Der Zauberer lachte leise vor sich hin, als Rupert mit einem verwirrten Kopfschütteln in der Menge untertauchte, und nahm einen tiefen Zug aus seiner Flasche. Als er sie wieder senkte, stand König Johann vor ihm. Er gab sich keine Mühe, seine Abscheu zu verbergen. Fackellicht schimmerte rötlich auf dem Kettenpanzer, der ihn von Kopf bis Fuß einhüllte, und dem Zauberer entging auch der lederumwickelte Schwertgriff nicht, der hinter der linken Schulter des Königs aufragte.
»Hallo, Johann«, sagte er höflich. »Du siehst sehr… imposant aus. Ich böte dir gern einen Schluck, aber dies ist meine letzte Flasche.«
»Kannst du keine Sekunde auf das Zeug verzichten?«, fragte der König scharf.
Der Zauberer zuckte mit den Schultern. »Ich brauche den Alkohol.«
»Das war schon immer so.«
Der Zauberer musterte den König eingehend. »Ich sehe, dass du dich mit Felsenbrecher ausstaffiert hast. Wessen Einfall war das?«
»Meiner«, erklärte der König knapp. »Die Schwerter der Hölle sind unsere letzte Hoffnung gegen die Finsternis.«
Der Zauberer lächelte grimmig. »Ich dachte, ich sei deine letzte Hoffnung gegen die Finsternis.«
»Nein.« Der König starrte die Flasche in der Hand des Großen Zauberers an. »Nicht mehr.«
»Lass die Finger von der Waffe, Johann«, sagte der Zauberer ruhig. »Du kannst den Schwertern der Hölle nicht trauen.
Zusammen haben sie die Macht, die Welt zu vernichten.
Wenn du diese Macht erst einmal entfesselt hast, wird es verdammt schwer sein, sie zu beherrschen.«
»Wir benutzen die Schwerter«, erklärte der König. »Wir haben keine andere Wahl.«
Der Zauberer seufzte leise und wandte den Blick ab. »Du hast ganz Recht«, sagte er schließlich. »Ich sollte nicht so viel trinken. Es verwirrt meinen Verstand, verzerrt die Wirkung meiner Zaubersprüche und bringt mich langsam aber sicher um.«
»Dann hör auf damit!«, knurrte der König.
»Ich kann nicht«, sagte der Zauberer hilflos. »Glaubst du, ich hätte es nicht versucht? Ich trinke nicht, weil es mir Spaß macht, Johann. Ich trinke, weil ich sonst den Tag nicht durchstehe.«
»Immer die gleiche Ausrede«, sagte der König.
Der Zauberer warf ihm einen flehenden Blick zu. »Du hast mich nie verstanden, Johann. Aber du wolltest mich auch nicht verstehen. Du selbst hast nie im Leben einen Schluck gebraucht. Du hast nie etwas gebraucht. Zum Henker damit!
Wir können nicht alle vollkommen sein.«
»Du bist ein ganz gewöhnlicher Säufer!«
»Ich bin das, was du aus mir gemacht hast, Johann. Du und deine verdammte Familie! Immer musste ich eure kostbare Haut retten, aus einer Katastrophe nach der anderen! Ich war nicht immer ein Säufer.«
»Aber meistens, wenn es darauf ankam.«
»Ich habe deine Wünsche erfüllt, betrunken oder nüchtern.«
»Alle bis auf einen«, sagte der König. »Bis auf den einen, der mir wirklich am Herzen lag.«
»Hör auf!«, flüsterte der Zauberer. »Bitte!«
»Eleanor lag im Sterben, und du warst nirgends zu finden.
Ich musste meine Männer in die Wirtshäuser und Kneipen schicken. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie dich auf die Burg brachten. Und während all der Zeit saß ich an ihrem Bett…
an Eleanors Bett… Du hättest sie retten können!«
»Ich kam zu spät.«
»Du warst betrunken!«
»Ja«, sagte der Große Zauberer. »Ich war betrunken.«
Er starrte die Flasche in seiner Hand an und begann zu weinen.
Prinz Harald stand ungeduldig vor dem geschlossenen Hauptportal und verbarg seinen wachsenden Ärger hinter einer gewohnt lässigen Maske, während ein Diener an ihm herumzupfte und die Riemen seiner Rüstung festzog. Die sich überlappenden Schichten des Kettenpanzers waren heiß, schwer und sehr beengend, aber Harald schwor nun einmal auf Rüstungen. Ganz gleich, wie gut man mit Schwert und Schild umgehen konnte, früher oder später traf man auf einen Gegner, der mehr Geschick oder mehr Glück im Nahgefecht besaß, und dann war eine gute Rüstung von entscheidendem Vorteil. Haralds Miene verdüsterte sich, als er an seinen letzten Kampf gegen Rupert hier auf dem Burghof dachte.
Damals hatte ihm sein Kettenpanzer nichts genützt. Aber gleich darauf lächelte Harald wieder. Diesmal war alles anders. Diesmal hatte er Blitzstrahl. Immer wieder spähte er aus dem Augenwinkel nach dem langen Griff des Höllenschwerts, der über der linken Schulter aufragte. Blitzstrahl war unheimlich leicht für eine so gewaltige Klinge, und doch spürte Harald die Waffe bei jeder Bewegung. Es ging eine schwache, unangenehme Wärme von dem Schwert aus, als glühe das Metall in der Scheide. Und manchmal durchzuckte Harald ohne jeden Grund der Gedanke, wie schön es wäre, die Klinge zu ziehen und seine Feinde niederzumähen, einen nach dem anderen…
Der Diener war endlich fertig, und Harald schickte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung weg. Er holte sein gewöhnliches Schwert, das er umgegürtet hatte, und begann mit den gewohnten Aufwärmübungen. Der schwere Stahl in seiner Hand beruhigte ihn, und er merkte, wie sich seine Muskeln lockerten, während er elegant die Hieb- und Stichfolgen durchexerzierte. Er hatte sein Fechttraining seit der Niederlage gegen Rupert sehr viel ernster genommen und spürte den Unterschied. Harald war immer ein guter Kämpfer gewesen, aber jetzt war er nahezu vollkommen. Ruperts triumphierende Miene stand ihm vor Augen, als er auswich und parierte und zum Angriff überging, immer und immer wieder. Blitzstrahl schlug bei jeder Bewegung gegen seine Schulter, als wolle es Harald an seine Kampfbereitschaft erinnern. Harald stampfte mit den Füßen, warf sich herum, schwang das im Fackelschein blitzende Schwert – und wusste doch, dass sein ganzes Geschick und seine ganze Übung nicht ausreichen würden, sobald er sich in die lange Nacht hinaus begab. Seine einzige Hoffnung im Kampf gegen die Dämonen war das Schwert der Hölle, aber irgendwie war er nicht so erpicht darauf, es einzusetzen, wie er gedacht hatte.
Er sah, dass sein Vater auf ihn zukam, setzte die Übungen aber bewusst fort. Erst als der König ihn fast erreicht hatte, schaute er auf und schob das Schwert mit einer einzigen fließenden Bewegung in die Scheide zurück. Dann lehnte er sich lässig gegen das geschlossene Tor. Er tupfte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und verneigte sich leicht vor dem König, der ihm kurz zunickte.
»Einsatzbereit, Harald?«
»Natürlich, Vater.«
König Johann stand einen Moment lang schweigend da, als warte er darauf, dass Harald weiterspräche. Harald ließ ihn warten.
»Du wolltest mich sprechen, Harald?«
»Ganz recht, Vater.« Harald fuhr sich noch einmal mit dem Taschentuch über die Stirn, ehe er es wieder in den Ärmel schob. »Ich möchte, dass du mir noch vor der Schlacht Julia zur Gemahlin gibst. Die Zeit reicht.«
König Johann starrte ihn ungläubig an. »Was?«
»Ich will Julia zur Frau, und ich will, dass die Trauung jetzt vollzogen wird. Für die Kampfmoral der Leute wird es Wunder wirken und ein für alle Mal die Frage klären, ob du mich oder Rupert als Nachfolger favorisierst. Ich muss sicher sein, dass die Truppe voll hinter mir steht.«
»Deine Heirat wurde verschoben«, sagte der König ruhig.
»Abgesehen davon, dass dies weder die rechte Zeit noch der rechte Ort für eine Hochzeit ist, möchte ich Rupert nicht aus der Fassung bringen. Er wird in Kürze Seite an Seite mit uns in die Schlacht reiten, und es gibt Leute, die seinen Anweisungen folgen werden, während sie dir den Gehorsam verweigern.«
»Genau das meine ich«, entgegnete Harald. »Ich bin der älteste Sohn, der Erstgeborene. Meinen Befehlen sollen sie gehorchen. Außerdem gibt es noch andere Gründe für die Hochzeit. Es kann gut sein, dass wir alle drei in diesem Kampf umkommen und das Waldkönigreich ohne Herrscher zurücklassen. Wenn Julia und ich verheiratet wären, könnte unsere Linie durch sie weiterleben. Und wenn durch eine unglückselige Fügung du fallen solltest, während Rupert und ich am Leben bleiben, würde meine Heirat mit Julia meine Thronfolge sicherstellen. Außerdem wäre die Durchführung der Zeremonie ein deutlicher Hinweis auf deine Wünsche in dieser Angelegenheit. Andernfalls könnte es geschehen, dass wir zwar die Schlacht gegen die Finsternis gewinnen, das Land aber durch einen Bürgerkrieg verlieren.«
Читать дальше