»Aber ...« Mike runzelte die Stirn, gleich darauf mußte er herzhaft gähnen und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Wie lange habe ich denn geschlafen?« »Annähernd vierundzwanzig Stunden, Herr«, antwortete Singh. »Vierundzwanzig Stunden?« Mike fuhr in die Höhe, so daß der Kater mit einem erschrockenen Laut von seinem Bett hüpfte und aus der Kabine verschwand. »Wieso habt ihr mich so lange schlafen lassen?« »Ihr hattet Fieber, Herr«, antwortete Singh. »Trautman und ich hielten es für besser, Euch ausruhen zu lassen. Und es gab nichts für Euch zu tun.« Vierundzwanzig Stunden? dachte Mike. Beim Aufwachen hatte er das Gefühl gehabt, kaum länger als eine halbe oder höchstens eine Stunde geschlafen zu haben, aber jetzt merkte er, daß seine Benommenheit wohl nur eine Folge des langen Schlafes war. Abgesehen von einem dumpfen Druck im Kopf, der es ihm schwer machte, sich zu konzentrieren, begann er sich ausgeruht zu fühlen. »Gut. Ich komme gleich.« Er schwang die Beine aus dem Bett und stand auf, und in diesem Moment drang ein wütendes Gebrüll durch die offenstehende Tür in seine Kabine. Mike tauschte einen fragenden Blick mit Singh. Das Gebrüll wurde lauter, es war Bens Stimme, die eine wahre Schimpfkanonade auf ein gewisses »schwarzes Mistvieh« losließ, dem er »das Fell über die Ohren ziehen« und es als »Nierenwärmer benutzen« wollte. Singh sah verwirrt drein, während in Mike ein gewisser Verdacht emporstieg, als sie sich der Tür näherten. Aus seiner Vermutung wurde Gewißheit, als Ben barfuß aus seiner Kabine herausstürmte. Die Schuhe hielt er mit beiden Händen so weit von sich fortgestreckt, wie es nur ging. »Ich bringe dieses einäugige Ungeheuer um!« brüllte er, während er mit weit ausgreifenden Schritten die Toilette ansteuerte. »Ich reiße ihm den Kopf ab und brate ihn mir zum Frühstück, das schwöre ich!« »Was hat er denn?« wunderte sich Singh. Mike hatte alle Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken, zumal das »einäugige Ungeheuer« in diesem Moment
wieder in die Kabine geflitzt kam und sich auf seinem Bett zusammenrollte, als wäre nichts geschehen. »Keine Ahnung«, sagte er fröhlich. »Wahrscheinlich hat er wieder mal schlechte Laune. Das ist ja bei Ben nichts Außergewöhnliches.« Er machte eine Handbewegung zur Decke hinauf. »Sag Trautman, daß ich gleich komme. Ich will mich nur rasch anziehen.« Singh schenkte ihm, dann dem Kater einen fragenden Blick, sagte aber nichts und verließ die Kabine. Mike trat wieder an sein Bett und begann sich anzuziehen. Astaroth sah ihm aufmerksam zu und leckte sich ab und zu die Vorderpfoten. Mike fiel erst jetzt auf, daß
der Kater nicht mehr wie eine Mumie auf Urlaub aus
sah. Der Verband war verschwunden. »Das war nicht besonders nett, was du da mit Ben gemacht hast«, sagte Mike. »Ich meine: Keiner von uns kann ihn gut leiden, aber das ist doch kein Grund,
seine Schuhe als Toilette zu benutzen.«
Wäre es dir lieber, ich nehme deine?
Hätte ihm jemand warnungslos einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf gestülpt, Mike hätte kaum fassungsloser sein können. Aus ungläubig aufgerissenen Augen starrte er den Kater an, der für einen Moment aufgehört hatte, sich die Pfoten zu lecken, und seinen Blick aus seinem einzigen, bernsteinfarbenen Auge spöttisch erwiderte. »Wie?« ächzte Mike.
Ich habe gefragt, ob ich lieber deine Schuhe benutzen soll, wiederholte die Stimme. Mike hörte sie nicht wirklich. Vielmehr schien sie direkt in seinem Kopf zu erklingen, als spräche der Kater auf eine Weise mit ihm, die den Umweg über das gesprochene Wort nicht mehr nötig machte. »Ich ... ich träume«, stammelte er. »Ich muß den Verstand verloren haben!«
Um das zu klären, müßten wir erst einmal darüber reden, was ihr Menschen unter dem Wort Verstand versteht, erwiderte Astaroth. Aber du träumst nicht, wenn es dich beruhigt.
»Du ... du kannst sprechen?« fragte Mike.
Hat aber auch lange gedauert, bis du das erkannt hast, erwiderte der Kater und gähnte herzhaft, wie um zu zeigen, wie sehr ihn das Gespräch langweilte.
Obwohl ... Sprechen ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, aber es wäre wohl zu kompliziert, dir das zu erklären. Schließlich bist du nur ein Mensch, und da sollte man vielleicht nicht ganz so hohe Anforderungen stellen.
»Aber wie ... ich meine, wie kannst du ...« Aber und Wie, eure Lieblingsworte, erklang erneut die Stimme in seinen Gedanken. Diesmal hatte sie eindeutig einen spöttischen Unterton. Kaum fangt ihr an, mal etwas zu begreifen, schon folgt garantiert ein Aber oder ein Wie. Wenn man sich bei euch Menschen auf irgend etwas verlassen kann, dann scheint es das zu sein. Nach allem, was du nun schon weißt, hatte ich gehofft, wir könnten uns diesen Unsinn sparen, aber wenn es denn sein muß ...
Es war das erste Mal in seinem Leben, daß Mike eine Katze seufzen hörte. »Die Träume«, murmelte Mike ungläubig. »Das waren nicht bloß Träume. Das ist wirklich mit dir passiert.«
Allmählich scheinst du ja tatsächlich zu kapieren.Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für dich, daß du dein Gehirn benutzen lernst. Mike entschloß
sich, die vorlauten Worte des Katers zu ignorieren. Zu phantastisch war das, was er erlebte. »Vorhin, ich meine gestern, das warst auch du, der mir erklärt hat, daß sich die Station selbst gesprengt hätte, nicht wahr?« stieß er hervor.
Sieh an, das Ding, das du da auf deinen Schultern trägst, schwingt sich ja zu wahren Höchstleistungen auf, erwiderte Astaroth spitz. Ja, natürlich war ich das. Ihr wart ja zu blöd, um die Wahrheit zu erkennen. Da konnte ich mich nicht mehr beherrschen und hätte mich fast verplappert. Aber ich hielt es für besser, erst einmal abzuwarten, bis du mehr weißt, bevor ich dir zu viel verrate. Ich bin auch jetzt noch nicht sicher, daß es wirklich klug war, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu. »Kannst du dich auch mit den anderen verständigen?« erkundigte sich Mike. Nein, antwortete Astaroth einsilbig.
Mike blickte auf seine rechte Hand. Die Bißwunde hatte wieder zu jucken begonnen, und plötzlich begriff er. »Es liegt an dem Biß, nicht wahr?« Diesmal antwortete Astaroth gar nicht. Wahrscheinlich hielt er es für unter seiner Würde, auf eine so offensichtliche Tatsache einzugehen.
»Wer bist du eigentlich?« murmelte Mike. »Was bist
du?«
Ein lautloses Lachen erscholl in seinem Kopf. Die kor
rekte Bezeichnung wäre felis rex, aber zerbrich dir
nicht den Kopf darüber, was das heißen soll, antwor
tete der Kater. Astaroth mag für den Moment genü
gen. Und jetzt sollten wir zu deinen Freunden gehen,
ehe sie zurückkommen und dich mit einer Katze re
den sehen.
Etwas widerwillig verließ Mike seine Kabine und machte sich auf den Weg zum Salon. Er war der letzte, der eintraf. Alle anderen hatten sich - mit Ausnahme Trautmans, der hinter seinen Kontrollinstrumenten stand - vor dem großen Aussichtsfenster versammelt und sahen hinaus. Die NAUTILUS war noch immer von vollkommener Schwärze umgeben, aber weit über ihnen war ein mattgrauer Schimmer zu erkennen: die Wasseroberfläche, der sie sich allmählich näherten. Als Mike den Salon betrat, wandten sich alle um und sahen ihn an. Niemand sagte etwas, aber es war etwas ganz Bestimmtes in ihren Blicken, das Mike klarmachte, daß sie über ihn gesprochen hatten. Der Kater war ihm gefolgt, und Bens Miene verdüsterte sich, als er ihn gewahrte. Aber er beherrschte sich und beließ es dabei, den Kater mit Blicken regelrecht aufzuspießen. »Wie lange noch?« fragte Mike. »Ein paar Minuten«, antwortete Trautman. »Wir tauchen ziemlich schnell auf. Fast schon zu schnell. Irgendwas ... stimmt nicht.« Er lachte nervös. »Die gute alte NAUTILUS scheint es auch nicht mehr erwarten zu können, die Sonne wiederzusehen.« »Es wird auch allmählich Zeit«, sagte Juan. »Ich weiß schon gar nicht mehr, wie Tageslicht aussieht.« Er stockte, runzelte die Stirn und sog übertrieben schnüffelnd die Luft durch die Nase ein. »Was riecht denn hier so komisch?« Alle sahen sich einen Moment lang verwirrt an, aber schließlich konzentrierten sich ihre Blicke auf Ben genauer gesagt, auf Bens Schuhe. Ben lief dunkelrot an. Seine Augen schossen unsichtbare Blitze in Astaroths Richtung, aber er schwieg. »Das da oben«, sagte Chris plötzlich. Er deutete auf einen dunklen, langgestreckten Schatten, der sich verschwommen gegen das Licht abhob. »Was ist das?« Alle blickten in die Richtung, in die sein ausgestreckter Zeigefinger wies. »Das ... ist die LEOPOLD!« sagte Juan schließlich. Seine Stimme wurde schrill, als er sich zu Trautman herumdrehte. »Aber Sie fahren ja direkt darauf zu!«
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