»Niemals«, sagte Trautman. Winterfeld lächelte auf eine sonderbare Weise. »Das ist ein Wort, mit dem man äußerst sparsam umgehen sollte«, sagte er. »Vermutlich liegen unsere Ziele gar nicht so weit auseinander, wie Sie jetzt annehmen.« »Ich glaube Ihnen kein Wort!« fuhr Ben auf. Winterfeld schenkte ihm einen verächtlichen Blick. »Weißt du, mein Junge, es ist mir ziemlich egal, was du glaubst und was nicht«, sagte er kühl. »Es wäre mir nur lieber, wenn du dich etwas beherrschen könntest. Paul hat mir einiges über dich erzählt. Du bist gar nicht so dumm, wie du gerne tust. Wenn du lernst, dein Temperament im Zaum zu halten, dann -« Er stockte mitten im Wort. Seine Augen wurden groß, und Mike konnte sehen, wie sein Gesicht blaß wurde, als er langsam an sich heruntersah. Und als Mikes Blick dem seinen folgte, verstand er auch, warum. Astaroth, der am Anfang neugierig auf dem Deck herumgestrichen war, hatte es sich auf Winterfelds Füßen bequem gemacht. Jetzt war er aufgestanden und schritt mit würdevoll erhobenem Haupt davon. Winterfelds spiegelblank polierte Stiefel standen plötzlich in einer sich allmählich ausbreitenden, übelriechenden Pfütze. »Das Tier hat Geschmack«, sagte Ben grinsend. Winterfelds Lippen bebten vor Zorn. Eine Sekunde lang war Mike fest davon überzeugt, daß er nun doch die Beherrschung verlieren würde, aber dann gab er sich einen sichtbaren Ruck und zwang sich sogar zu einem -wenn auch nicht völlig überzeugenden -Lächeln. »Bringt unsere Gäste in ihre Quartiere«, sagte er zu seinen Männern. »Und besorgt eine Kiste für diesen Kater.« Mike unterdrückte sein schadenfrohes Grinsen nicht, er ließ sich in die Hocke sinken und streckte die Hand aus. Sofort kam Astaroth herbei, war mit einem Satz auf seinem Arm und kuschelte sich an seine Brust, wo er lautstark zu schnurren begann. »Eine Katze auf einem Unterseeboot - originell«, sagte Winterfeld. »Wo kommt das Tier überhaupt her?« »Wir haben es auf dem Meeresboden gefunden«, antwortete Mike. »Er ist in Wirklichkeit ein Meerkater und sieht nur so aus wie eine normale Katze.« Winterfeld anwortete nicht, aber er sah ihn so wütend an, daß Mike es vorzog, nicht weiterzusprechen. Von den deutschen Marinesoldaten eskortiert, wurden sie tief hinab in den Rumpf der LEOPOLD und in dieselben einander gegenüberliegenden Kabinen geführt, in denen sie bereits ihren ersten unfreiwilligen Auf enthalt auf dem Schiff verbracht hatten. Mike teilte seine Kabine zusammen mit Singh und - zu seinem Leidwesen - Ben, der mit dieser Einteilung ebenfalls nicht einverstanden war, zumal sich auch Astaroth
bei ihnen befand.
»Dieser verdammte Deutsche«, begann Ben zu schimpfen, kaum daß sie wieder allein waren. »Hättet ihr damals auf mich gehört und die NAUTILUS der engli
schen Marine übergeben, säßen wir jetzt nicht hier!«
Kannst du diesen plappernden Schwachkopf nicht irgendwie zum Verstummen bringen? erkundigte sich Astaroth. Oder darf ich das erledigen? »Ach, laß mich doch in Ruhe«, sagte Mike, wohlweislich offen lassend, wen er mit diesen Worten meinte. Er legte sich in eine der Kojen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf, während es sich der Kater auf seiner Brust bequem machte. Ihre Lage war - vorsichtig ausgedrückt -ziemlich aussichtslos. Anders als bei ihrer ersten Gefangenschaft konnten sie diesmal nicht damit rechnen, plötzlich Hilfe von unerwarteter Seite zu bekommen. Und auch der Umstand, daß Winterfeld zugegeben hatte, auf eigene Faust zu handeln, und sie es somit nicht mit der gesamten deutschen Kriegsmarine, sondern nur mit ihm allein zu tun hatten, stellte keinen wirklichen Trost dar. Denn wenn es tatsächlich so war, dann hatte der Kapitän um so mehr Grund, auf der Hut zu sein und die Nähe aller anderen Schiffe zu meiden. Es verging sicher eine Stunde, in der Mike reglos auf dem Bett lag, die Metalldecke über sich anstarrte und seinen immer düsterer werdenden Gedanken nachhing, bis schließlich die Tür wieder geöffnet wurde und Trautman hereinkam. Er wurde von zwei deutschen Soldaten begleitet, und hinter ihm betrat ein sehr alter, weißhaariger Mann den Raum. Mike setzte sich auf und sah dem Fremden neugierig ins Gesicht, während Astaroth mit einem Satz aus der Koje sprang und dem Neuankömmling mit grüßend aufgestelltem Schwanz entgegenlief. Der Fremde beugte sich lächelnd hinunter und streichelte ihm über den Kopf und den Rücken, und Astaroth ließ sich diese Behandlung laut schnurrend einige Augenblicke lang gefallen, dann senkte er den Kopf -und schnüffelte prüfend an den Schuhen des Mannes. Mike hielt den Atem an, aber Astaroth beließ es bei dieser Begutachtung, drehte sich dann herum und kam wieder zurück. Mit einem Satz war er wieder auf dem Bett neben Mike und rollte sich zusammen. »Du bist also Mike«, begann der Fremde. Er hatte eine sehrangenehme, kräftige Stimme, die so gar nicht zu seinem greisenhaften Äußeren passen wollte; ebensowenig wie der Ausdruck in seinen von unzähligen winzigen Fältchen umgebenen Augen, die nicht die eines alten Mannes zu sein schienen. Mike las eine Kraft und Entschlossenheit darin, auf die so mancher viel jüngere Mann stolz gewesen wäre. Langsam stand er auf und nickte. »Und Sie sind...«
»Das ist Professor Arronax«, erklärte Trautman. »Ich habe dir von ihm erzählt.« Mike war nicht sehr überrascht. Arronax sah genau so aus, wie er ihn sich vorgestellt hatte. Und der kurze Blick, den er mit Trautman tauschte, machte Mike ohne jedes Wort klar, daß die beiden Männer bereits über ihn gesprochen hatten. »Ich glaube, ich hätte dich auch so erkannt«, sagte er. »Du siehst deinem Vater sehr ähnlich, weißt du das?« Mike schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn nie gesehen.« Ein flüchtiger Ausdruck von Bedauern erschien in Arronax' Augen, als er nickte. »Ja, Trautman hat mir davon erzählt. Dein Vater hat dich schon früh wegbringen lassen, damit du in Sicherheit bist.« »Wie Sie sehen, hat es nicht viel genutzt«, murmelte Mike, und Ben fügte boshaft hinzu: »Jedenfalls hat er nicht viel vom Schneid seines Vaters abbekommen.« Mike verbiß sich die zornige Antwort, die ihm auf den Lippen lag, und auch Arronax sagte nichts, doch der Blick, den er dem jungen Engländer zuwarf, zeigte Mike, daß Trautman auch über Ben mit ihm geredet hatte. Trautman und Arronax setzten sich an den Tisch, und nach kurzem Zögern folgten ihnen Singh und Ben und schließlich auch Mike. Astaroth blieb auf dem Bett liegen und tat so, als schliefe er, aber Mike entging keineswegs, daß er den weißhaarigen Fremden unter dem fast geschlossenen Augenlid heraus aufmerksam beobachtete. »Trautman hat mir erzählt, was ihr auf dem Meeresgrund gefunden habt«, begann Arronax. »Du mußt mir von allem berichten, was du gesehen hast. Es kann sehr wichtig sein.« Mike deutete verwundert auf Trautman. »Aber hat er Ihnen denn nicht -« »Vier Augen sehen mehr als zwei«, unterbrach ihn
Arronax mit einem gutmütigen Lächeln, und Ben konnte sich nicht verkneifen, hinzuzufügen: »Sechs.« »Ach ja, du warst ja auch in der Kuppel«, sagte Arronax. »Du hast die Prinzessin ebenfalls gesehen.«
»Prinzessin?« Mike setzte sich stocksteif auf. »Woher wissen Sie, daß sie eine Prinzessin ist?« »Weil du es gesagt hast«, antwortete Trautman an Arronax' Stelle. Mike blickte sekundenlang die beiden alten Männer verunsichert an, doch dann begann er gehorsam zu erzählen, was er in der Unterseekuppel gesehen und erlebt hatte. Dann und wann fügte Ben ein Detail hinzu, und Arronax unterbrach sie immer wieder mit gezielten Fragen, wobei er sich für jede noch so winzige Kleinigkeit zu interessieren schien. »Unglaublich«, sagte er schließlich, mehr an Trautman als an die beiden Jungen gewandt. »Diese Kuppel ist das, wonach ich mein Leben lang gesucht habe. Wenn es stimmt, was ihr berichtet, dann ... dann habt ihr etwas entdeckt, wogegen sich die große Pyramide von Gizeh wie eine Sandburg ausmacht.« »Es stimmt«, erklärte Ben in beleidigtem Tonfall. »Warum sollten wir Ihnen etwas vormachen? Fragen Sie Trautman, wenn Sie uns nicht glauben.« Arronax hob besänftigend die Hand. »Ich glaube euch ja«, sagte er. »Es ist nur so...« Er suchte einen Moment nach den richtigen Worten und fuhr mit veränderter, wehmütiger Stimme fort: »Ich habe zwanzig Jahre lang davon geträumt, das zu sehen, was ihr entdeckt habt. Und jetzt, wo es endlich gefunden worden ist, ist es zu spät. Statt der Wissenschaft und der ganzen Menschheit werden die Geheimnisse der Kuppel jetzt nur einem einzigen Mann dienen.« Mike sah verwundert zu Trautman hin. »Haben Sie es ihm denn nicht gesagt?«
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