»Du liebe Güte!«, murmelte König Johann entsetzt. »Der Mann ist ein Schwertmeister! Ich wunderte mich schon, weshalb die Barone ihn zum Landgrafen ernannt hatten… Aber gibt es einen besseren Meuchelmörder als einen Mann, der mit dem Schwert in der Hand buchstäblich unschlagbar ist?
Ich hätte es wissen müssen… aber Schwertmeister sind heutzutage selten geworden. So selten…«
»Sieh zu, dass du den Saal verlässt«, sagte Harald ruhig.
»Die Leibwache kann Guillam nicht mehr lange zurückhalten.
Er ist gefährlicher, als es Bedivere je war.«
»Mag sein«, sagte der König. »Aber ehe ich die Flucht ergreife, möchte ich alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen.
Auch wenn Sir Guillam mit dem Schwert nicht zu schlagen ist – wir wollen doch mal sehen, was er gegen eine Armbrust ausrichten kann.«
Er winkte zwei Soldaten seiner Garde herbei, die ihre Armbrüste bereits gespannt und mit einem Bolzen bestückt hatten und nun rasch nach vorn traten. Auf ein Zeichen des Königs gingen sie ein paar Schritte auseinander, um Guillam ins Kreuzfeuer zu nehmen. Dann stemmte jeder von ihnen die schwere hölzernen Säule gegen die Schulter und zielte sorgfältig. Guillam schrie gellend auf, als er sie sah, fuhr unvermutet herum und rannte auf die Tür am anderen Ende des Saales zu. Er hieb mit dem Schwert wild auf die Höflinge ein, die nicht schnell genug aus dem Weg sprangen, und unbewaffnete Männer und Frauen brachen blutüberströmt zusammen. Dann schwirrten zwei Sehnen gleichzeitig, und Guillam wurde hart gegen die rechte Wand geschleudert. Er stieß ein leises Wimmern aus; dann fiel ihm das Schwert aus den schlaffen Fingern, und er hing vorgebeugt da, gehalten von den beiden Stahlbolzen, die ihn an die Wand nagelten.
Als Julia in die Privatgemächer des Ministers stürmte, sah sie gerade noch, wie ein Teil der großen Bücherwand langsam aufschwang und den Blick auf einen Geheimgang freigab.
Darius stand neben dem Regal und wartete ungeduldig darauf, dass die Öffnung sich verbreiterte. Cecelia klammerte sich wild schluchzend an seinen Arm, geschüttelt von Panik und Entsetzen. Gregory drehte sich mit dem Schwert in der Hand um und sah Julia an. Die Prinzessin blieb unschlüssig im Eingang stehen. Sie hatte die Gardesoldaten mit ihren schweren Rüstungen weit hinter sich gelassen und konnte nicht damit rechnen, dass sie rasch genug einträfen, um ihr beizustehen. Ein hartes Lächeln umspielte ihre Lippen. Notfalls musste sie eben mit zwei Gegnern fertig werden. Gregory hob sein Schwert und warf einen Blick über die Schulter.
»Bringen Sie Cecelia hier weg!«, sagte er ruhig zu Darius.
»Ich halte die Verfolger auf.«
Darius versuchte seine Leibesfülle durch den Spalt zwischen Wand und Bücherregal zu quetschen. Cecelia drängte sich schluchzend an ihn und umklammerte Trost suchend seinen Arm. Darius wollte sie abschütteln, aber sie ließ ihn nicht los, und zu zweit kamen sie nicht durch die schmale Öffnung. Von draußen näherten sich Schritte, die immer lauter wurden, und dann tauchte der erste Wachsoldat an der Tür auf, dicht gefolgt von einem Dutzend seiner Gefährten.
Gregory warf sich ihnen entgegen. Das Schwert in seiner Hand zitterte, aber in seinen Augen las Julia die grimmige Entschlossenheit, sein Leben möglichst teuer zu verkaufen.
Er sah seine Gegner trotzig an und drehte sich noch einmal nach Cecelia um. Im gleichen Moment zog Darius einen Dolch aus seinem Ärmel und stach damit auf Cecelia ein, bis sie seinen Arm losließ und zusammensank. Gregory schrie ihren Namen, warf das Schwert weg und lief auf die leblose Gestalt zu, während Darius hinter der Bücherwand verschwand und die Tür sich langsam wieder schloss. Als die Wachen dem Minister nachstürzen wollten, war der Spalt bereits so schmal, dass sie ihn nicht mehr passieren konnten.
Sie standen da und mussten hilflos zusehen, wie die Geheimtür ins Schloss schnappte.
Julia ging zögernd auf Gregory zu, das Schwert abwehrbereit erhoben, aber er saß völlig reglos auf dem Boden und hielt Cecelia an sich gedrückt. Ihre Augen starrten ins Leere, und das Blut, das aus ihrem zerfetzten Mieder quoll, tränkte Gregorys Uniform. Er schaute zu Julia auf, und ihr wurde elend zumute, als sie sah, dass der junge Gardeoffizier weinte.
»Weshalb hat er das getan?«, fragte Gregory. »Weshalb hat er das nur getan? Cecelia! Cecelia, Liebes!«
Julia steckte ihr Schwert weg. »Kommen Sie«, sagte sie schroff. »Sie können nichts mehr für sie tun.«
»Cecelia!«
»Sie ist tot, Gregory.«
Er achtete nicht auf ihre Worte. Er saß da und redete leise auf Cecelia ein, als müsse er ein Kind in den Schlaf wiegen.
Die Glöckchen an ihrem Kleidersaum klingelten bei jeder Bewegung. Tränen liefen Gregory über die Wangen, und er sah und hörte nichts von dem Geschehen um ihn herum.
Das leise knisternde Feuer verbreitete Wärme und Trost, aber Julia war sogar zu erschöpft, um die Hände über die Flammen zu halten. Auf dem kurzen Weg zu den Privatgemächern des Königs hatte sie eine bleierne Müdigkeit erfasst. Ein dumpfer, beharrlicher Schmerz pochte in ihren Rücken- und Beinmuskeln, und es fiel ihr schwer, die Augen offen zu halten.
Julia setzte sich aufrecht in den harten, abgenutzten Polstersessel und kämpfte gegen den Schlaf an. Es wäre schön gewesen, sich einfach zurückzulehnen und vor dem Kaminfeuer einzudösen, aber noch war der lange, anstrengende Tag nicht zu Ende.
Sie gähnte hinter vorgehaltener Hand, und Harald, der ihr gegenüber saß, lächelte verständnisvoll. Im Gegensatz zu Julia lümmelte er zusammengesunken in seinem Sessel, die langen Beine auf einen Fußschemel gestützt, und streckte die Zehen dem wärmenden Feuer entgegen. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe der Erschöpfung, die ihm ein grübelndes, zerstreutes Aussehen verliehen. Sein etwas schiefes Lächeln verriet, dass er gern seinem Stolz über sich selbst Ausdruck verliehen hätte, aber viel zu müde war, um sich die Mühe zu machen. Ein Becher mit gewürztem heißem Apfelwein stand auf einem Tischchen neben seinem Sessel, und er trank von Zeit zu Zeit einen Schluck, als müsse er seinen Mund von einem schlechten Geschmack befreien. Bei dem Gedanken musste Julia lächeln. Sie hatte von dem Wein gekostet und konnte absolut nicht begreifen, dass jemand dieses Zeug freiwillig trank.
Zwischen ihnen saß König Johann auf einem alten Stuhl mit hoher Lehne, zupfte sich versonnen am Bart und blickte stirnrunzelnd in die Flammen. Er trug immer noch seinen dicken Pelzmantel, und gelegentlich durchlief ihn ein Frösteln, als wehe ein eisiger Wind durch den Raum, den nur er spüren konnte. Julia beobachtete ihn besorgt. Auch wenn er offensichtlich erschöpft war, hätte er doch Freude oder zumindest Zufriedenheit empfinden müssen. Immerhin hatte er die Rebellion im Keim erstickt, die Rädelsführer zum größten Teil ausgeschaltet und so einen Bürgerkrieg verhindert, der das Ende des Waldkönigreichs bedeutet hätte. Aber stattdessen presste er die Lippen zusammen, machte eine sorgenvolle Miene und wirkte irgendwie… gealtert.
Julia wandte den Blick ab. Die Privatgemächer des Königs waren viel kleiner, als sie erwartet hatte. Ihr Vater hatte in Räumen gelebt, die weitläufig genug waren, um ganze Kompanien darin zu drillen. Prächtige Mosaiken schmückten die Fußböden und erlesene Gobelins die marmorverkleideten Wände, und durch hohe Glasfenster strömte das Licht herein; Sicher, der Palast war elend zugig und kaum zu beheizen, aber das kümmerte den Herzog verdammt wenig. Er musste seinen Rang auch nach außen zur Schau stellen, und sobald er einen Raum betrat, der weniger als fünfzehn Meter im Quadrat aufwies, schien ihn die Angst vor dem sozialen Abstieg zu erfassen. Julia kräuselte spöttisch die Lippen. Es gab ein paar Dinge im Hügelland, nach denen sie Sehnsucht hatte, aber der Palast ihres Vaters gehörte nicht dazu. Ihr Vater eigentlich auch nicht, wenn sie es recht bedachte.
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