»Harald, was geht hier vor, verflixt noch mal?« Julia musste ihm die Worte ins Ohr schreien, um sich über den Lärm verständlich zu machen, doch er schüttelte nur kurz den Kopf. Sie versuchte in seinen Zügen zu lesen, aber Harald hatte nach der ersten Überraschung eine undurchdringliche Maske aufgesetzt. Nur die weiß hervortretenden Knöchel seiner Rechten, mit der er krampfhaft den Dolch umklammerte, verrieten, wie aufgewühlt er war.
»Genug!«, rief der Astrologe plötzlich mit donnernder Stimme. Feuer hüllte ihn ein, und dichter Qualm verpestete die ohnehin stickige Luft. Ein furchtbares Wissen schien in seinen kalten, undurchdringlichen Augen zu lauern. Er hob die Arme, und sein nachtdunkler Umhang flatterte wie die Schwingen eines großen Vogels. Stille breitete sich aus, nur unterbrochen vom Knistern der Flammen, die den Astrologen vergeblich zu verzehren suchten. Er ließ die Blicke über die schweigende Versammlung schweifen und lächelte grimmig.
Die hüpfenden Flammen sanken in sich zusammen, und Thomas Grey verwandelte sich wieder in einen gebrechlichen, schwarz gekleideten Alten.
»Vielen Dank, Astrologe«, sagte König Johann ruhig.
»Und Sie, meine werten Damen und Herren, möchte ich mit Nachdruck darauf hinweisen, dass ich in Zukunft ein derart ungebührliches Betragen im Audienzsaal nicht mehr dulden werde. Ein weiterer solcher Aufruhr, und mein Henker bekommt endlich Arbeit! Ich verlange Disziplin an diesem Hof
– ist das klar?«
Die Höflinge sanken einer nach dem anderen auf die Knie und verneigten sich vor dem König, gefolgt von den Wachen, der Garde und schließlich dem Astrologen selbst, bis am Ende nur noch zwei Männer aufrecht vor dem Thron standen
– die beiden Gesandten der Silber- und Goldbarone. Sir Guillam zitterte, als König Johann ihn ansah, doch obwohl er dem Blick des Herrschers nicht standhalten konnte, blieb er trotzig stehen. Seinen Begleiter versuchte der König gar nicht erst in die Knie zu zwingen; dafür kannte er Sir Blays viel zu lange.
König Johann lehnte sich in seinem Thronsessel zurück und musterte die beiden Männer nachdenklich. Es hatte eine Zeit gegeben, da wäre Sir Blays durchs Feuer gegangen, um seine Ergebenheit dem Waldkönigreich gegenüber zu beweisen, und hätte jeden zum Duell gefordert, der Zweifel an seiner Lehenstreue geäußert hätte. Angesichts dieses Hintergrunds kam seine Weigerung, vor dem König das Knie zu beugen, einer Kriegserklärung gleich. Der Herrscher wandte seine Aufmerksamkeit Sir Guillam zu und runzelte die Stirn.
Der Mann war vor Angst fast von Sinnen – und dennoch nicht gewillt, sich zu unterwerfen. Warum nur? König Johann schloss die Augen und seufzte müde. Er kannte den Grund.
Sir Guillam hatte zwar Angst vor ihm – aber noch weit größer war seine Angst vor dem Curtana-Schwert.
Ich kann nicht anders, dachte König Johann verbissen. Der Schritt ist notwendig.
Verächtlich schaute der König über das Meer von gesenkten Häuptern hinweg. Er gab sich keiner Illusion hin. Die Höflinge verbeugten sich nicht, weil sie ihm treu ergeben waren, sondern weil sie die Magie des Astrologen fürchteten.
Der König presste die Lippen zusammen. Wenn er sich schon nicht auf ihre Treue verlassen konnte, musste er eben auf ihre Feigheit bauen. Jetzt, da es galt, Krieg gegen das stetig vorrückende Dunkel zu führen, war die Wahl der Waffen zweitrangig.
»Erhebt euch wieder!«, knurrte er schließlich. Seidengewänder raschelten, und Kettenpanzer klirrten, als der Hofstaat seinem Befehl nachkam. Eine kleine Gruppe von Höflingen murrte vernehmlich, verstummte aber sofort, als der König sie streng ansah. Mit einem bitteren Lächeln wandte er sich Sir Blays zu, der seinen Blick ruhig erwiderte.
»Sie sind also gegen meinen Plan, die Curtana-Klinge aus dem Arsenal zu holen, edler Landgraf?«
»Es ist Ihrem Geschlecht seit über vierhundert Jahren verboten, das Schwert des Zwangs einzusetzen«, entgegnete Sir Blays kühl.
»Seither hat sich einiges geändert«, argumentierte der König. »Wir müssen verhindern, dass die Finsternis weiter vorrückt, und da wir nicht darauf hoffen können, dies mit gewöhnlichen Waffen zu bewerkstelligen…«
»Das Curtana ist tabu!«, beharrte Sir Blays. »Ein König herrscht durch das Einverständnis seines Volkes – nicht durch ein Zauberschwert, mit dem er seinen Gehorsam erzwingt.
Wir haben bereits miterlebt, wie Ihr Astrologe diese Macht missbraucht. Sir Bedivere mag seine Fehler haben; aber er ist ein Krieger, der in einem Dutzend Feldzügen für Sie kämpfte und sein Blut ließ. Er hat es nicht verdient, dass dieser Pfuscher von einem Zauberer ihn wie einen tollen Hund behandelte! Glauben Sie wirklich, dass die Barone tatenlos zusehen, wenn Sie zur Magie greifen?«
»Wenn der König das Curtana schwingt, werden die Barone tun, was er ihnen befiehlt«, warf der Astrologe aalglatt ein.
Seinen Worten folgte ein langes Schweigen.
»Majestät!« Die tiefe, voll tönende Stimme kam aus dem Kreis der Höflinge. König Johann unterdrückte ein Stöhnen.
»Ja, Lord Darius?«
»Ich bitte untertänigst um die Erlaubnis, einen Kompromiss zu Gehör zu bringen, der Sie und die werten Landgrafen zufrieden stellen dürfte.«
»Also schön, Lord Darius, treten Sie vor! Aber wenn Ihr Vorschlag ähnlich brillant ist wie der Einfall, mit dem Sie uns vor kurzem beglückten, dann behalten Sie ihn besser für sich.«
Der dicke Kriegsminister gluckste verständnisvoll, während er sich mit bemerkenswerter Eleganz einen Weg nach vorn bahnte, vorbei an den misstrauisch dreinblickenden Höflingen. Am Thronpodest angelangt, wählte er seinen Platz genau zwischen den Landgrafen und dem König und verneigte sich vor beiden Parteien. König Johann musterte ihn ungeduldig.
»Nun, Lord Darius?«
»Ich habe den Eindruck, Majestät, dass Sir Blays und Sir Guillam vor allem deshalb beunruhigt sind, weil sie nicht genau wissen, auf welche Weise das Curtana-Schwert verwendet werden soll. Wenn Sie vielleicht Ihre Strategie näher erläutern könnten…«
»Ein König muss nicht alles erklären«, fuhr der Astrologe dazwischen. »Ein getreuer Untertan gehorcht auch, ohne Fragen zu stellen.«
»Gewiss, gewiss«, pflichtete ihm Lord Darius hastig bei.
»Ich versuche nur zur Klärung der Sachlage beizutragen, mehr nicht.«
»Eine verständliche Bitte«, sagte der König mild, »der ich gern nachkomme, wenn ich damit Sir Blays beruhigen kann
…« Er sah den Landgrafen an, der steif nickte. »Nun gut. Wie Sir Blays bereits ausführte, liegt es in der Natur des Curtana-Schwerts, Gehorsam zu erzwingen. Ich habe die Absicht, diese Macht gegen die Dämonen einzusetzen und sie in das Dunkel zurückzudrängen, aus dem sie kamen. Das scheint im Augenblick die einfachste Lösung unseres Problems zu sein.«
»Geradezu elegant in ihrer Einfachheit, finden Sie nicht auch, Sir Blays?« Lord Darius strahlte den Landgrafen an.
»Es klingt Erfolg versprechend«, gab Sir Blays widerstrebend zu. »Falls das Curtana auch bei Nichtmenschen wirkt.
Soviel ich weiß, hat das bislang noch niemand ausprobiert.
Aber angenommen, der Plan gelingt – was geschieht mit dem Schwert, nachdem die Dämonen vertrieben sind?«
»Es wird wieder in das Alte Arsenal zurückgebracht«, erklärte der König. »Und dort kann es meinetwegen bis ans Ende der Zeit bleiben.«
»Das klingt gut, das klingt sehr gut!« Lord Darius nickte lächelnd und verschränkte die fetten Hände über dem umfangreichen Bauch. »Ich fürchte allerdings, die werten Landgrafen werden konkrete Beweise für diese Absicht Ihrer Majestät fordern.«
»Sie wagen es…«, fuhr ihn der Astrologe an und trat einen Schritt vor.
Lord Darius erbleichte, wich aber nicht von der Stelle.
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