»Und was machen wir jetzt?«
»Wir treten ganz langsam vor und hoffen, daß mir etwas einfällt, bevor wir dort sind.«
»Du hast besser einen verdammt guten Einfall«, knurrte Ruby.
»Hab’ ich, hab’ ich, keine Sorge. Ich bin berühmt für meine guten Einfälle.«
»Du bist aber auch berühmt dafür, in den Hintern getreten zu werden, und gerade in diesem Augenblick stehen wir verflucht vielen schwerbewaffneten Soldaten gegenüber, die alle gespannt zu uns rübersehen. Könnten wir bitte ein wenig langsamer gehen?«
»Ruby, noch ein wenig langsamer, und wir bewegen uns rückwärts. Kassar durchbohrt uns bereits mit den Augen vor Wut.«
»Ach, geh!« sagte Ruby. »Ich mache mir gleich in die Hosen vor Angst.«
Ruby und Jakob erreichten das niedrige Podium, das man vor den Gefangenen errichtet hatte, verbeugten sich vor Kassar und blickten auf die beiden gewaltigen Schwerter, die neben den Enthauptungsblöcken standen. Die Blöcke erweckten ganz den Eindruck, als wären sie bereits oft benutzt worden. Ohnesorg blickte zu den Gefangenen, und sie starrten so trotzig zurück, wie sie nur konnten. Einige der jüngeren Kinder begannen zu weinen, nicht sicher, was als nächstes geschehen würde, obwohl sie die plötzlich angespannte Atmosphäre bemerkten. Für einen Augenblick, der sich scheinbar endlos in die Länge zu ziehen schien, herrschte nur Schweigen und Spannung. Kassar stapfte zum Podium.
»Was machen wir jetzt?« zischte Ruby. »Jakob, was machen wir jetzt? «
»Beginnt mit den Exekutionen!« fauchte Kassar. »Oder wir beginnen mit den Euren…« Er unterbrach sich, packte Jakob Ohnesorgs Kapuze und riß sie herunter. »Ihr!«
»Ich!« entgegnete Jakob und boxte dem Kardinal auf den Mund. Dann packte er den verdutzten Kassar, wirbelte ihn herum und hielt ihn als Schild vor sich. Ein Aufschrei ging durch die hilflos zusehenden Kirchensoldaten. Ohnesorg grinste in Flynns Kamera. »Lang lebe die Rebellion!«
»Oh, hervorragender Plan«, brummte Ruby, warf die Jesuitenrobe ab und zog Schwert und Disruptor. »Wirklich sehr ausgeklügelt. Ich selbst hätte keinen besseren entwickeln können.«
Die Kirchentruppen brachen aus ihrer Formation aus und rannten auf die drei Gestalten auf dem Podium zu, dichtauf gefolgt von den Sicherheitskräften der Wolfs. Alle hatten Schwerter in den Händen. Ruby wandte sich den Anstürmenden mit heißem Feuer in den Augen zu. Einige der Gefangenen stießen heisere Jubelrufe aus. Ohnesorg blickte auf seine Uhr.
Toby Shreck drehte sich nach Flynn um. »Sagt mir, daß Ihr das aufnehmt!«
»Ich nehme es auf, Boß, ich nehme es auf! Es geht alles live nach draußen! Ist das der, von dem ich denke, daß er es ist?«
»Ich kenne die Frau nicht, aber der Mann ist Jakob Ohnesorg, wie er leibt und lebt. Ich hätte wissen sollen, daß er eine seiner berühmten Rettungsaktionen in letzter Minute startet. Der Mann hat ein Patent darauf.«
»Ich hasse es, Euer Szenario zu versauen, Boß, aber die beiden sind nur zu zweit, und die anderen sind mehrere hundert.
Geisel oder nicht Geisel, Ohnesorg hat nicht die Spur einer Chance.«
»Na und, zur Hölle!« erwiderte Toby. »Es wird eine großartige Schau. Wir werden wundervolle Auszeichnungen bekommen, Flynn. Wo… wo, zur Hölle, kommen die denn her?«
Die waren Hunderte und Aberhunderte von Rebellen, die mit einemmal aus bislang verborgenen Tunnels am Rand der Fabrik strömten. Ohnesorg grinste. Genau zur rechten Zeit. Während ihre Kameraden die Verteidiger der Fabrik auf der anderen Seite des Geländes abgelenkt und beschäftigt hatten, hatten die restlichen Rebellen sich wie wahnsinnig durch die Erde gegraben, um rechtzeitig vor der Exekution auf der Bildflache zu erscheinen. Sie schwärmten über die zerklüftete Metallebene aus, schwenkten Schwerter und Pistolen und brüllten ihre wilden Schlachtrufe heraus. Die Kirchentruppen und Söldner machten kehrt, vergaßen Ruby Reise und Jakob Ohnesorg völlig und bereiteten sich auf den Zusammenprall mit den Rebellen vor. Disruptoren feuerten, Energiestrahlen zuckten durch die Luft, und Menschen zerplatzten in Fontänen aus Gewebe, Knochen und Blut. Dann prallten die beiden Streitkräfte aufeinander, eine wogende Masse aus Leibern, die in diese und jene Richtung drängte. Es gab nur noch Raum für Zweikämpfe Schwert an Schwert, Kopf an Kopf und das blutige Rasen aufeinanderprallender Weltanschauungen.
Ruby blickte Jakob an. »Ich vermute, du wirst jetzt sagen, daß du das alles geplant hast?«
»Aber natürlich! Obwohl die Zeit ein wenig knapp geworden ist. Such in Kassars Taschen, ob er einen Schlüssel für die Schlösser bei sich hat.«
In diesem Augenblick trat der Halbe Mann vor. Er wischte alles beiseite, was ihm im Weg stand, und hielt schnurstracks und mit erhobenem Schwert auf Jakob Ohnesorg zu. Ohnesorg stieß Kassar von sich, riß den Disruptor aus seinem Halfter und schoß. Der Halbe Mann hob den rechten Arm aus Energie und blockte Jakobs Schuß mühelos ab. Der Strahl zuckte als harmloser Querschläger in den Himmel. Und so standen sie sich gegenüber, zwei Männer, die von fremden Mächten geformt worden waren, und keiner von beiden war noch ein einfacher Mensch. Die Macht des Labyrinths des Wahnsinns brannte in Jakob, aber er hatte trotzdem alle Mühe, den Kampf nicht zu verlieren. Was auch immer die Fremden sonst noch mit dem Halben Mann angestellt hatten, sie hatten einen hervorragenden Kämpfer aus ihm gemacht. Er war schon länger ein Soldat und Krieger, als Jakob Ohnesorg überhaupt lebte, und er wurde niemals müde. Unablässig krachten ihre Schwerter aufeinander, und keiner der beiden wich auch nur einen Millimeter zurück.
In der Zwischenzeit war Kardinal Kassar aus seiner Benommenheit erwacht und kämpfte gegen Ruby. Zunächst war er ihr herablassend gegenübergetreten, doch rasch kämpfte er ums nackte Überleben. Kassar rief sich alle Tricks und Erfahrung ins Gedächtnis, die er als Elitekämpfer der Kirche gesammelt hatte, und fand, daß es nicht reichte. Ruby trieb ihn zurück, Schritt um Schritt, wischte seine Verteidigung mit müheloser Leichtigkeit beiseite und brachte ihm Verletzungen bei, ganz wie sie wollte. Und obwohl sie die Kraft des Zorns aufwallen spürte, hielt sie ihn dennoch zurück und verweigerte die Vorteile, die er bot. Ruby brauchte nichts außer Ruby, hatte niemals etwas anderes gebraucht, und sie allein würde entscheiden, ob sie ihre zusätzlichen Gaben nutzte oder nicht. Die Kopfgeldjägerin grinste Kassar in das schwitzende Gesicht. Sie hätte ihn jederzeit töten können, und beide wußten es. Aber sie wollte, daß es noch eine Zeitlang dauerte. Ruby Reise vergnügte sich.
Daniel Wolf zog das Schwert, bereit, sich in den Kampf zu stürzen, und hielt inne, als er bemerkte, wie verängstigt Stephanie war. Er mußte bei ihr bleiben. Sie brauchte seinen Schutz. Daniel warf einen raschen Blick zum Haupteingang der Fabrik, aber inzwischen blockierten bereits zu viele Rebellen den Weg. Nirgendwo war eine Deckung. Ihm blieb nur die Hoffnung, daß niemand von ihnen Notiz nahm. Daniel zog seine Schwester hinter den Teleprompter, ließ sie niederknien und stand beschützend über ihr, fest entschlossen, niemanden an Stephanie heranzulassen, es sei denn, über seine Leiche.
Lily und Michael klammerten sich aneinander und starrten mit Panik in den Augen um sich. Eine kleine Gruppe von Rebellen löste sich aus der kämpfenden Masse und stürmte in ihre Richtung. Lily schob Michael von sich weg, starrte die Rebellen trotzig an und rief ihre Hexenkräfte zu Hilfe. Doch ihr schwaches ESP brachte nur einen säuselnden Wind zustande, der die Rebellen kaum aufhalten würde. Einer von ihnen ging mit dem Schwert auf Lily los, und Michael warf sich in den Weg. Das Schwert fuhr durch seine Kehle und an der anderen Seite wieder heraus. Blut spritzte auf Lilys entsetztes Gesicht.
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