mitsamt ihren Pferden und ihrer Ausrüstung. Als hätte es sie nie gegeben. Sie wurden lautlos weggeholt, einer nach dem anderen. Niemand hat etwas gehört oder gesehen.«
Rupert stieß einen rauen Fluch aus und trat mit dem Stiefel zornig gegen das tote Laub. Wenn die Dämonen sie bereits entdeckt hatten… »Ab sofort arbeiten die Männer nur noch zu zweit. Einer fällt die Stämme, der andere bewacht ihn. Es kann nicht mehr als eine Hand voll Dämonen da draußen lauern, sonst hätten sie uns längst offen angegriffen. Vermutlich dauert es noch eine Weile, bis sie Verstärkung erhalten.
Wenn wir schnell genug sind, kommen wir vielleicht mit heiler Haut davon.«
»Ohne Sterne, die uns die Richtung weisen, gelingt es uns möglicherweise nicht, eine gerade Schneise durch den Wald zu schlagen«, gab der Champion zu bedenken. »Allzu große Hast führt nur in die Irre.«
Rupert warf einen Blick über die Schulter. Das diffuse Licht erhellte nur wenige Meter des Pfades, den sie angelegt hatten. Er zuckte ärgerlich mit den Schultern. »Wir sind so verteilt, Sir Champion, dass wir rasch merken würden, wenn wir im Kreis liefen, und ein kleiner Umweg spielt bei der kurzen Distanz, die wir zurücklegen, keine entscheidende Rolle.«
Und so bahnte sich die Gruppe weiter ihren Weg durch die lange Nacht. Die Dunkelheit umdrängte sie, verschluckte alle Geräusche und dämpfte das Licht, in dem sie sich bewegten.
Die Kerzenstummel in den Laternen flackerten. Einer nach dem anderen erlosch und wurde durch eine Öllampe ersetzt, und immer noch fällten die Soldaten die morschen Bäume, ohne das Ende des Dunkelwaldes zu erblicken. Sie verloren keine Männer mehr an die Schwärze, aber Rupert spürte, dass sie beobachtet wurden. Seine Narben pochten bei dem Gedanken an die ausgestandenen Schmerzen, und nur der Stolz hielt ihn davon ab, ständig ins Dunkel zu spähen. Seine Laterne flackerte, und er wühlte in seinem Packen nach einer Öllampe. Und dann kam der Angriff von allen Seiten gleichzeitig.
Das Erdreich klaffte und bäumte sich unter ihren Füßen auf. Dutzende von leichenfahlen Armen ragten aus Rissen und Spalten, schnappten nach den Knöcheln der Männer und zerrten sie in die Tiefe. Lange, klebrige Fäden aus blutrotem Gespinst lösten sich aus den Kronen der morschen Bäume, wickelten sich um die verwirrten Soldaten und zogen sie mit entsetzlicher Leichtigkeit hoch ins Geäst, wo sie der Lichtschein nicht mehr erreichen konnte. Blut lief die Stämme entlang, und die Schreie der Soldaten durchdrangen die Stille, bis sie unvermittelt abgeschnitten wurden. Winzige Geschöpfe trippelten zu hunderten aus dem Dunkel, fielen über die angstvoll wiehernden Pferde her und fraßen sie bei lebendigem Leib.
Der Prinz und der Champion standen Rücken an Rücken und töteten alles, was in Reichweite ihrer Waffen kam. Aus dem Augenwinkel sah Rupert, wie sich das Einhorn immer wieder aufrichtete, die umherhuschenden Geschöpfe abschüttelte und unter seinen Hufen zermalmte. In kürzester Zeit war ein Dutzend Männer vom Pfad verschwunden, aber noch während Rupert seinen Zorn in die Nacht hinausschrie, tat sich vor ihm ein Riss im Boden auf, und einer der Soldaten kämpfte sich blutüberströmt ins Freie. Andere folgten ihm, und einer kletterte von einem Baum herab und sah sich wutentbrannt nach neuen Gegnern um.
Dunkle, verkrüppelte Gestalten mit hungrig glühenden Augen fielen mit Fängen und Klauen über die Gardisten her, die nun einen Verteidigungsring um die wenigen überlebenden Pferde und das Einhorn bildeten und die Angreifer langsam zurückdrängten. Schwerter und Äxte blitzten im Lampenlicht. Blut spritzte umher und breitete sich in Pfützen auf dem Boden aus. Rupert schwang seine Klinge mit beiden Händen, vor Anstrengung ächzend und stöhnend. Für jedes gefallene Geschöpf erhob sich ein neues, und Rupert mähte sie alle mit wildem Grinsen nieder. Die Finsternis hatte ihm endlich einen Feind beschert, den er bekämpfen konnte, einen Feind, den er sehen und besiegen konnte. Rupert, der Champion und die überlebenden Männer hatten es mit einem zahlenmäßig zehnfach überlegenen Gegner zu tun, und doch wollten sie sich der dunklen Macht nicht ohne weiteres ergeben. Sie kämpften Seite an Seite und wichen nicht von der Stelle, und plötzlich ließen die Geschöpfe der Finsternis von ihnen ab und verschmolzen mit den Schatten, aus denen sie hervorgebrochen waren.
Rupert senkte langsam sein Schwert und starrte argwöhnisch umher. Keine Arme versuchten ihn aus der Tiefe zu packen, keine Fäden hingen von den Bäumen, und ringsum herrschte völlige Stille. Die kleinen Angreifer lagen zu Dutzenden verrenkt und zermalmt am Boden, aber die Pferde waren ebenfalls alle tot, auch das Streitross des Champions.
Die Rüstung hatte ihm letztlich wenig Schutz geboten. Der Champion kniete neben dem gefallenen Tier nieder und tätschelte ihm die Schulter, als wolle er sich entschuldigen.
Rupert sah sich in Panik nach dem Einhorn um. Es kam langsam auf ihn zu, mit blutigen Striemen an den Flanken, aber sonst allem Anschein nach unverletzt. Rupert stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und lehnte sich kurz gegen den Hals des Einhorns, ehe er sich seiner Eskorte zuwandte. Von den sechsundvierzig Männern, die ihm und dem Champion Geleitschutz gegeben hatten, waren nur noch dreißig am Leben. Sieben hatte er unterwegs verloren, neun weitere während des Kampfes. Rupert fluchte leise und betrachtete angewidert das blutverspritzte Schwert in seiner Hand. Ein zweiter Regenbogen-Lauf hätte seine Leute retten können, aber das Regenbogenschwert war nur noch ein ganz gewöhnliches Schwert, und der Dunkelwald war immer noch dunkel.
Der Champion trat neben ihn und stützte sich lässig auf seine Streitaxt. »Sieht so aus, als hätte ich mich getäuscht, Rupert. Dämonen jagen doch in Rudeln.«
Rupert lächelte müde. »Neun Männer, Sir Champion. Wir haben neun weitere Männer verloren.«
»Wir hatten verdammt viel Glück, dass es nicht mehr waren. Wie schätzen Sie unsere Aussichten für einen Durchbruch ein?«
»Nicht sehr hoch. Wir können nicht mehr weit vom Waldrand entfernt sein, aber die Dämonen würden über uns herfallen, ehe wir den Pfad um einen Meter verlängert hätten.«
»Wir könnten den Rückzug antreten…«
Der Champion sprach den Satz nicht zu Ende. Dämonen traten aus dem Dunkel und kauerten am Rand des Lichtkreises nieder. Hunderte der missgestalteten Kreaturen bildeten einen dichten Ring um die Gruppe. Dazu kamen hunderte, die sich ungesehen durch die Tiefen des Waldes bewegten. Das Scharren und Rascheln drang deutlich durch die Stille bis an Ruperts Ohr.
»Sie haben uns hier aufgelauert«, stellte Rupert bitter fest.
»Sie müssen uns entdeckt haben, als wir den Dunkelwald betraten. Wir hätten nie das andere Ende erreicht. Die ganze Mühe – umsonst.«
»Es gelang Ihnen schon einmal, die Dämonen zu besiegen«, gab der Champion zu bedenken.
»Damals hatte ich ein Zauberschwert«, entgegnete Rupert.
»Aber der Zauber wirkt nicht mehr.«
»Dann müssen wir eben unsere Ellbogen einsetzen.« Der Champion lachte leise und umklammerte seine Streitaxt. »Es geht weiter, Leute! Dafür bekommen wir schließlich unser Geld.«
»Wenn wir siegen, verlange ich eine Solderhöhung«, knurrte einer der Gardisten, und die anderen applaudierten begeistert. Rupert schaffte es nicht, ihren Galgenhumor zu teilen. Er trug die Verantwortung für diese Leute, und er hatte versagt. Er hatte ihnen vorgemacht, es gäbe eine Hoffnung, das Waldkönigreich zu retten. Stattdessen führte er sie nun in den sicheren Tod. Seine Blicke schweiften über die Köpfe der Kämpfer hinweg, und plötzlich war er ungeheuer stolz auf seine kleine Truppe. Die Männer warteten geduldig auf seine Befehle. Sie hatten die schlimmsten Prüfungen des Dunkelwaldes auf sich genommen und bestanden. Und nun standen sie bereit, sich dem Grauen noch einmal zu stellen, obwohl sie zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen waren.
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