»Gern geschehen!«, sagte Molly.
Zwei alltäglich aussehende Männer, einer davon in meinem Alter, Anfang dreißig. Groß, hinlänglich angenehme Züge, Stahlbrille. Der andere war blass, dunkelhaarig, beunruhigend gut aussehend. Er sah ziemlich jung aus, bis man in seine außerordentlich dunklen Augen blickte, und danach schien er verdammt viel älter zu sein. Einfach nur zwei Männer, die zusammenstanden. Keine Armee. Keine offensichtliche Bedrohung. Nur dass sie nicht so weit hätten kommen können, wenn sie nicht ganz außergewöhnliche Leute gewesen wären.
Howard beugte sich jäh vor. »Das ist es! Wir haben sie erfasst! Achtung, wir werden ihnen gleich alles geben, was wir haben!«
»Nein, werdet ihr nicht«, sagte der Waffenmeister. »Wir müssen mit ihnen reden. Und außerdem würde es auch nichts nützen.«
»Was?« Howard blickte den Waffenmeister bedeppert an.
»Ich weiß, wer sie sind«, erklärte der Waffenmeister. »Oder wenigstens erkenne ich, wer einer von ihnen ist und was der andere ist. Der mit der Brille gehört zur Familie.«
»Ha!«, sagte Howard bitter. »Ich hätte es wissen können! Nur ein Familienmitglied konnte an den Familienverteidigungsanlagen vorbeikommen.« Er beäugte das Bild unschlüssig. »Kann nicht sagen, dass er mir bekannt vorkommt.«
»Kann er auch nicht«, sagte der Waffenmeister. »Er kommt kaum jemals nach Hause. Das ist Harry Drood, James' einziger legitimer Sohn.«
»Und bedauerlicherweise erkenne ich den anderen Kerl wieder«, sagte ich. »Ich habe ihn einmal vorher gesehen, kurz, in den Gefängniszellen unter dem alten Hauptquartier des Manifesten Schicksals. Sie hatten ein Pentagramm um ihn herum in den Zellenboden geritzt und ihm für alle Fälle noch die Zunge herausgeschnitten. Und trotzdem war er noch das gefährlichste Geschöpf dort. Er ist ein Dämonenhalbblut, der Abkömmling eines Sukkubus. Ich ließ ihn dort zum Sterben zurück, als ich Trumans Organisation um seinen Kopf herum zum Einstürzen brachte. Ich hätte ihn töten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte.«
»Du hattest nie die Gelegenheit«, wandte Molly ein. »Mischlinge wie er sind sehr schwer zu töten. Sie mögen aussehen wie wir, aber sie haben alle einen Fuß in der Hölle. Aber was tut er hier, Seite an Seite mit einem Drood?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich, »aber es wird nichts Gutes sein. Harry Drood. Ich habe Geschichten über ihn gehört.«
»Die meisten davon stimmen«, meinte der Waffenmeister. »Harry war immer einer unserer besten Frontagenten, wenn auch ein bisschen zu unabhängig. Dir nicht unähnlich, Eddie, in vielerlei Hinsicht.«
»Aber warum sollte er plötzlich so aus dem Nichts auftauchen«, wunderte ich mich, »in Gesellschaft eines Dämons?«
»Du hast seinen Vater getötet«, sagte der Waffenmeister.
»Ja«, gab ich ihm recht. »Das wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen, stimmt's?«
»Wenigstens wissen wir jetzt, wie sie hereingekommen sind«, meinte Howard und hörte sich ein bisschen fröhlicher an. »Kein Geheimnis mehr: Unsere Verteidigungssysteme waren nie darauf angelegt, etwas so Seltenes oder Unnatürliches wie ein halbblütiges Höllengezücht zu erkennen.«
»Also schön, Howard«, sagte ich. »Sorg dafür, dass der Einsatzraum in Bereitschaft und alle Waffen online bleiben - nur für den Fall, dass Harry weitere Freunde eingeladen hat, später noch vorbeizuschauen. Unternimm aber nichts ohne ausdrückliche Anweisungen von mir! Molly, Onkel Jack, lasst uns gehen und Harry zu Hause willkommen heißen!«
»Geht es in Ordnung, wenn ich zuerst meinen Arm aus dem Computer nehme?«, fragte Molly.
Molly bot uns an, uns direkt zum See zu teleportieren, aber ich hielt es für besser, uns Zeit zu lassen und zu Fuß zu gehen. Ich wollte nicht, dass Harry auf den Gedanken kam, er könnte uns in Panik versetzen und zu überstürztem Handeln verleiten. Nein, sollte er ruhig warten. Wir drei verließen das Herrenhaus und schlenderten ohne Eile über die weitläufigen freien Rasenflächen auf den See zu. Es war ein schöner Sommertag mit warmem Sonnenschein und einer angenehmen Brise. Strahlend blauer Himmel, kaum eine Wolke. Und es wäre auch ein recht angenehmer Spaziergang gewesen, wenn ich nicht so ein schlechtes Gefühl wegen der bevorstehenden Begegnung gehabt hätte.
Ein Drood und eine Höllenbrut, zusammen? Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich gesagt, dass so etwas unmöglich ist. Aber seitdem hatte ich viel darüber gelernt, wozu die Familie fähig war - wenig davon Gutes.
Molly hakte sich bei mir unter, als wir dahinschlenderten. Sie war immer zufriedener, wenn sie draußen in den Anlagen war. Sie war schließlich eine Hexe der wilden Wälder, und der alte, graue Stein des Herrenhauses lastete auf ihrer freien und unbeschwerten Natur. Sie schwatzte fröhlich beim Gehen und ich tat mein Möglichstes mitzumachen. Aber wir wussten beide, dass ich nicht mit dem Herzen dabei war; mein Verstand war uns vorausgeeilt und befand sich schon am See.
»Harry Drood«, wandte ich mich schließlich an den Waffenmeister. »Da gab es doch einen Skandal, in den er verwickelt war, nicht wahr?«
»O ja!«, bestätigte der Waffenmeister. »Die Angelegenheit wurde allerdings nie außerhalb des Rats der Matriarchin besprochen. Weißt du, James hat nur einmal geheiratet, und das gegen den ausdrücklichen Willen der Matriarchin. Nur er konnte mit so was davonkommen. Er heiratete die verrufene Abenteurerin und freiberufliche Spionin Melanie Blaze. Eine sehr erfolgreiche Privatdetektivin, auf ihre eigene raffinierte, machiavellistische und hinterhältige Weise. Sie und James gaben ein großartiges Team ab und waren damals in den Sechzigern bedeutende Spieler. Wann immer man von einer geheimen Basis hörte, die in die Luft gejagt worden war, oder von einem unantastbaren Schurken, der einem Attentat zum Opfer gefallen war, wusste man, dass es James und Melanie gewesen sein mussten. Alle bewunderten sie, sogar ihre Feinde, und jeder Drood wollte sein wie sie.
James hat Melanie nur ein paar Mal mit nach Hause gebracht, die Matriarchin war sehr frostig.
Und dann verschwand Melanie für irgendeine geheime Mission in die Hinteren Reiche und tauchte nie wieder auf. Das ist jetzt … fünfzehn Jahre her. James ist ihr noch einige Male hinein gefolgt, mit und ohne Billigung der Familie, aber er hat sie nie gefunden. Danach war er nie mehr derselbe.«
»James war wie ein zweiter Vater für mich«, sagte ich. »Er zog mich groß, nachdem meine Eltern getötet worden waren. Aber ich glaube nicht, dass ich Harry überhaupt schon einmal gesehen habe.«
»Harry war immer ganz der Sohn seiner Mutter«, erklärte der Waffenmeister. »Sie hat ihn außerhalb des Herrenhauses aufgezogen, fern von der Matriarchin. James besuchte ihn so oft er konnte, aber … ach, ich weiß nicht, Eddie. James und ich standen uns nahe, aber es gab ein paar Dinge, über die er einfach nicht reden wollte. Da war irgendetwas mit Melanie, oder mit Harry, aber … Na, jedenfalls, nach Melanies Verschwinden bestand James darauf, dass wir Arbeit für Harry als Frontagenten finden, und die Matriarchin hielt ihn mit Aufträgen in fremden Gegenden beschäftigt. Und genau wie du, Eddie, lebte Harry für seine Arbeit und kam nie nach Hause.«
»Ich durfte nie das Land verlassen«, wandte ich wehmütig ein.
»Aber Harry war James' Sohn«, erinnerte mich der Waffenmeister, »und James war immer Mutters Liebling. Doch Harry erwies sich als ausgezeichneter Frontagent; äußerst einfallsreich erledigte er immer seinen Job.«
»Aber was für ein Mensch ist er?«, wollte Molly wissen.
»Ich habe keine Ahnung«, gestand der Waffenmeister und lachte in sich hinein. »Harry war James einziger legitimer Sohn, aber er hat unzählige Stiefbrüder und -schwestern, die über sämtliche Länder der Erde verstreut sind, von den ganzen Frauen, mit denen James … Beziehungen hatte, durch die Jahre hindurch.«
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