»Oh doch, das tut es«, sagte Molly freundlich. »Du musst mir glauben, wenn ich sage, dass du im Herrenhaus wirklich sicher bist. Ich weiß nicht, ob du der ganzen Familie trauen kannst, aber Eddie kannst du trauen. Er hat seine Familie am Kragen gepackt und die Art und Weise, wie sie die Dinge angehen, kräftig durchgeschüttelt. Er will ändern, wie sie denken und die Welt sehen und das ist der Grund, warum ich dich als aushäusige Tutorin vorgeschlagen habe. Du wirst auch nicht allein da sein. Wir werden uns als Nächstes Mr. Stich suchen.«
»Na prima«, sagte Ute. »Soll mich das beruhigen? Auf der anderen Seite - es ist überall besser als hier. Ihr habt ja keine Ahnung, wie sehr man sanitäre Anlagen vermissen kann, wenn man keine mehr hat. Und ich schulde dir was, Eddie, weil du mir geholfen hast, mich von Truman zu befreien. Weißt du, dass er sich an einem neuen Ort neu organisiert hat?«
»Nichts Genaues«, sagte ich. »Weißt du, wo wir ihn finden können?«
»Ich habe nur Gerüchte gehört, das ist alles. Er soll eine neue unterirdische Basis haben, außerhalb von London, an einem Ort mit uralter Macht. Du hättest ihn töten sollen, als du die Gelegenheit hattest, Drood.«
»Ich werde es das nächste Mal noch ernsthafter versuchen«, sagte ich. »Bist du so weit?«
»Verdammt, ja. Ist ja nicht grade so, als würde mich hier irgendwas halten, oder? Oder als ob es etwas gäbe, was ich mitnehmen wollte.«
Ich tat das Übliche mit Merlins Spiegel und schubste sie durch die Öffnung in die Waffenmeisterei, aus der Onkel Jack mich finster anstarrte. »Eddie, verdammt, jetzt warte doch mal eine Minute!«
»Tut mir leid, Onkel Jack, keine Zeit! Bis später!«
Dann ließ ich den Spiegel wieder zusammenschnurren, damit er mir nicht all die Gründe aufzählen konnte, warum ich ihn nicht laufend mit meinen neuen Tutoren belästigen konnte. Molly sah mich an. »Was glaubst du, wollte er von dir?«
»Nichts, was nicht warten könnte, bis wir zurück sind«, sagte ich leichthin. »Und jetzt zu Mr. Stich.«
»Ich wünschte, du würdest aufhören, solche Grimassen zu schneiden, Eddie, ich bin sicher, das ist nicht gut für dich.«
»Ich gehe auf deinen Vorschlag hin ein höllisches Risiko ein«, sagte ich. »Wenn er erst einmal im Herrenhaus ist und etwas schiefgeht …«
»Dann ist alles meine Schuld, ja, das haben wir ja schon festgelegt. Sieh mal, Eddie, ich weiß, wie gefährlich er ist. Ich weiß das besser als jeder andere. Aber ich werde da sein und ein sehr strenges Auge auf ihn haben. Und … na ja, was kann er in einem Haus voller Droods denn schon anstellen? Nicht mal seine alte Magie kann einer Rüstung etwas entgegensetzen. Du musst mir da einfach vertrauen, Eddie.«
»Dir vertraue ich«, erwiderte ich. »Ihm aber nicht. Aber wenn er dir so wichtig ist …«
»Das ist er«, sagte Molly. »Ich muss daran glauben, dass Leute sich ändern können. Selbst die Schlimmsten.«
»In Ordnung. Wo glaubst du also, dass wir ihn zuerst suchen sollten, den berüchtigsten ungefassten Serienmörder von London?«
»Ich habe schon darüber nachgedacht. Und ich glaube, wir sollten beim Orden der Jenseitigen anfangen.«
»Willst du mich auf den Arm nehmen? Meinst du diese Kaschemme unten am Grafton Way, wo besessene Leute herumsitzen und irgendwelches Geschwafel von sich geben? Warum sollte Mr. Stich sich denn ausgerechnet da rumtreiben?«
»Zuhören«, antwortete Molly. »Er glaubt, dass er etwas lernt, wenn er lange genug zuhört, irgendein altes Geheimnis oder ein altes Wissen, um die Bedingungen seiner Unsterblichkeit zu ändern.«
»Damit er sich heilen kann?«
»Oder damit er noch besser töten kann.«
»Damit erhöhst du mein Vertrauen in ihn nicht gerade, Molly.«
»Na, komm schon.«
»Bevor oder nachdem wir noch etwas Vernunft in unsere Schädel geprügelt haben?«
»Ach, sei still. Sei ein guter Junge und ich werde dich danach zu einem schönen Abendessen einladen.«
»Ich bin zu leicht zu bestechen.«
Merlins Spiegel brachte uns direkt zum Grafton Way, in eins der älteren, eher traditionelleren Viertel des West Ends. Hier können Sie alles finden: Botschaften von kleineren Staaten, Bürohäuser, Literatur-Agenten - und der Orden der Jenseitigen befindet sich mitten in einem gewöhnlichen, unauffälligen terrassenförmigen Bürohaus. Nichts weist auf ihn hin als eine einfache Messingplakette am Eingang, die den Namen preisgibt und die strenge Ermahnung: »Keine Wiedergänger, Wiedergeburten oder Zwangsvollstrecker«. Ich drückte die Klingel und als mich eine kalte Stimme über das Interkom nach meinem Namen und meinem Begehr fragte, sagte ich nur »Shaman Bond«. Nach einer Pause ging die Tür mit einem Klicken auf. Meine Tarnidentität hat einen langen und sorgfältig gepflegten Ruf, überall mal aufzutauchen und im Prinzip harmlos zu sein. Einfach nur ein weiteres Gesicht, mit einem regen Interesse an allem, was illegal, unmoralisch oder unnatürlich war. Shaman Bond war ein Glücksritter, ein kleiner Gauner und überhaupt nicht wie Eddie Drood. Das mochte ich am meisten an ihm.
Die Rezeption erwies sich als bewusst leer und anonym, ohne Hinweis auf das, was einen erwartete. Leere Wände, ein leerer Boden und eine sehr professionelle Empfangsdame hinter einem sehr einfachen Empfangstresen. Die Empfangsdame schien hinreichend austauschbar, mit dem üblichen leeren, aber attraktiven Gesicht, Augen aus purem Eis und einem Lächeln, das überhaupt nichts bedeutete. Die Art, die mit ihrem Kalender lebte und starb und für niemanden eine Ausnahme machte, selbst wenn man das massiv gesprayte Haar anzündete. Ich wusste von Anfang an, dass wir nicht miteinander auskommen würden. Molly und ich schlenderten zu dem Tresen hinüber, als wollten wir mal sehen, warum er wohl dastand, und stellten uns direkt vor die Rezeptionistin. Sie ignorierte uns natürlich und konzentrierte sich voll auf die Papiere, die vor ihr ausgebreitet waren, um uns zu zeigen, wo wir hingehörten. Also lehnte ich mich nach vorn, raffte all die Papiere zusammen und warf sie in die Luft. Dann lächelte ich ihr ins entsetzte Gesicht, als das Papier um uns herum zu Boden flatterte.
»Hi«, sagte ich. »Ich bin Shaman Bond, zu Ihren Diensten. Die sehr gefährliche Person neben mir ist Molly Metcalf, die ausgesprochen legendäre wilde Waldhexe. Sie hat Interesse an dem geäußert, was hier beim Orden der Jenseitigen so vor sich geht und ich, weil ich viel zu viel Angst habe, ihr das abzuschlagen, sagte, dass ich sicher sei, Sie lassen sie herein.«
»Weil, wenn Sie das nicht tun, dann werde ich mir verschiedene Namen merken und Arschtritte verteilen«, sagte Molly fröhlich.
Die Empfangsdame kämpfte um ihre Haltung. »Haben Sie einen Termin?«
»Nein«, sagte Molly. »Ich werde viel Spaß haben. Und anfangen werde ich mit Ihnen, wenn Sie nicht voran machen.«
Ich sah, wie die Empfangsdame nach dem Alarmknopf unter dem Tisch angelte und wackelte mit dem Finger vor ihrer Nase herum. »Molly Metcalf? Verwandelt Menschen in Sachen? Hat einen ganz grässlichen Sinn für Humor - klingelt da bei Ihnen was?«
»Gehen Sie einfach den Gang hinunter«, sagte die Empfangsdame. »Ich wollte diesen Job sowieso nie.«
Sie drückte einen anderen Knopf unter ihrem Tisch und eine große Falltür öffnete sich auf der anderen Seite des Raums im Boden, still und wie von selbst. Molly und ich gingen hinüber und sahen hinunter. Eine lange, steinerne Treppe führte hinab tief in die Erde. Da war ein starker Geruch nach Blut und Schwefel und ein entferntes Stimmengemurmel. Ich bestand darauf, zuerst zu gehen, und Molly ließ mich das büßen, indem sie sich die ganze Zeit gegen meinen Rücken drängte. Die Falltür schlug hinter uns mit einem lauten, satten und sehr endgültig klingenden Knall wieder zu. Von den nackten Steinmauern lief Wasser wie Schweiß und die Luft wurde heiß und stickig, als wir weiter hinabgingen. Ich konnte spüren, dass dort unten Präsenzen waren, wie schwere Gewichte, die sich auf die Welt drückten und sie schreien ließen. Wir gingen an einen bösen Ort, wo schlechte Dinge auf uns warteten.
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