänge gefunden.«
Sie dachte kurz nach, dann sagte sie nur beklommen: »Oh!« Sie hatte keineswegs vor, einer solchen Möglichkeit nachzugehen. Dämonen, Hexer, Zauberei – ihnen allen war sie begegnet, ja hatte sogar gegen sie gekämpft. Aber sich mit dem Leibhaftigen selbst anzulegen, auf einen von den Anderen Welten zu stoßen …
»Sonja, lasst uns weitergehen!« drängte ein Soldat verstört.
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