und mehr… Ein Gefühl von Alter und Geschichte überwältigte Rupert, als er langsam bis zum Ende des Arsenals vordrang. Das Waldkönigreich war sehr viel älter, als die meisten Leute ahnten oder sich vorstellen konnten.
Viele der Regale standen leer; man hatte sie ausgeräumt, um die Männer auszurüsten, die sich bereit erklärt hatten, die Burg gegen die Dämonen zu verteidigen. Andere Schwerter waren zurückgeblieben, weil sie so viele Einsätze gesehen hatten, dass sie nur noch als Erinnerungsstücke oder Zeremonienwaffen taugten. Dennoch enthielt das Arsenal tausende und abertausende von Waffen, die in langen Reihen geduldig auf den Tag warteten, da sie wieder zur Verteidigung des Waldkönigreichs benötigt würden. Manche Klingen kannte Rupert seinem Namen oder seiner Geschichte nach, während andere längst aus der Erinnerung getilgt waren. Mehr als einmal starrte er eine namenlose Waffe an und sann darüber nach, welcher Triumph oder welche Tragödie sich hinter dem glatten Stahl verbergen mochte. Doch die Schwerter der Hölle erkannte er auf den ersten Blick, obwohl er sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Sie standen gemeinsam in einer Nische, drei mächtige Langschwerter in Scheiden aus ziseliertem Silber. Die Griffe waren mit dunklem, fleckigem Leder umwickelt. Die Klingen hatten eine Länge von mindestens zwei Metern und am Ansatz eine Breite von etwa fünfzehn Zentimetern. Rupert betrachtete sie und wusste, weshalb er bereits vor dem Betreten des Arsenals einen Schauder gespürt hatte. Einen Moment lang drang ihm der Gestank von Blut in die Nase, aber der Eindruck verflog so rasch, dass Rupert ihn als Einbildung abtat. Die Klingen ragten vor ihm auf, kalt und majestätisch und allem Anschein nach nicht gefährlicher als jedes gewöhnliche Schwert. Dennoch spürte Rupert tief im Innern eine dumpfe Vorahnung, als wälze sich ganz in seiner Nähe eine uralte, Furcht erregende Kreatur unruhig im Schlaf. Ärgerlich verdrängte er diesen Gedanken und griff nach der erstbesten Klinge. Der Seneschall packte ihn rasch am Arm und zog ihn zurück.
»Vorsicht, Sire, die Schwerter sind geschützt! Wenn Sie eines davon berühren, ehe der Bann gelöst ist, können wir vermutlich Ihre Reste in einem Eimer wegtragen.«
»Natürlich, Sir Seneschall«, sagte Rupert. »Das hatte ich völlig vergessen.« Er merkte, dass seine Wangen brannten, und schalt sich insgeheim einen Trottel. Selbst ihm hätte klar sein müssen, dass so mächtige Waffen wie die Schwerter der Hölle nicht für jedermann zugänglich herumstanden. »Ich nehme an, dass es einen Gegenzauber gibt.«
»Ja«, warf der König ein. »Ich erfuhr ihn von meinem Vater, so wie er ihn von seinem Vater erfahren hatte. Allerdings hätte ich nie geglaubt, dass ich ihn eines Tages anwenden müsste.«
Rupert und der Seneschall gaben den Weg für König Johann frei. Harald hielt sich ein wenig im Hintergrund. Er trug immer noch die Maske der Gleichgültigkeit, beobachtete aber ganz genau, was sein Vater tat. Der König blieb eine Weile vor den drei großen Schwertern stehen und stieß schließlich drei Worte in einer rauen, gutturalen Sprache hervor, die Rupert noch nie zuvor gehört hatte. Die Worte hingen in der Luft, brachen sich an den Wänden und schienen endlos widerzuhallen. Und dann antworteten ihm die Schwerter.
Ruperts Nackenhaare sträubten sich, als ihn die leisen, unheimlichen Stimmen von überall und nirgends erreichten, anschwollen und verebbten und sich zu seltsamen, unnatürlichen Klängen verwoben, die er beinahe verstand und doch nicht ganz zu fassen bekam. Es hörte sich vieldeutig, fließend und ganz und gar fremdartig an. Der König antwortete hin und wieder, mit Worten, die sich hart und angestrengt von der sanften, fast verführerischen Sprache der Schwerter abhob.
Und dann verstummten die Klingen unvermittelt. Die Stimme des Königs nahm einen sonderbar unangenehmen Rhythmus an und senkte sich zu einem beinahe unhörbaren Flüstern. Im Saal wurde es merklich kälter. Rupert sah, dass sein Atem dampfte. Die in die Silberscheiden eingravierten Runen schienen sich zu winden, als seien sie zum Leben erwacht, und Rupert spürte plötzlich einen Druck ganz in der Nähe…
eine Kraft, die gegen ihre Fesseln ankämpfte. Die Luft roch nach frisch vergossenem Blut. Etwas bewegte sich in den Schatten jenseits des zuckenden Fackelscheins. Und dann presste der König erneut drei Worte hervor, und die Schwerter der Hölle lachten leise. Eine lauernde Gier schwang in ihrem Lachen mit. Rupert zuckte angewidert zusammen, als hätte ihn das Lachen irgendwie besudelt. Das letzte Echo verhallte, und im Saal herrschte wieder Stille. Die Fackel flackerte und zuckte, aber die Schatten waren nur noch harmlose Schatten. Die Luft erwärmte sich, und der überwältigende Gestank nach Blut verwehte zu einer unangenehmen Erinnerung. König Johann starrte die Schwerter der Hölle unbewegt an. Als er schließlich sprach, klang seine Stimme wieder gelassen.
»Drei Schwerter«, sagte er ruhig. »Eines für jeden aus dem Geschlecht der Waldkönige im Kampf gegen die ewige Nacht. Ich wähle… Felsenbrecher.«
»Der Herr erlöse uns von allem Übel«, murmelte der Seneschall.
König Johann streckte den Arm aus und nahm das linke Schwert aus dem Ständer. Die gewaltige Klinge schien in seiner Hand fast nichts zu wiegen, doch er traf keine Anstalten, sie aus der Scheide zu ziehen. Er starrte sie einen Moment lang an, ehe er den Riemen über die linke Schulter streifte und festzurrte. Der Griff ragte hoch hinter seinem Kopf auf, während die Spitze einen Finger breit über dem Boden endete. Er hob kurz die Schulter an, um den Tragriemen zurechtzurücken, und trat dann zur Seite, damit Harald seine Wahl treffen konnte.
Harald näherte sich vorsichtig den beiden noch verbliebenen Schwertern. Sein Blick wanderte unschlüssig von einer Klinge zur anderen, ehe er an der Waffe zur Rechten haften blieb. Die Maske der Unbekümmertheit war verschwunden.
Dahinter kam ein Gesicht mit harten Linien und dunklen, entschlossenen Augen zum Vorschein. Ein grimmiges Lächeln, das nichts mit Humor zu tun hatte, umspielte seine Lippen. Er buchstabierte die alten Runen, die in den Quergriff eingraviert waren. »Blitzstrahl«, sagte er leise. »Ich wähle Blitzstrahl.« Er nahm die Waffe rasch aus dem Ständer, streifte sie über die linke Schulter und zerrte so ungeduldig an den Riemen, dass ihm der Seneschall beim Festziehen der Schnallen helfen musste.
König Johann forderte Rupert mit einer Handbewegung auf, an den Waffenständer zu treten. Rupert musterte das Schwert, das übrig geblieben war, rührte sich aber nicht von der Stelle. Beeil dich!, flüsterte eine Stimme in seinem Innern. Es ist nur ein Schwert! Die Silberscheide glänzte verführerisch im unruhigen Fackelschein. Hundsgift. Ein Schwert der Macht.
Und Rupert stand wieder in der Bergwerksgrube der Kupferstadt, reckte sein Schwert in die Höhe und rief um Beistand – um einen Beistand, der nie kam.
»Nein«, sagte er schließlich und wandte sich ab. »Ich habe kein Vertrauen mehr in die Zauberschwerter. Gib es einem anderen!«
»Nimm das Schwert!«, verlangte König Johann. »Du bist von königlichem Geblüt. Es ist dein Recht und deine Pflicht, mit diesem Schwert zu kämpfen. Das Volk braucht Symbole, damit es uns in die Schlacht folgt.«
»Nein«, erklärte Rupert. »Es gibt Dinge, die ich einfach nicht tun kann, Vater, auch wenn du sie als meine Pflicht bezeichnest!«
»Nimm das Schwert!«, schnauzte der König. »Das ist ein Befehl!«
»Ich lasse mir nichts mehr befehlen!« Rupert drehte sich um und ging. Seine Schritte hallten dumpf in der Stille wider, als er sich durch den Mittelgang entfernte. Die Schwerter zahlloser Helden schienen ihn vorwurfsvoll anzustarren, weil er sich von ihnen abwandte. Rupert ging weiter, mit hoch erhobenem Kopf. Er hatte genug geleistet. Niemand hatte das Recht, noch mehr von ihm zu fordern. Er würde sich den Dämonen stellen, weil das die letzte Hoffnung für das Reich war, aber mit einer ehrlichen Waffe in der Hand. Er wollte sich nicht auf den Zauber des Bösen verlassen, den die Schwerter der Hölle ausstrahlten. Eine Woge der Erschöpfung erfasste ihn, und er überlegte, ob er sich vor dem Kampf im Morgengrauen noch eine Stunde Schlaf gönnen sollte. Er war so entsetzlich müde… Er schüttelte den Kopf und lächelte bitter. Nach dem Kampf hatte er genug Zeit, sich auszuruhen, so oder so. Alle Zeit der Welt. Er verließ das Arsenal und trat in den Korridor hinaus, wo Darius schon auf ihn wartete.
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