»Das ist ja alles schön und gut, Herr Kriegsminister«, sagte er höflich. »Aber was genau wollen Sie von mir?«
Darius lächelte über die direkte Art des Prinzen und nahm ohne Eile einen weiteren Schluck Wein. »Bis jetzt nicht sehr viel, Sire. Aber ich versichere Ihnen, dass meinen Freunden nur Ihr Wohl am Herzen liegt.«
»Tatsächlich?«, fragte Harald belustigt. »Das wundert mich sehr. Ich dachte, Ihren Freunden liege in erster Linie das Wohl des Waldkönigreichs am Herzen. Deshalb habe ich Ihrer Einladung auch Folge geleistet.«
»Wenn wir Sie unterstützen, dienen wir zugleich dem Wohl des Reiches«, erklärte Darius ernst. »Ihr Vater ist nicht mehr fähig, das Land zu regieren. Er lässt die Barone im Kampf gegen die Finsternis im Stich, er hat die Landgrafen öffentlich beleidigt und angegriffen, und nun droht er sogar, das Curtana-Schwert zu ziehen! Er muss wissen, dass sich die Barone das nicht bieten lassen werden. Er fordert einen Aufstand geradezu heraus.«
»Die Barone brauchen einen König«, entgegnete Harald ruhig. »Sie haben nicht genügend Leute, um einzeln gegen den Dunkelwald vorzugehen, und das wissen sie genau. Ihre einzige Hoffnung ist ein Heer – ein Heer, das stark genug ist, die Finsternis zu besiegen. Sie versuchten den König zu zwingen, ihnen mehr Soldaten zu schicken, und erreichten mit ihrer Einschüchterungstaktik das genaue Gegenteil: Mein Vater hat erkannt, dass er ihre Unterstützung nicht mehr braucht. Immer vorausgesetzt, dass das Curtana auch bei Nichtmenschen wirkt. Wenn nicht, wird es zu spät sein, ein Heer zusammenzustellen. Kein Wunder, dass die Barone verzweifelt sind. Wenn das Schwert versagt, verschlingt uns das Dunkel alle. Erfüllt es dagegen seinen Zweck, könnte sich König Johann zum größten Tyrannen entwickeln, den dieses Land je sah. Mit dem Schwert des Zwangs in der Hand wäre er mächtig genug, jede seiner Launen zum Gesetz zu erheben.
Würde man König Johann aber stürzen, wäre das Heer ohne Führer. Die Barone misstrauen einander. Jeder unterstellt dem anderen, er werde versuchen, das Heer auf seine Seite zu bringen und sich selbst zum König zu ernennen.
Also brauchen die Barone einen König – aber nicht König Johann. Und deshalb, mein lieber Lord Darius, haben Sie mich heute Abend um eine Unterredung gebeten, nicht wahr?«
Darius musterte den Prinzen eingehend. »Sie haben die Situation scharf erfasst, Sire. Ich wusste gar nicht, dass Sie ein derart ausgeprägtes Interesse an der Politik haben. Bis jetzt schienen Sie sich mehr mit anderen… Dingen zu beschäftigen.«
Harald lachte. »Der Schein trügt oft, mein Freund.« Unvermittelt streifte er die gewohnte Maske der Liebenswürdigkeit ab. Darunter kamen harte, entschlossene Züge zum Vorschein, die von durchdringenden dunklen Augen beherrscht wurden. »Auch wenn ich den Hofnarren spiele, Darius –
hüten Sie sich davor, mich für dumm zu verkaufen!«
»Und was bezwecken Sie mit der Maskerade?«, fragte Lady Cecelia mit einem gezierten Schmollen.
»Sie entwaffnet meine Gesprächspartner«, erklärte Harald.
»Sie sehen keine Gefahr in mir – bis es zu spät ist. Außerdem habe ich meinen Spaß dabei.«
Er setzte wieder seine nette, freundliche Miene auf, aber die Augen blieben kalt und spöttisch. Darius lächelte unsicher, während er innerlich versuchte, sich auf diesen neuen, fremden Prinz Harald einzustellen.
»Ihr Vater will zweifellos das Beste für sein Reich, Sire, aber er ist ein alter Mann, und sein Verstand arbeitet nicht mehr wie früher. Er gibt zu viel auf diesen Astrologen und zu wenig auf die Höflinge, deren Privileg und Pflicht es immer war, ihm mit weisen Ratschlägen zur Seite zu stehen. Nun, da die Finsternis dicht vor den Toren der Residenz lauert, können wir uns keinen Herrscher mehr leisten, der unser aller Leben einem einzigen Zauberschwert anvertraut – einer Waffe, deren Wirkung mehr als fraglich ist. Wenn der König nicht selbst zur Vernunft kommt, muss man ihn eben zur Vernunft zwingen.«
»Sie sprechen von meinem Vater«, warf Harald leise ein.
»Wenn ihm auch nur ein Haar gekrümmt wird…«
»Niemals!«, sagte Darius rasch. »Davon kann keine Rede sein!«
»Sie vergessen Sir Bedivere.«
»Ein Fehler, der sich nicht wiederholen soll. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Leider war uns allen entgangen, zu welchem Unsicherheitsfaktor sich der Mann entwickelt hatte.«
Harald warf ihm einen eisigen Blick zu.
»Bitte, glauben Sie mir, Sire«, fuhr Darius langsam fort,
»dem König wird nichts geschehen! Meine Verbündeten und ich haben große Achtung vor seinem Lebenswerk. Wir finden nur, dass die Last seines Amtes zu schwer für seine alten Schultern geworden ist. Das Waldkönigreich braucht einen jüngeren, fähigeren Herrscher. Einen Mann wie Sie, Prinz Harald!«
Der Prinz lächelte vieldeutig. Eine Zeit lang sprach niemand.
»Haben wir Ihre Unterstützung?«, fragte Darius. Er spürte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat, obwohl der Kamin eine angenehme Wärme ausstrahlte. Der Prinz, der ihm gegenübersaß, war nicht der Mann, den er zu kennen geglaubt hatte, und Darius fragte sich inzwischen, ob er und seine Freunde nicht einen furchtbaren Fehler begangen hatten. Ein Wort von diesem eiskalten Fremden an die königliche Leibgarde, und noch vor Tagesanbruch würden eine Menge Köpfe vom blutbefleckten Block des Scharfrichters rollen. Darius verlagerte sein Gewicht und legte die dicklichen Finger unauffällig um den Griff des vergifteten Dolchs, den er in einer Ärmelfalte verborgen trug.
Harald hob sein leeres Glas. Lady Cecelia beugte sich beflissen vor und schenkte nach. Ihr Seidenkaftan verrutschte ein wenig und gewährte ihm einen tiefen Einblick in ihren Ausschnitt. Harald nippte an seinem Wein und lächelte spöttisch.
»Sie haben meine Unterstützung«, sagte er schließlich.
»Aber meine Gründe für diesen Entschluss decken sich nicht unbedingt mit den Ihren.«
»Ihre Gründe?«, fragte Darius unsicher.
»Ich möchte König werden«, erklärte Harald. »Und ich habe das Warten satt.«
Darius lächelte und ließ den Dolch los. »Ich schätze, dass Sie nicht mehr lange warten müssen, Sire.«
»Gut.« Harald starrte nachdenklich in sein Glas. »Warum sind Sie eigentlich zu mir gekommen, Darius? Rupert wäre ganz sicher die bessere Wahl gewesen. Er hat weit mehr zu gewinnen als ich.«
»Rupert hat sich zu einer unbekannten Größe entwickelt«, erwiderte Darius. »Er ist stärker geworden, entschlossener…
unabhängiger. Er war dem Reich immer treu ergeben, aber er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass bei ihm die Ethik vor der Politik kommt. Eine reichlich naive Einstellung für einen Prinzen – und völlig unmöglich für einen König. Außerdem befürchte ich, dass er und ich nicht reibungslos zusammenarbeiten könnten.«
»Mich kann er auch nicht leiden«, sagte Lady Cecelia mit einem Schmollmund, der ihr ausnehmend gut stand.
Harald stellte sein Glas ab und erhob sich. »Ich unterstütze Sie im Prinzip, Darius, aber weiter möchte ich im Moment nicht gehen. Vereinbaren Sie ein Treffen zwischen mir und Ihren… Freunden. Wenn ich schon Verrat begehen soll, dann möchte ich wissen, wer meine Mitverschwörer sind. Alle.«
»Mit Vergnügen.« Darius nickte. »Ich lasse Ihnen Bescheid geben, wenn es so weit ist.«
»Aber warten Sie nicht zu lange«, riet ihm Harald.
»Bestimmt nicht, Sire!«, versprach Darius.
Der Prinz verließ die Gemächer des Kriegsministers. Als Darius sich noch etwas Wein nachschenkte, sah er verblüfft, dass seine Hände zitterten.
»Unverschämter Rotzlöffel!«, knurrte er. »Dabei sollte er dankbar für die Chance sein, die wir ihm geben.«
»Könige sind nicht gerade für ihre Dankbarkeit bekannt«, meinte Lady Cecelia bissig. »Aber er kommt schon noch zur Einsicht. Er ist jung und machtgierig und längst nicht so klug, wie er uns gern einreden würde.«
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