»Du auch.«
Blubberndes Gelächter. Die Dämonen lassen mich in Ruhe.
Sie hüten sich, mit mir zu kämpf en. Kehr zurück in die Burg, Großer Zauberer! Kehr zurück ins Licht, in die Nähe anderer Menschen. Aber komm wieder, wenn die Nacht vorbei ist!
Bitte!
»Natürlich«, sagte der Zauberer. »Leb wohl, mein Freund!« Er wandte sich ab und schwebte wieder in die Lüfte. Das Stielauge starrte ihm nach, bis er hinter der Burgmauer verschwunden war. Dann betrachtete es kurz die vorrückende Dunkelheit und tauchte mit einem leisen Schmatzgeräusch unter. Der Riss in der Eisdecke schloss sich, und die verschwommene dunkle Gestalt glitt langsam durch das kalte Wasser des Burggrabens.
Rupert erwachte von einem lauten Pochen. Jemand hämmerte beharrlich gegen die Tür. Er rollte sich auf den Rücken und starrte zur Zimmerdecke hinauf, während seine Träume zögernd den Rückzug antraten. Dann schoss er kerzengerade in die Höhe und griff nach dem Schwert, das auf dem Boden neben dem Bett lag. Mit der Waffe in der Hand fühlte er sich einfach sicherer. Er warf einen Blick auf die Öllampe; sie war ausgegangen, aber die beiden Kerzen brannten noch. Er spähte in die Schatten, die in den Ecken seines Zimmers lauerten, und versuchte sich zu erinnern, was ihn geweckt hatte. Das Hämmern begann von neuem, und etwas in Ruperts Hinterkopf schrie: Dämonen, Dämonen Dämonen! Er schüttelte den Kopf und atmete tief durch, und die wilde, unlogische Furcht, die sein Herz zum Rasen gebracht hatte, verebbte langsam zu einem vertrauten Hintergrundmurmeln. Vorsichtig schwang er die Beine über die Bettkante, zuckte zusammen, als er die schmerzenden Glieder spürte, und legte nach kurzem Zögern das Schwert neben sich auf das Bett. Wer immer das sein mag, dachte er grimmig, hat hof f entlich einen guten Grund f ür diese Störung! Er rieb sich die verklebten Augen und trat zögernd auf den Schrank zu, der den Eingang versperrte.
Draußen klopfte sein Besucher erneut mit einigem Nachdruck.
»Wer ist da?«, knurrte Rupert und streckte sich, bis seine Gelenke knackten.
»Der Champion, Sire. Sie werden gebraucht.«
Seit wann?, dachte Rupert finster. »Also gut. Warten Sie einen Augenblick!«
Er stemmte die Schulter gegen den Schrank und rückte das schwere Möbelstück mühsam an seinen unsprünglichen Platz.
Breite Streifen auf dem Läufer vor der Tür verrieten, wo der Schrank in der Nacht gestanden hatte. Rupert bückte sich und drehte den Teppich sorgsam um. Wenn sich herumsprach, dass er seine Tür verbarrikadierte, ehe er sich schlafen legte, konnte er sich bei Hofe nicht mehr sehen lassen. Er schob den Riegel zurück und schloss in aller Ruhe auf. Was immer ihm der Champion zu sagen hatte, war vermutlich eine unangenehme Nachricht. Schließlich öffnete er die Tür und sah den Ersten Krieger des Landes feindselig an.
»Sind Sie sicher, dass Ihre Botschaft nicht warten konnte?«
»Ich sehe, dass es Ihnen wieder besser geht, Sire.«
Rupert starrte ihn nur an. Der Champion schüttelte betrübt den Kopf.
»Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie noch müde sind? Sie haben fast vier Stunden geschlafen.«
»Vier Stunden?« Rupert sah sich nach einem schweren Gegenstand um, mit dem er dem Champion den Schädel einschlagen konnte, und gab den Gedanken wieder auf, weil die Durchführung zu viel Kraft gekostet hätte. Er lehnte sich müde gegen den Türstock und musterte den Champion, der wie immer gelassen, ausgeruht und tatendurstig wirkte. »Heraus mit der Sprache, Sir Champion! Was ist passiert, während ich schlief?«
»Leider nicht viel, Sire. Die Dämonen lauern immer noch jenseits des Burgwalls, während der König und der Große Zauberer streiten, dass die Fetzen fliegen.«
»Klasse«, murmelte Rupert. »Echt Klasse!«
»Deshalb«, fuhr der Champion lässig fort, »fand ich, es könnte nicht schaden, wenn Sie die Kampfhähne zur Vernunft brächten.«
»Was schenkt Ihnen die Überzeugung, dass die beiden auf mich hören werden?«
»Sie wissen am besten über den Dunkelwald Bescheid, Sire. Niemand hat ihn öfter durchquert als Sie, ohne auf der Strecke zu bleiben.«
»Und?«
»Und Sie sind vermutlich das einzige Mitglied des Hofes, das nicht sein eigenes Süppchen kocht«, sagte der Champion.
»Ich kann es ja mal versuchen«, meinte Rupert mit einem Achselzucken. Er kehrte zurück ins Zimmer und schnallte sein Schwert um. Er hatte es nun so lange getragen, dass er sich ohne das Gewicht an der Hüfte beinahe nackt vorkam.
Alles in allem fühlte er sich nach den vier Stunden Schlaf doch ein wenig besser. Die linke Schulter war nicht mehr steif, und der frische Narbenwulst spannte kaum, wenn er den Arm bewegte. Die Müdigkeit konnte er verdrängen; darin hatte er inzwischen Übung. Er fuhr sich mit den Fingern durch das wirre Haar, zog das Lederwams gerade und schaute an sich herunter. Vier Stunden unruhiger Schlaf hatten seine blutverschmierte Kleidung nicht sauberer gemacht. Einen Moment lang war Rupert versucht, rasch in ein paar Sachen zu schlüpfen, die der Hofetikette angemessen waren, aber dann dachte er: Vergiss es! Er würde es überleben, wenn die Herrschaften über ihn die Nase rümpften. Also zog er in aller Ruhe den Gürtel fest und trat auf den geduldig wartenden Champion zu.
»Meinetwegen können wir gehen!«
Die Mundwinkel des Champions zuckten, als er einen Blick auf Ruperts Furcht einflößendes Äußeres warf. »Sie werden ihre Aufmerksamkeit wecken, Sire.«
»Gut so«, sagte Rupert und setzte entschlossen einen Fuß vor den anderen.
Prinz Rupert und der Champion blieben im Vorraum stehen und wechselten einen vielsagenden Blick. Obwohl die Doppeltüren zum Thronsaal fest geschlossen waren, drang der Streit bis zu ihnen durch. Rupert schüttelte den Kopf, trat energisch vor und stieß die Türflügel auf. Eine mächtige Klangwoge toste über ihn hinweg, während er auf der Schwelle stand und sich umsah – ein tierischer Lärm, der nackte Angst und Wut verriet. Die Höflinge begriffen endlich, dass die lange Nacht bis zur Residenz vorgedrungen war, und der Anblick der Finsternis trieb sie an den Rand des Wahnsinns. Die vornehmen Damen und Herren liefen aufgeregt hin und her, mit schrillen Stimmen und erschrockenen Augen, wanderten von einer Gruppe zur nächsten, wie Bienen, die ziellos von Blüte zu Blüte taumeln. Andere drängten sich zusammen, nahmen von nichts Notiz und klammerten sich weiterhin an ihre tröstlichen Lügen. Alle Männer im Saal trugen Schwerter, selbst jene, die noch nie im Leben eine Waffe in die Hand genommen hatten. Und überall sah Rupert geballte Fäuste und verzerrte Gesichter, Zorn, Furcht und unverhülltes Entsetzen. Der Dunkelwald hatte die Burg erreicht.
Am anderen Ende des Saals saß König Johann mit steifem Rücken auf seinem Thron, flankiert von zwei Gardesoldaten.
Seit wann benötigt er an seinem eigenen Hof den Schutz von Bewaf f neten? Rupert runzelte verwundert die Stirn. Der König bedachte den Großen Zauberer, der stolz aufgerichtet vor ihm stand, mit eisigen Blicken, und Rupert musste nicht hören, was die beiden sagten, um zu wissen, dass sie sich ein erbittertes Wortgefecht lieferten. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich, als er ihre Mienen studierte. Ärger war darin zu lesen, Ärger und Angst, aber hinter dieser verständlichen und für alle sichtbaren Reaktion lag noch etwas anderes verborgen – vielleicht Verrat. Verrat auf beiden Seiten.
Er war ein Verräter. Ein Verräter, ein Feigling und ein Trunkenbold.
Rupert wandte den Blick ab. Zur Rechten des Königs stand Harald in glänzender Rüstung, jeder Zoll der Prinz. Mit eindrucksvollem Muskelspiel wechselte er von einer Heldenpose in die andere. Rupert lächelte grimmig. Harald hatte diese Rolle immer schon weit besser beherrscht als er selbst. Und dann entdeckte er Julia, die sich bei Harald untergehakt hatte.
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