Rupert beobachtete mit Unbehagen, wie die Schwerter einen Weg durch das modrige Geflecht bahnten. Die frischen Narben im Gesicht schmerzten heftig und pochten im Rhythmus der Schwertstreiche. Er musste die Finsternis nicht durchqueren. Er konnte immer noch seinen Entschluss ändern und den längeren Weg am Dunkelwald vorbei wählen. Rupert ballte die Fäuste, bis sich seine Fingernägel schmerzhaft in die Handflächen gruben. Er hatte den Dunkelwald schon zweimal überwunden; er konnte ihn erneut besiegen. Er musste ihn besiegen. Und sei es nur, weil seine Männer darauf vertrauten, dass er sie unversehrt ans andere Ende der Barriere brachte. Er merkte, dass er die Zügel des Einhorns umkrampfte, und lockerte den Griff.
»Rupert«, sagte das Einhorn ruhig, »hältst du das wirklich für einen guten Einfall?«
»Nein«, entgegnete Rupert. »Wenn du einen besseren hast, dann heraus damit!«
Das Einhorn sog laut die Luft ein und warf den Kopf zurück. »Ich bin nur das Beförderungsmittel. Wer hört schon auf mich?«
»Fang nicht wieder damit an!«, murmelte Rupert müde.
»Du bist mein Freund, und ich brauche jede Hilfe, die ich bekommen kann. Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, rechtzeitig zum Turm des Großen Zauberers zu gelangen, nähme ich sie sofort wahr. Oder glaubst du etwa, ich reiße mich darum, in die Finsternis zurückzukehren?«
»Nein«, sagte das Einhorn leise. »Das nicht. Aber ich reiße mich auch nicht darum.«
»Wir haben keine andere Wahl.« Ruperts Stimme schwankte ein wenig, und das ärgerte ihn. »Wenn der Blaue Mond aufgeht, ehe wir unsere Mission erfüllt haben, können wir uns den Heimweg sparen. Der Große Zauberer ist vermutlich unsere letzte Hoffnung, die lange Nacht aufzuhalten.«
»Das Regenbogenschwert…«
»… hat uns einmal gerettet. Es kann uns nicht immer helfen. Ich wollte den Regenbogen erneut beschwören, als ich mich drunten in der Kupfermine befand und von diesem Ding verfolgt wurde. Aber nichts geschah.«
»Kein Wunder«, meinte das Einhorn. »Wie soll ein Regenbogen zu dir gelangen, wenn du dich tief unter der Erde in einem Bergwerk verkriechst?«
»Das kam mir auch in den Sinn«, erklärte Rupert traurig.
»Ich habe es seither wohl ein Dutzend Mal versucht, aber ohne Erfolg. Der Zauber, der in dem Schwert steckte, wirkt nicht mehr.«
»Klasse«, sagte das Einhorn. »Einfach Klasse. Ich stelle fest, dass du diesen Umstand mit keinem Wort erwähnt hast, bevor wir zum Dunkelwald kamen.«
»Muss ich wohl vergessen haben.«
Das Einhorn schnaubte und stampfte so heftig mit den Hufen, dass der Schlamm aufspritzte. »Kein Drache, kein Regenbogenschwert, aber wir kehren in die Finsternis zurück!
Wir müssen verrückt sein! Aber was soll's? Vielleicht finden wir wenigstens den Mistkerl, der mein Horn geklaut hat. Seit der Zeit fühle ich mich irgendwie nackt.«
»Du bist doch immer nackt«, sagte Rupert.
»Menschen sind eine Rasse zum Abgewöhnen«, meinte das Einhorn.
Rupert lachte trocken und schaute dann auf, als einer der Soldaten nach ihm rief. Die Männer hatten den Weg verbreitert. Rupert atmete tief durch, nahm das Einhorn fest am Zügel und drang an der Spitze seiner Leute in den Dunkelwald ein.
Die Nacht brach herein, als Rupert die Grenze überschritt.
Wind und Graupelschauer konnten ihm nicht folgen, aber die Dunkelheit war noch kälter – ein eisiger Frost, der an den Knochen nagte und ins Mark drang, bis er das Gefühl hatte, die Wärme habe ihn für alle Zeiten verlassen. Als immer mehr Gardisten den Dunkelwald betraten, drängten ihre Lampen und Laternen die Finsternis zurück, und Rupert atmete freier. Nicht weit vor ihm standen der Champion und sein halbes Dutzend Helfer in ihrem eigenen kleinen Lichtkreis und schlugen langsam und systematisch einen Pfad in die Schwärze. Rupert zückte sein Schwert und starrte umher, aber der schwache Lampenschein drang nicht weit in die endlose Dämmerung vor. Knorrige, verkrüppelte Bäume tauchten in den goldenen Lichtkegeln, und hin und wieder bewegte sich ein krummer Ast, obwohl in der langen Nacht Windstille herrschte.
»Wie geht es dir?«, fragte das Einhorn leise.
»Lausig«, entgegnete Rupert. »Ich habe ständig das Gefühl, dass wir beobachtet werden.«
»Dieses Gefühl trügt vermutlich nicht.«
»Du bist ein echter Trost. Siehst du da draußen etwas?«
»Nein.«
Rupert runzelte die Stirn. »Sie wissen, dass wir hier sind.
Das spüre ich. Es ist nur eine Frage der Zeit… Wenn wir Glück haben, sind wir in einer Stunde durch.«
Der Einhorn schnaubte. »Hatten wir denn jemals Glück?«
Es war eine harte, kräftezehrende Arbeit, einen Pfad zu schlagen, und je tiefer die Gruppe in den Dunkelwald vordrang, desto mühsamer kam sie vom Fleck. Die Soldaten der Leibgarde drängten sich dicht zusammen und warfen ängstliche Blicke umher, als sich die bedrückende Schwärze der langen Nacht wie eine schwere Last in ihre Seelen senkte.
Ihre Witze und Blödeleien wichen bald einem angespannten, argwöhnischen Schweigen.
Rupert wechselte die Trupps der Holzfäller, sobald sie erste Spuren von Ermüdung zeigten, aber die Männer benötigten nun einmal eine gewisse Zeit, um die Bäume umzuhauen und aus dem Weg zu räumen. Die Axthiebe dröhnten schaurig durch die Stille, aber von den Dämonen war nichts zu sehen.
Das Warten zerrte an Rupert, und er musste sich zusammennehmen, um nicht bei jedem Knacken oder Zittern eines Astes zusammenzuzucken. Schritt für Schritt kämpften sie sich weiter, und seine Sorge wuchs, dass die Kerzen in den Laternen heruntergebrannt wären, bevor seine Leute den Waldrand erreicht hatten. Er überschlug, wie viel Öl noch für die Lampen übrig war, und biss sich auf die Unterlippe, als ihm einfiel, dass er den größten Teil im Kampf gegen die grässliche Kreatur in der Kupferstadt verbrannt hatte. Mit einem leisen Fluch untersuchte er die Kerze seiner eigenen Laterne. Sie war bis auf einen daumengroßen Stummel heruntergebrannt; in spätestens einer halben Stunde würde sie erlöschen. Rupert runzelte die Stirn. Vielleicht war das der Plan der Dämonen – abzuwarten, bis der Gruppe das Licht ausgegangen war, und sie dann im Schutz der Dunkelheit anzugreifen. Rupert rief den Männern zu, eine kurze Rast einzulegen, und trat neben den Champion.
»Ich finde es unklug, hier anzuhalten, Sire«, sagte der Champion ruhig.
»Wir verbrauchen zu viel Licht«, entgegnete Rupert knapp. »Entweder schränken wir uns ein, oder wir stehen in Kürze in völliger Dunkelheit da.«
Der Champion nickte nachdenklich. »Ich werde den Befehl erteilen, alle Lampen zu löschen. Die Laternen müssten ausreichen. Kurz bevor die Kerzen heruntergebrannt sind, zünden wir die Lampen wieder an.« Er warf Rupert einen warnenden Blick zu. »Das wird den Männern widerstreben.«
»Die Finsternis wird ihnen noch heftiger widerstreben«, wandte Rupert ein. »Alles ist besser als diese Finsternis.«
Der Champion blickte in Ruperts von Erinnerungen gequälte Augen und wandte sich ab. »Ich gebe die Order aus, Sire.«
Er trat zu seinen Leuten, und eine Lampe nach der anderen erlosch, bis die Helligkeit auf einen trüben kleinen Lichtkreis geschrumpft war. Die Männer wirkten unruhig, und einige warfen Rupert wütende Blicke zu, aber niemand murrte offen.
Der Prinz war zu besorgt und erschöpft, um sich Gedanken darüber zu machen. Nach einer Weile gesellte sich der Champion wieder zu ihm.
»Es gibt Schwierigkeiten, Sire. Uns sind seit Betreten des Dunkelwaldes sieben Leute abhanden gekommen.«
Einen Moment lang starrte ihn Rupert nur verständnislos an. Dann spürte er, wie ihm die Kälte durch die Adern kroch, und er erstarrte. »Sieben? Sind Sie sicher?«
Der Champion nickte grimmig. »Spurlos verschwunden –
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