»Wir sollten nicht vorschnell zu irgendwelchen Entschlüssen kommen«, sagte ich sorgfältig und hielt meinen Zorn in Schach. »Seid nicht so schnell mit dem Urteil, dass die Aliens nicht das sind, wofür wir hergeschickt wurden. Warum könnten diese Aliens nicht die Antwort auf das Roswell-Rätsel sein? Die Teleport-Armbänder haben uns aus einem ganz bestimmten Grund hier und jetzt abgesetzt. Also, lasst uns die Aliens aufhalten, die Stadt retten und Beweise davon zurück zu Alexander King bringen, damit wir den Preis beanspruchen können. Scheiß auf Es kann nur einen geben. Wir können die Informationen teilen.«
»Nein«, sagte Honey. Man musste zugeben, dass sie ehrliches Bedauern in der Stimme hatte. »Das Rätsel von Roswell lautet: Was ist hier 1947 abgestürzt? Und das hat nichts mit Viehverstümmelung zu tun. Das hat erst viel später angefangen. Und keines der ursprünglichen Aliens sah auch nur annähernd so aus wie das Ding, das wir gerade gesehen haben.«
»Warum sind diese neuen Aliens dann hier?«, fragte ich. »Warum sollten sie aus allen Kleinstädten der Welt ausgerechnet Roswell ausgesucht haben?«
»Vielleicht, weil Roswell so starke Alien-Verbindungen hat«, sagte Walker. »Um das, was hier passiert, dem Rest der Welt … sichtbarer zu machen. Eine Alien-Gräueltat in dieser Stadt würde in der ganzen Welt bekannt.«
»Wir sind nicht hier, um Helden zu sein«, sagte Honey. »Wir sind hier, um Agenten zu sein. Die Antwort auf eine bestimmte Frage zu finden. Das kommt zuerst. Das ist der Job. Und Eddie, ich glaube nicht, dass meine Vorgesetzten in Langley damit einverstanden wären, Kings Geheimnisse mit jemand anderem zu teilen. Das würden sie vielleicht sogar Verrat nennen. Also, ich werde tun, was ich tun muss. Ich kenne meine Pflicht.«
»Das tue ich ebenfalls«, sagte Walker. »Man kann Ihnen mit Kings Geheimnissen nicht vertrauen, Honey. Oder Ihren Meistern. Ich bin nicht sicher, dass irgendjemand das kann. Also werde ich das Spiel gewinnen, die Geheimnisse nehmen und sie tief in der Nightside vergraben, wo keiner sie je finden wird.«
»Und die Leute von Roswell?«, fragte ich.
»Wir haben später noch Zeit für Rache«, sagte Walker.
»Meine Pflicht ist es, die Menschen vor äußeren Bedrohungen zu schützen«, sagte ich. »Alle Leute, überall. Zum Teufel mit all den Spielen, Geheimnissen und der Politik. Die Menschen kommen immer zuerst. Geht mir aus den Augen, beide. Geht euer tolles Spiel spielen. Und wenn das hier vorbei ist, ich die Aliens aufgehalten und die Stadt gerettet habe - dann werde ich kommen und euch finden und euch euren kostbaren Preis wieder abnehmen.«
»Du musst tun, was du tun musst«, sagte Honey. »Und ich werde tun, was ich tun muss. Ich hoffe, du besiegst die Aliens, Eddie, das tue ich wirklich.«
»Ja«, sagte Walker. »Es tut mir leid, dass es so enden muss, Eddie. Aber wir alle müssen unsere Pflicht auf unsere Art erfüllen. Viel Glück.«
Und plötzlich gingen wir alle unsere eigenen Wege.
Ich ging langsam durch die bevölkerten Straßen von Roswell, ein Einzelner mitten in einer nichtsahnenden Menge - und alle waren totes Fleisch. Solange, bis ich einen Plan entwickelt hatte, um sie zu retten. Es war schwer, ihnen nicht in die glücklichen, unschuldigen Gesichter zu starren. Wie konnten sie nicht wissen, in was für einer großen Gefahr sie schwebten? Konnten sie die Spannung in der Luft nicht fühlen, die ersten Echos des Schreckens, der immer näher kam; so nah, dass sie beinahe nur die Hand ausstrecken mussten, um ihn anzufassen? Natürlich wussten sie nichts, sie lebten in ihrer eigenen Welt und ich in meiner - und es war mein Job, sie nie erfahren zu lassen, dass meine Welt überhaupt existierte.
Fünfeinhalb Stunden jetzt, und die Zeit lief …
Ich schritt nun entschlossener voran, auch wenn ich noch kein Ziel hatte. Ich hatte nur den Drang, vorwärtszukommen, damit ich mich wenigstens so fühlte, als täte ich etwas. Ich konzentrierte mich erst auf die eine, dann eine andere Idee und runzelte beim Denken so heftig die Stirn, dass die Leute sich beeilten, mir aus dem Weg zu gehen. Ich hätte Roswell einfach verlassen können. Ein Auto herbeirufen und was das Zeug hielt aus der Stadt rasen, bis ich aus dem Alien-Kommunikations-Blackout raus war. Nach meiner Familie schreien und um Verstärkung und Unterstützung bitten. Wenn man nur genug Droods an einem Ort zusammenbringt, dann geht der Feind in Flammen auf. Natürlich konnte man nicht sagen, wie lange das dauern würde; alles könnte schon vorbei sein, wenn ich wieder zurückkam. Und dann gäbe es nichts weiter zu tun, als die Sache unter Verschluss zu halten und sicherzustellen, dass die Aliens ihre blutigen Experimente nirgendwo anders durchführten. Wie Walker gesagt hatte: Zeit für Rache ist immer. Aber wer wusste schon, worauf ich außerhalb der Stadt treffen würde. Die Aliens könnten mich an den Stadtgrenzen einfach aufhalten und gefangen nehmen, und dann wäre keiner mehr übrig, um sich zwischen die Bewohner und die Außerirdischen zu stellen.
Das konnte ich nicht riskieren.
Nein. Meine einzige realistische Chance war die, die Operationsbasis der Aliens zu finden und auszuschalten, noch bevor sie mit irgendetwas begannen. Ein Mann gegen eine unbekannte Anzahl von Aliens und eine unbekannte Menge von außerirdischer Technologie. Für jeden anderen wäre das Selbstmord gewesen, doch ich war ein Drood, mit einer Droodschen Rüstung und dem entsprechenden Training. Und die Aliens würden schon rausfinden, was das bedeutete. Also würde ich es von der Seite anpacken. Wenn die Aliens also die Kommunikation behinderten, die aus Roswell heraus- und in die Stadt hineinging - dann ergab es Sinn, dass das Störsignal von einer Apparatur innerhalb der Stadt kam. Und ein Störsignal von der Stärke musste ganz schön energiereich sein und seine speziellen Spuren im örtlichen elektromagnetischen Spektrum hinterlassen. Natürlich geschützt vor der Entdeckung durch irdische Technologie.
Aber nicht vor mir.
Ich konzentrierte mich entschlossen auf meinen Torques, lockte und zwang ihn dazu, etwas ganz Neues zu versuchen. Bis er schließlich einen langen, dünnen Faden produzierte, der meinen Hals hinauf zu meinen Augen kroch und dort eine schicke neue Sonnenbrille formte. Ein absolut minimalistischer Gebrauch meiner Rüstung und hoffentlich nicht ausreichend, um irgendein Alien-Alarmsystem zu aktivieren. Ich konzentrierte mich auf meine Sicht, durch die goldene seltsame Materie vor meinen Augen hindurch, und sah die Stadt Roswell jetzt wirklich sehr klar. Teilweise - ich hatte meine Rüstung noch nie nur teilweise benutzt. Ich machte mir eine gedankliche Notiz, mit meiner Familie darüber zu reden, wenn ich zurückkam. Vorausgesetzt, ich kam überhaupt zurück, natürlich.
Meine verstärkte Sicht zeigte mir ein völlig neues Roswell. Dunkle Gestalten trieben durch die Straßen wie bewegte Schattenfetzen; hier und da berührten sie flüchtig Menschen, die sofort durch das vage Gefühl einer Bedrohung oder Unbehagen gestört wurden. Derartige elementare Geister werden immer von Standorten mit potenzieller spiritueller Zerstörung angezogen. Sie ernähren sich wie Geier von den grimmigeren und negativen Emotionen. Auf der anderen Seite standen auch Lichtwesen herum und beobachteten die Stadt. Sie bestanden aus schillerndem Licht und Energie, die sich menschliche Gestalt gegeben hatten, beinahe abstrakte menschliche Wesen. Ihre Erscheinung hier war gleichzeitig ein gutes und auch ein schlechtes Zeichen. Es bedeutete, dass etwas extrem Gefährliches hier passieren würde, bei dem viele Leben auf dem Spiel standen; es hieß aber auch, dass sie einen Agenten des Guten erwarteten, der für seine Seite kämpfen würde. Ich halte die Lichtwesen für eine Art grundsätzlich gutherziger und übernatürlicher Sportfans. Es gab auch Geister und halbdurchsichtige Erinnerungen von vergangenen Ereignissen, zusammen mit andersdimensionalen Entitäten und Wanderern, die einfach nur auf der Durchreise waren. Keiner von ihnen spielte eine Rolle. Ich sah mich langsam um und surfte dabei durch die verschiedenen Informationsquellen, die den örtlichen Äther durchdrangen, und schon fiel es mir auf. Eine seltsame außerirdische Energie, die von einem Ort direkt in der Stadtmitte aus sendete.
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