Rupert schaute die Prinzessin an, die sich demonstrativ bei Harald untergehakt hatte. »Ja«, sagte er schließlich. »Ich denke schon. Vater, wo ist der Astrologe?«
»Er verbringt seine Tage in völliger Abgeschiedenheit«, erklärte der König, »um mit Hilfe seiner Magie herauszufinden, wer das Curtana gestohlen hat und wo es versteckt ist.«
»Das Curtana?« Rupert schüttelte verwirrt den Kopf. »Wie konnte das jemand stehlen? Ich denke, das Schwert befindet sich im verloren gegangenen Südflügel?«
»Nicht mehr«, sagte Julia. »Wir entdeckten einen Weg in den Südflügel – der Seneschall, seine Leute und ich. Als wir jedoch in das Alte Arsenal eindrangen, war das Curtana verschwunden.«
Rupert schwirrte der Kopf, weil zu viel Neues gleichzeitig auf ihn einströmte. Du hast während deiner Abwesenheit viel versäumt, Rupert. Er seufzte und unterdrückte entschlossen den Wunsch, alle jene Fragen zu stellen, die ihm auf der Zunge lagen. Er wusste, dass kostbare Zeit verginge, bis sie beantwortet wären, und er ahnte, dass die Antworten ihn keinen Schritt weiterbrächten.
»Du scheinst dich sinnvoll beschäftigt zu haben, Julia«, sagte er deshalb nur. »Aber darüber können wir uns später unterhalten. Zunächst einmal solltest du den Astrologen holen lassen, Vater. Wenn mein Plan gelingen soll, brauchen wir jede verfügbare Magie.«
»Was kann der Astrologe schon groß beisteuern?«, knurrte der Champion. »Soll er den Dämonen vielleicht Horoskope stellen und ihnen sagen, dass die Gestirne für einen Burgenangriff ungünstig stehen?«
»Er ist immerhin ein Zauberer«, gab Rupert zu bedenken.
»Und Magie ist der Schlüssel zu der ganzen Geschichte.«
»Magie ist die Waffe des Dämonenfürsten«, entgegnete der Champion und schoss dem Großen Zauberer einen finsteren Blick zu. »Wenn wir Feuer mit Feuer bekämpfen, werden wir uns alle die Finger verbrennen. Jetzt ist der Moment für kalten Stahl gekommen, Sire! Jetzt zählen Stärke und Heldenmut!«
»Überlegen Sie, wie weit uns das im Dunkelwald gebracht hat!«, meinte Rupert. »Kalter Stahl genügt nicht mehr. Den Dämonen ist es gleichgültig, welche Verluste sie erleiden, wenn sie uns nur besiegen! Jenseits des Burgwalls warten tausende der verdammten Monster, und Gott weiß, wie viele noch aus dem Dunkelwald strömen, wenn die ersten Angreifer fallen. Nein, Sir Champion, der Dunkelwald ist ein Ort der Magie und muss mit Magie bezwungen werden.«
Der König setzte zum Sprechen an und hob verblüfft den Kopf, als unvermittelt die Flügel des Portals aufschwangen und der Astrologe den Thronsaal betrat.
»Tut mir Leid, dass ich so spät komme, Sire, aber ich denke, dass ich auf meiner Suche nach dem Curtana einen Durchbruch erreicht habe. Wenn mich nicht alles täuscht, existiert das Schwert des Zwangs nicht mehr. Wer immer es aus dem Arsenal holte, muss es vernichtet haben. Ich gestehe, dass ich schwanke, ob ich das gut oder schlecht finden soll.«
Das leise Gemurmel der Höflinge ließ darauf schließen, dass sie ebenfalls schwankten.
König Johann zupfte sich am Bart und runzelte nachdenklich die Stirn. »Das Schwert hätte uns vielleicht vor der Finsternis retten können, Thomas. Ich nehme an, du weißt nicht, wer es entwendet hat.«
»Ohne das Curtana? Nein, Majestät.« Der Astrologe wandte sich dem Großen Zauberer zu und verneigte sich tief. »Wie schön, Sie nach all den Jahren wieder zu sehen, Sir Zauberer.
Die geringen magischen Kräfte, die ich besitze, stehen Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.«
»Danke, Sir Astrologe«, erwiderte der Große Zauberer höflich. »Ich bin überzeugt, dass Sie ein äußerst wertvoller Verbündeter sind.«
»Nettigkeiten können wir später austauschen«, warf Rupert gereizt ein. »Im Moment gilt es, einige hunderttausend Dämonen zu besiegen.«
»Ah«, spöttelte Harald, »jetzt kommen wir wieder zu deinem berühmten Plan!«
»Harald«, sagte Rupert langsam, »du gehst mir auf den Sack! Noch eine solche Bemerkung von dir, und ich versetze dir einen Tritt, dass dir die Eier um die Ohren fliegen!«
Es entstand ein peinliches Schweigen, als alle betont weghörten.
»Dein Plan, Rupert«, sagte der König schließlich.
»Der ist recht einfach«, erklärte Rupert. »Im Gegensatz zu den meisten hier im Saal habe ich bereits gegen die Finsternis gekämpft. Schwerter sind ebenso wenig die Lösung wie Bannsprüche – aber wenn wir beides kombinieren, gibt es vielleicht noch Hoffnung. Also stellen wir erst einmal alle Mann, die noch laufen und ein Schwert in Händen halten können, zu einem Heer zusammen. Dann versuchen wir dieses Heer mit Bannsprüchen des Großen Zauberers, des Astrologen und sonstiger Magier zu schützen und zu stärken. Als Nächstes greifen wir die Dämonen, die uns belagern, mit allem an, was wir haben. Wenn es uns nur dieses eine Mal gelingt, die Mächte der Finsternis zurückzuschlagen, können wir das Blatt noch wenden. Die Dämonen sind nicht unschlagbar. Falls wir eine größere Anzahl von ihnen töten, werden sie die Flucht ergreifen. Und ohne die Dämonen als Vorhut kann die lange Nacht nicht vordringen. Wenn wir uns dem Feind hier und jetzt entgegenstemmen, können wir der Finsternis die Stirn bieten. Zugegeben, es ist kein unfehlbarer Plan… aber was haben wir zu verlieren?«
Es entstand eine längere Pause.
»Nun ja, unter einem guten Plan hatte ich mir etwas anderes vorgestellt«, sagte der König taktvoll.
»Ich gebe zu, dass es ein verdammt lausiger Plan ist«, meinte Rupert. »Nur – eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Die Dämonen da draußen werden nicht weniger. Aber greift sie an, mit vereinten Kräften, und ihr werdet sehen, dass sie genauso sterben wie alle anderen Geschöpfe.«
Der König nickte zögernd. »Falls sonst keine konstruktiven Vorschläge kommen… ich sagte konstruktiv, Harald…
also gut. Wie die Uhren anzeigen, zieht in etwa drei Stunden der neue Tag herauf. Eine halbe Stunde vorher will ich sämtliche kampffähigen Männer im Hof versammelt sehen. Mit einigem Glück haben wir bis dahin die Flüchtlingsfamilien anderweitig untergebracht. Daß mir keiner zu spät kommt!
Wir öffnen die Tore pünktlich. Und dann liefern wir den Dämonen einen Kampf, wie sie ihn noch nie erlebt haben.
Das ist alles. Rupert, Harald, ihr begleitet mich in meine Privatgemächer. Jetzt.«
Der König erhob sich von seinem Thronsessel, nickte den sich verneigenden Höflingen kurz zu und verließ mit entschlossenen Schritten den Saal. Seine Leibgarde folgte ihm mit einem Respektabstand. Im Saal wurde die gedämpfte Diskussion eine Weile weitergeführt, ehe sich die gewohnten Gruppen bildeten und ein allgemeiner Aufbruch einsetzte.
Der Große Zauberer und der Astrologe verließen den Raum gemeinsam, in ein leises Gespräch über magische Taktiken vertieft. Die Höflinge strebten in kleinen Gruppen ihren Wohnquartieren zu, um Schwerter, Rüstungen und ihren ganzen Mut zusammenzusuchen, in dem Wissen, dass sie in wenigen Stunden den Dämonen gegenübertreten und aller Voraussicht nach sterben mussten. Trotz seiner Verachtung für den Hofadel im Allgemeinen war Rupert insgeheim beeindruckt von der Art und Weise, wie sie die Sache aufnahmen. Zum ersten Mal in ihrem Leben lamentierten und diskutierten sie nicht. Natürlich waren sie sprachlos vor Angst, aber Rupert hegte keinen Zweifel daran, dass die meisten von ihnen zum vereinbarten Zeitpunkt mit dem Schwert in der Hand im Burghof stehen würden. Und die wenigen, die zu feige waren, in die Entscheidungsschlacht zu ziehen, würden im Kampf ohnehin wenig nützen.
Die Blicke des Prinzen wanderten zu Julia hinüber, die sich leise mit Harald unterhielt. Sie schienen beide nur Augen füreinander und nicht für ihn zu haben. Rupert wollte sich abwenden und konnte es nicht. Anfangs hatte er geglaubt, dass Julia ihn immer noch mochte und mit Harald nur tändelte, um ihn selbst eifersüchtig zu machen. Aber nun wusste er es besser. Zum ersten Mal erkannte er, wie natürlich Julia in ihren höfischen Gewändern wirkte. Sie passte an die Seite von Harald, als sei das ihr angestammter Platz. Rupert schaute an seiner zerfetzten, blutverkrusteten Kleidung hinunter, und die Vorstellung, dass die hoch gewachsene, stattliche Prinzessin neben ihm einherschreiten könnte, erschien ihm plötzlich lächerlich.
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