»Ich war nicht sicher, was ich bei unserem Wiedersehen empfände«, sagte König Johann langsam. »Hass oder Furcht oder was immer. Es ist viel Zeit vergangen, nicht wahr?«
Der Große Zauberer nickte. »Allerdings.«
»Du siehst fast genauso aus, wie ich dich in Erinnerung hatte. Du bist überhaupt nicht gealtert.«
»Transformationsmagie. Ich kann mir selbst aussuchen, wie alt ich sein möchte. Natürlich verbrennt meine restliche Lebensenergie umso schneller, je jünger ich mich mache. Ich bin inzwischen ein alter Mann, Johann, älter als du und dein Vater zusammen. Weißt du, manchmal fehlt mir Eduard. Mit ihm konnte ich reden. Du und ich, wir hatten nie viel gemeinsam.«
»Das nicht«, stimmte ihm der König zu. »Aber deine Ratschläge waren immer gut.«
»Dann hättest du sie befolgen sollen.«
»Vielleicht.«
Sie schwiegen beide, und lange Zeit mochte keiner von ihnen das Gespräch wieder aufnehmen. Das Feuer flackerte unruhig, und das Knistern der Flammen klang in der Stille unheimlich laut.
»Es war nicht nötig, mich zu verbannen, Johann«, sagte der Zauberer schließlich. »Ich hatte mich bereits selbst verbannt.«
Der König zuckte mit den Schultern. »Ich musste etwas unternehmen. Eleanor war tot, und ich musste irgendetwas unternehmen.«
»Ich habe alles Erdenkliche für sie getan, Johann.«
Der König starrte ins Feuer und schwieg.
»Was hältst du von Ruperts Plan?«, fragte der Zauberer nach einer Weile.
»Vielleicht gelingt er. Alles andere haben wir bereits versucht. Wer weiß?«
»Ich mag Rupert. Ein kluger junger Mann, wenn du mich fragst. Und mutig.«
»Ja«, sagte Johann langsam. »Das ist er wohl.«
Sie sahen einander verlegen an. Zu viele Jahre Schmerz, Zorn und angesammelte Bitterkeit lagen zwischen ihnen, und das wussten sie beide. Sie hatten einander nichts mehr zu sagen; es war bereits alles gesagt. Der Große Zauberer erhob sich.
»Ich denke, es ist an der Zeit, ein paar Worte mit Thomas Grey zu wechseln. Seine magischen Kräfte haben während meiner Abwesenheit offenbar zugenommen; vielleicht kann er mich tatsächlich ein wenig unterstützen. Gute Nacht, Johann. Wir sehen uns noch, ehe wir in den Kampf ziehen.«
»Gute Nacht, Zauberer.«
Der König starrte ins Feuer und entspannte sich erst, als die Tür hinter dem Großen Zauberer ins Schloss fiel. Die Erinnerungen wollten ihn nicht loslassen, auch jetzt nicht, nach all den Jahren. Er schloss die Augen, und wieder standen er und der Zauberer gemeinsam an Eleanors Bett. Ihr Gesicht war mit einem Laken verhüllt.
Sie ist tot, Johann. Es tut mir so Leid.
Hol sie zurück ins Leben!
Das kann ich nicht, Johann.
Du bist der Große Zauberer! Hol sie zurück, verdammt noch mal!
Das kann ich nicht.
Du versuchst es doch nicht einmal.
Johann…
Du hast sie sterben lassen, weil sie deine Liebe nicht erwiderte!
Der König vergrub das Gesicht in den Händen, aber die Tränen wollten nicht kommen. Er hatte sie vor langer Zeit vergossen und besaß keine mehr. Er nahm rasch Haltung an, als sich die Tür hinter ihm öffnete, und setzte die gewohnt strenge Miene auf. Rupert und Harald traten auf ihn zu und verneigten sich ehrerbietig. Sie standen Schulter an Schulter, aber getrennt durch eine unsichtbare Wand der Kälte. König Johann lächelte müde. Er wollte seine Stiefel samt Schnallen fressen, wenn die beiden je mehr füreinander empfanden als eisige Abneigung. Rupert und Harald warteten geduldig, die Blicke auf einen Punkt irgendwo über dem Kopf des Königs gerichtet. Johann atmete tief durch. Weder Rupert noch Harald würde gefallen, was er ihnen zu sagen hatte, aber er war jetzt auf ihre volle Unterstützung angewiesen.
»Setzt euch!«, sagte er schließlich schroff. »Das Zimmer sieht ungemütlich aus, wenn ihr so herumsteht!«
Harald ließ sich sofort in den Sessel sinken, den der Zauberer eben erst freigegeben hatte, sodass sich Rupert auf die Suche nach einer zweiten Sitzgelegenheit machen musste.
Johann bewahrte mühsam Haltung, während er dem Rumpeln angeschrammter Möbel und einstürzender Büchertürme lauschte. Schließlich tauchte sein jüngerer Sohn wieder auf, der achtlos einen Lehnstuhl hinter sich herschleifte. Harald bekam einen Hustenanfall, den der König mit einem zornigen Blick erstickte. Johann drehte sich nicht um. Er wollte nicht sehen, welches Chaos Rupert wieder angerichtet hatte. Das hätte er bei seiner Gemütsverfassung nicht ertragen.
»'tschuldigung«, murmelte Rupert, während er den Lehnstuhl exakt zwischen Harald und den König platzierte.
»Schon gut«, sagte Johann höflich. »Es ist ein wenig eng hier.«
Er wartete geduldig, bis Rupert Platz genommen hatte, und zupfte dann nachdenklich an seinem Bart, weil er nicht so recht wusste, wie er anfangen sollte. Die Stille dehnte sich hin, und immer noch zögerte er. Er wusste, dass sein Vorhaben richtig und notwendig war, aber das machte es nicht leichter.
»Du wolltest uns sprechen, Vater«, begann Harald schließlich. »Geht es um die Hochzeit?«
»Nein«, erwiderte der König. Ihm entging nicht, dass Ruperts Hand lässig mit dem Schwertgriff spielte. »Ich fürchte, deine Hochzeit muss wieder mal verschoben werden.«
»So ein Pech aber auch!«, spöttelte Rupert.
»Das kannst du laut sagen«, meinte Harald.
»Worum geht es dann?«, fragte Rupert. »Um meinen Angriffsplan gegen die Dämonen?«
»Das Wort Plan ist wohl etwas übertrieben«, erklärte Harald. »Ich würde eher von Massenselbstmord sprechen.«
»Wenn du einen besseren Vorschlag hast, dann wird es Zeit, uns davon zu unterrichten!«, fuhr Rupert auf. »Oder sollen wir uns in der Burg verkriechen, bis uns die Dämonen holen? Glaub mir, Harald, es ist besser, im Kampf zu sterben!«
»Es ist besser, überhaupt nicht zu sterben«, sagte Harald.
»Es muss einen anderen Weg geben. Vielleicht weiß der Große Zauberer…«
»Nein«, unterbrach ihn der König ruhig, »selbst auf dem Gipfel seines Ruhms war er nie so mächtig. Aber du hast Recht, Harald. Es muss einen anderen Weg geben. Und mir ist auch etwas eingefallen. Etwas, das zumindest unsere Stellung gegen die Dämonen verbessern könnte.«
»Das verstehe ich nicht.« Rupert runzelte die Stirn.
»Wenn es einen anderen Weg gibt, warum hast du ihn dann nicht vor versammeltem Hofstaat erwähnt?«
Der König wich seinem Blick nicht aus. »Weil der Hofstaat ihn nicht gebilligt hätte.«
»Es hat etwas mit dem Curtana-Schwert zu tun, nicht wahr?«, warf Harald unvermittelt ein.
»In gewisser Weise ja«, entgegnete der König. »Ich hatte die feste Absicht, das Curtana gegen die Dämonen einzusetzen, aber das ist nun nicht mehr möglich. Es gibt jedoch andere Schwerter, die ebenso mächtig, wenn nicht noch mächtiger sind.«
Rupert und Harald sahen einander entgeistert an, als ihnen dämmerte, wovon er sprach, und Johann beobachtete mit einer Spur von Belustigung, dass sie sich zumindest in ihrer entsetzten Ablehnung einig zu sein schienen.
»Du sprichst von den Schwertern der Hölle«, sagte Rupert ungläubig. »Das kann nicht dein Ernst sein, Vater!«
»Warum nicht?«
»Die Schwerter der Hölle sind für uns tabu«, erklärte Harald, doch der König sah sehr wohl die kalte Berechnung in seinem Blick.
»Wir können sie nicht einsetzen«, sagte Rupert. »Das Curtana war schlimm genug, aber diese Klingen… ich bin nicht sicher, was mir mehr Angst einjagt, die Dämonen oder diese Schwerter des Bösen!«
»Verständlich«, meinte Harald. »Aber wir wissen ja, dass dir viele Dinge Angst einjagen.«
Rupert schaute ihn an, und Harald rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. »Sprich ruhig weiter, Harald«, sagte Rupert leise. »Reden ist schließlich deine große Stärke!«
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