»Holen Sie ihn auf der Stelle herunter!«, befahl er scharf.
»Scheren Sie sich zum Teufel!«, entgegnete der Zauberer.
»Wer mich einen Verräter nennt, muss sterben.«
»Ich befehle Ihnen im Namen meines Vaters, den Ersten Krieger seines Reiches freizugeben!«
Das Zauberfeuer verschwand. Der Champion schwebte langsam nach unten und landete sanft auf der Tischplatte neben ihnen. Rupert schob den Zauberer beiseite und untersuchte den Champion. Die Ringe seines Kettenpanzers waren an einer Stelle zu Klumpen verschmolzen, und das Lederwams darunter wies ein großes schwarzes Brandloch auf, aber die nackte Haut schien völlig unversehrt. Der Atem des Champions ging ruhig und gleichmäßig, alles deutete darauf hin, dass er bald aus seiner Ohnmacht erwachen würde. Rupert fuhr herum und warf dem Zauberer einen fragenden Blick zu. Der zuckte missmutig die Achseln.
»Ein einfacher Heilzauber. In einer Weile ist er wieder ganz der Alte.«
»Hätten Sie ihn wirklich umgebracht, wenn ich nicht dazwischengegangen wäre?«
»Wahrscheinlich nicht«, meinte der Zauberer. »Ich war schon immer zu weichherzig, um mal richtig durchzugreifen.
Und leider verdammt treu – Ihrem Vater gegenüber. Sie kämpfen hinterhältig, Rupert!«
»Natürlich. Ich bin ein Prinz.«
Beide grinsten sarkastisch. Zwei Gläser Weißwein erschienen in den Händen des Zauberers. Er reichte eines davon Rupert, der es dankbar annahm. Der Prinz fand, dass er nach allem, was ihm widerfahren war, einen guten Tropfen verdient hatte. Er nahm einen kräftigen Schluck und zog anerkennend die Brauen hoch.
»Kein schlechter Jahrgang, Sir.«
Der Große Zauberer lächelte bescheiden. »Eines meiner nützlicheren Talente. Aber nun zu Ihnen, Prinz Rupert. Was führt Sie nach all den Jahren zum Schwarzen Turm?«
»Der Dunkelwald«, erwiderte Rupert. »Er breitet sich aus.
Wir glauben, dass der Dämonenfürst zurückgekehrt ist.«
Der Zauberer starrte in sein Glas. »Verdammt«, sagte er leise. »Das ist schlimm. Wie schnell rückt er denn vor?«
»Etwa eine halbe Meile täglich. So war es zumindest, als wir von der Burg aufbrachen. Aber wenn erst der Blaue Mond aufgeht…«
»Nicht so schnell, nicht so schnell!« Der Große Zauberer schloss kurz die Augen, als kämpfe er gegen Schmerzen an.
»Stimmt das mit dem Blauen Mond?«
Rupert starrte ihn verblüfft an. »Wann haben Sie den Mond zum letzten Mal betrachtet?«
»Ich war seit einundzwanzig Jahren nicht mehr im Freien«, sagte der Zauberer. »Ich habe hier in meinem Turm alles, was ich brauche.«
Er machte eine kurze Handbewegung; im nächsten Moment schwebte er zusammen mit Rupert langsam nach oben, bis sie auf gleicher Höhe mit dem offenen Fenster waren.
Draußen war die Nacht hereingebrochen. Sterne funkelten am Himmel, und die Soldaten hatten ein Feuer entfacht, aber das hellste Licht verbreitete der Mond, dem noch etwa ein Viertel zu seiner vollen Rundung fehlte. Er hing fett und aufgebläht in der Nacht, ein fahler Wanst, der von bläulichen Adern durchzogen war. Der Zauberer starrte verwirrt und mit wachsendem Entsetzen auf den fleckigen Mond. Es dauerte eine Weile, bis er den Blick davon losreißen konnte und sich wieder Rupert zuwandte.
»Das wusste ich nicht«, murmelte der Zauberer. »Ich hätte es wissen müssen, aber irgendwie ist es mir entgangen. Was habe ich sonst noch verpasst?«
Er runzelte sorgenvoll die Stirn, als er neben Rupert wieder zu Boden schwebte. »Es tut mir Leid, Prinz Rupert. Ich scheine den Kontakt zur Außenwelt verloren zu haben.
Ist das alles wirklich einundzwanzig Jahre her? Wo ist nur die Zeit geblieben? Nun ja, das kommt davon, wenn man als Einsiedler lebt und vor sich hin säuft. Ihr Vater schickt Sie, um mich an den Hof zurückzuholen? Das habe ich mir fast gedacht. Typisch Johann! Sieht tatenlos zu, bis alles aus dem Ruder läuft, und erwartet dann, dass ich Wunder vollbringe!
Ich schwöre Ihnen, wenn es nicht auch um meinen Hals ginge, bliebe ich hier, würde Däumchen drehen und ließe ihn in seinem eigenen Saft schmoren. Leider schaffe ich so etwas nicht, und das weiß er ganz genau! Trotz allem, was zwischen uns vorgefallen ist – ich kann das Waldkönigreich nicht im Stich lassen. Ein merkwürdiger Gedanke, nach all den Jahren in meine alten Gemächer auf der Burg heimzukehren. Hoffentlich hat man sie inzwischen renoviert. Die Tapeten waren scheußlich. Ich kann doch davon ausgehen, dass Johann das Verbannungs-Edikt aufgehoben hat.«
»Natürlich«, sagte Rupert, erleichtert, dass er endlich zu Wort kam. »Er braucht Sie, Sir!«
Der Große Zauberer grinste plötzlich. »Und ich möchte wetten, dass ihm das gewaltig stinkt! Wohlan, Prinz, dann machen wir uns am besten auf die Socken. Es ist ein ziemlich weiter Weg bis zur Residenz. Je eher wir losziehen, desto besser.«
»Sie möchten jetzt aufbrechen?«, fragte Rupert. »Mitten in der Nacht? Das schaffen wir nicht, Sir! Meine Männer sind nicht mehr in der Lage, gegen die Dämonen des Dunkelwalds zu kämpfen. Sie müssen erst schlafen und wieder zu Kräften kommen.«
»Keine Sorge«, erklärte der Zauberer lässig. »Wir werden den Dunkelwald nicht durchqueren. Ich kenne eine Abkürzung.«
Rupert musterte ihn scharf und erstarrte im nächsten Moment, als hinter ihm ein wütendes Knurren ertönte. Der Prinz warf sich herum, das Schwert in der Hand, und ging in Zweikampfstellung. Der Champion sprang mit lautem Getöse von dem Tisch, auf den ihn der Zauberer verfrachtet hatte. Sein Gesicht war zornrot, aber seine Augen wirkten eiskalt. Mit einem grimmigen Lächeln hob er das Schwert und schritt langsam auf den Magier zu.
»Sie sind ein toter Mann, Zauberer«, sagte der Champion.
»Sie hätten mich besser umbringen sollen, als ich noch wehrlos war.«
»Ach, Mist!«, murmelte der Zauberer müde. »Den hatte ich völlig vergessen. Würden Sie ihm bitte den Stand der Dinge erläutern, Rupert? Oder soll ich ihn in ein weniger rauflustiges Geschöpf verwandeln? In eine Haselmaus vielleicht…«
»Er hört auf mich«, warf Rupert rasch ein. Der Zauberer schlenderte achselzuckend zu den Käfigen hinüber, um sich mit seinen Tieren zu unterhalten. Der Champion starrte ihm aufgebracht nach, und Rupert stellte sich hastig zwischen die beiden Streithähne. »Stecken Sie Ihr Schwert ein, Sir Champion! Der Große Zauberer hat sich bereit erklärt, uns im Kampf gegen den Dunkelwald zu helfen.«
»Gehen Sie mir aus dem Weg, Rupert!«
»Wir sind auf seine Zauberkünste angewiesen.«
»Er hat versucht, mich zu töten!«
»Ja«, sagte Rupert langsam. »Und es wäre ihm wohl auch gelungen, wenn ich ihn nicht daran gehindert hätte. Aber selbst wenn Sie jetzt tot und steif zu meinen Füßen lägen, würde ich weiter mit ihm verhandeln. Er ist unsere Waffe gegen die Finsternis, die einzige Hoffnung, die das Waldkönigreich hat. Und das bedeutet, dass sein Leben mehr wiegt, als Ihr oder mein Leben je wiegen werden. Also stecken Sie Ihr Schwert ein, Sir Champion! Das ist ein Befehl.«
Der Champion murmelte etwas Unverständliches, schob das Schwert in die Scheide und schoss wütende Blicke zu dem Zauberer hinüber, der an einem der weiter entfernten Tische stand, das Chaos durchwühlte und dazu ein leises Selbstgespräch führte.
»Der Große Zauberer war bereits ein alter Mann, als ich an den Hof kam«, sagte der Champion. »Er müsste jetzt hoch in den Neunzigern sein. Hat er überhaupt noch die Kraft, uns gegen den Dunkelwald beizustehen?«
»Momentan nicht«, erklärte der Zauberer, ohne sich umzudrehen. »Aber das wird sich noch ändern. Ah – da haben wir ja, was wir suchen!« Er hob einen Holzbecher an die Lippen, nippte vorsichtig an der schäumenden Flüssigkeit, die er enthielt, und schnitt eine Grimasse. »Irgendwann muss ich den Geschmack von diesem Zeug verbessern.«
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