»Majestät…«
»Sprechen Sie weiter!«, sagte der König, und der Astrologe nahm wieder seinen Platz neben dem Thron ein.
Lord Darius verbeugte sich dankbar. »Im Grunde ist das Curtana auch nur ein Schwert, Majestät. Und da Sie wie die meisten Anwesenden hier der Meinung sind, dass man es nie wieder einsetzen sollte, schlage ich vor, dass wir es, sobald die Gefahr der Dämonen gebannt ist, öffentlich einschmelzen und auf diese Weise ein für allemal vernichten.«
Der König runzelte nachdenklich die Stirn. »Mein Instinkt wehrt sich gegen dieses Ansinnen. Das Schwert befindet sich seit vielen Generationen im Besitz unserer Familie und könnte in Zukunft noch gebraucht werden… Aber ich verstehe Ihre Bedenken. Das Curtana ist zu gefährlich, als dass man es einem Einzelnen anvertrauen sollte. Würde ein Einschmelzen die Barone zufrieden stellen, Sir Blays?«
»Wahrscheinlich«, erwiderte Sir Blays zurückhaltend. »Aber ich spreche nur für Gold.«
König Johann lächelte kühl. »Wenn Gold den ersten Schritt tut, werden Silber und Kupfer folgen. Habe ich nicht Recht, Sir Guillam?«
Der Sprecher der Silberbarone nickte. »Ich bin sicher, dass meine Herren den Plan gutheißen werden, Sire.«
»Dann will ich darüber nachdenken«, meinte König Johann, »und Ihnen meine Entscheidung mitteilen, noch ehe Sie morgen von hier aufbrechen.«
Sir Blays nickte mit ausdrucksloser Miene. »Danke, Sire.
Da unsere Mission hiermit beendet ist, zögen Sir Guillam und ich uns mit Ihrer gütigen Erlaubnis jetzt gern zurück. Es war ein langer Tag.«
»Allerdings«, sagte König Johann. »Nun, meine werten Herren, ich will Sie nicht um Ihre wohl verdiente Ruhe bringen. Wir sehen uns morgen wieder.«
Sir Guillam und Sir Blays verneigten sie vor dem Thron, machten kehrt und verließen den Audienzsaal. Die Höflinge schauten ihnen nach und steckten flüsternd die Köpfe zusammen.
»Ruhe!«, befahl der Astrologe schroff, und sie verstummten.
»Ehe ich für heute den Hofstaat entlasse«, sagte der König,
»habe ich noch eine angenehme Pflicht zu erfüllen. Prinzessin Julia…«
»Ach, ist Ihnen wieder eingefallen, dass Sie nach mir geschickt hatten?«, erkundigte sich Julia beleidigt. »Ich hatte schon die Befürchtung, ich sei unsichtbar.«
»Julia, meine Liebe, Sie sind meinen Gedanken nie fern«, entgegnete der König ernst. »Harald, ich hoffe doch sehr, dass du die Prinzessin inzwischen gut unterhalten hast.«
»O doch«, versicherte Harald. »Sie macht rasche Fortschritte in Tic-Tac-Toe. Noch ein wenig Übung, und sie wird es schaffen, mich ohne Schummeln zu besiegen.«
Julia zielte mit dem Dolch auf seine Zehen und lachte boshaft, als er blitzschnell den Fuß zurückzog.
»Wenn ihr beide endlich fertig seid«, sagte der König,
»möchte ich eine Ankündigung machen.«
»Schießen Sie los!«, ermunterte ihn Julia.
Der König seufzte leise und wandte sich dann den versammelten Höflingen zu. »Meine Damen und Herren, ich gebe hiermit in aller Form die Verlobung meines ältesten Sohnes Harald mit Prinzessin Julia vom Hügelland bekannt.
Ich wünsche den beiden für die gemeinsame Zukunft alles Glück der Welt.«
»Das wird er brauchen«, zischelte jemand im Hintergrund.
Julia war aufgesprungen. »Ich denke nicht daran, Harald zu heiraten!«
»Ihnen wird keine andere Wahl bleiben«, entgegnete der König. »Ich habe das Verlöbnis soeben öffentlich verkündet.«
»Dann können Sie es genauso gut wieder zurücknehmen!«
»Prinzessin Julia«, sagte der König völlig ungerührt, »ob Sie wollen oder nicht – die Hochzeit findet in genau vier Wochen statt. Harald ist ein prächtiger junger Mann und der Stolz unseres Herrscherhauses. Ich bin sicher, dass Sie sich mit einiger Disziplin und unter seiner Anleitung ebenfalls zu einer Zierde dieses Hofes entwickeln werden.«
»Eher bringe ich mich um!«
»Niemals«, warf der Astrologe ein. »Sie sind nicht der Typ dazu.«
Julia schaute wutentbrannt in die Runde und wandte sich dann unvermittelt ab, als sie merkte, dass ihr Tränen des Zorns in die Augen stiegen. »Wir werden ja sehen«, stammelte sie mit zitternder Stimme. »Wir werden ja sehen…«
König Johann beachtete sie nicht weiter, sondern wandte sich erneut an den Hofstaat: »Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit. Die Versammlung ist hiermit beendet.«
Die Höflinge verbeugten sich und knicksten, ehe sie ungewöhnlich schweigsam zum Portal strömten. Auf eine Geste des Königs folgten ihnen die Wachen nach draußen. Julia wandte sich ebenfalls zum Gehen, kam aber nicht weit, weil ihr Harald den Weg versperrte. Irgendwie brachte sie nicht mehr die Energie auf, ihm einen Tritt zu versetzen.
»Was willst du?«, fragte sie niedergeschlagen.
»Julia…« Harald zögerte. »Liebst du Rupert wirklich?«
Julia schüttelte langsam den Kopf. »Keine Ahnung. Vielleicht. Warum fragst du?«
Harald zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Schau, diese Hochzeit wird stattfinden, ob es uns gefällt oder nicht. Ich erwarte nicht, dass du mich liebst, Julia, aber findest du mich wirklich so grauenhaft? Ich bin schließlich kein Monster – zumindest nicht immer.« Er machte eine Pause, um zu sehen, ob sie sich wenigstens ein schwaches Lächeln abränge, aber selbst diesen Gefallen tat sie ihm nicht. Entmutigt schüttelte er den Kopf. »Wie auch immer, du wirst meine Frau, Julia.
Gewöhn dich an den Gedanken. Wir sprechen später noch einmal darüber, ja?«
Julia sah ihm nach, als er den Audienzsaal verließ. Sie hatte wirre Pläne, aus der Burg zu fliehen, aber wohin sollte sie sich wenden, sobald sie die Mauern hinter sich gelassen hatte? Allen Berichten nach wimmelte es im Waldkönigreich von Dämonen. Wenn nur der Drache kräftig genug wäre, sie zu begleiten… Aber er war es nicht. Seine Wunden schmerzten immer noch, und er döste die meiste Zeit vor sich hin.
Julia fluchte leise vor sich hin. Sie wusste, dass sie nicht einfach fortgehen und ihn im Stich lassen konnte. Weder ihn noch Rupert. Julia zog finster die Augenbrauen zusammen.
Eigentlich war alles Ruperts Schuld. Wenn er sie nicht auf diese Burg gebracht und dann allein gelassen hätte, um wieder mal den Helden zu spielen… eine Rolle, bei der er leicht den Tod finden konnte…
Julia schloss ganz fest die Augen und grub sich die Fingernägel tief in die Handflächen. Sie würde sich nicht die Blöße geben und vor dem König weinen, sie nicht… Nach einer Weile hatte sie sich gefangen. Mit leerem Blick starrte sie vor sich hin.
Wo immer du bist, Rupert, pass auf dich auf ! Und komm schnell hierher zurück!
König Johann schaute der Prinzessin nach, als sie den Audienzsaal verließ. Insgeheim bewunderte er ihre Selbstbeherrschung. Er wartete, bis die Flügeltüren hinter ihr ins Schloss fielen, ehe er sich erschöpft in die Kissen sinken ließ.
»Das war eine der längsten Sitzungen, die wir je hatten«, meinte der Astrologe und nahm ächzend auf der obersten Stufe des Podests Platz.
»Richtig«, stimmte der König müde zu. »Dieser verdammte Thron wird mit jedem Tag unbequemer.«
»Du kannst wenigstens sitzen«, stellte der Astrologe missmutig fest. »Ich dagegen bin seit mindestens zehn Stunden auf den Beinen. Mein Kreuz schmerzt wie verrückt.«
Der König sah ihn mitfühlend an. »Wir werden zu alt für diesen Job, Thomas.«
»Sprich nicht immer in der Mehrzahl, wenn du dich meinst!«, sagte der Astrologe, und der König lachte.
Sie saßen eine Weile in kameradschaftlichem Schweigen beisammen und beobachteten, wie sich die Schatten im leeren Saal ausbreiteten. Die letzten Sonnenstrahlen sickerten durch die prächtigen Buntglasfenster, und Staubkörnchen tanzten träge in den goldenen Lichtfächern. Der König zupfte sich nachdenklich an seinem struppigen grauen Bart und nickte dem Astrologen zu.
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