Jakob Ohnesorg und Ruby Reise kamen im anonymen Schutz der Jesuitenroben gut voran. Sie stapften hastig an den Sicherheitskameras vorbei. Die meisten der wenigen Wachen, die auf ihren Posten verblieben waren, winkten die beiden einfach durch. Man stritt nicht mit Jesuiten, es sei denn, man wollte das nächste Wochenende mit einer höchst erfindungsreichen, erniedrigenden Bußübung verbringen. Ohnesorg murmelte ununterbrochen leise vor sich hin und hoffte, daß es wie religiöse Gebete klang. Er segnete kreuzschlagend alles, was sich bewegte oder auch nur so aussah, und hielt im übrigen den Kopf gesenkt. Ohnesorg hatte schon immer den Teil seiner Pläne am meisten genossen, in dem es um Tarnung und Täuschung gegangen war. Es kam dem frustrierten Schauspieler in Jakob entgegen. Obwohl er manchmal dachte, daß sein Leben als Berufsrebell die größte Rolle überhaupt war.
Ruby trottete einfach neben Jakob her, gab sich Mühe, die Hände von den unter ihrer Robe verborgenen Waffen zu lassen und nicht in den gewohnten weit ausgreifenden Schritt zu verfallen. Auf ihre Weise spielte auch sie eine Rolle. Es lag überhaupt nicht in ihrer Natur, leise, unauffällig und demütig zu erscheinen. Sosehr Jakob sie auch liebte, selbst er mußte zugeben, daß Ruby nicht gerade flexibel war. Wenn man es nicht schlagen, stehlen oder mit ihm schlafen konnte, dann fiel ihr meist keine Alternative ein.
Schließlich erreichten die beiden Rebellen den Haupteingang, der zu dem Vorplatz und der Zeremonie führte. Ein Kirchensoldat in voller Kampfmontur trat ihnen in den Weg. Er war beinahe so breit wie groß, bewaffnet mit Schwert und Pistole, und auf seinem Gesicht stand das blöde Grinsen eines Mannes, dem es erlaubt war, Leute herumzukommandieren, die normalerweise seine Vorgesetzten waren. Ohnesorg segnete ihn zweimal mit dramatisch ausholender Geste, doch der Soldat schien unbeeindruckt.
»Es tut mir leid, Vater. Ihr kennt die Vorschriften. Niemand darf hier durch, wenn die Zeremonie erst begonnen hat. Ihr werdet von den Bildschirmen aus zusehen müssen. Und jetzt setzt Euch in Bewegung.«
Ohnesorg bedeutete dem Gläubigen, sich zu ihm vorzubeugen, und wartete, bis der Kopf des Mannes dicht vor seiner Kapuze war. Dann sagte er mit feierlicher Stimme: »Wußtet Ihr eigentlich, daß wir Jesuiten einen eigenen, ganz besonderen Händedruck kennen?« Im gleichen Augenblick streckte er die Hand aus, packte die Eier des Mannes und drückte zu. Die Augen drohten dem Riesen aus dem Kopf zu fallen. Er holte tief Luft, um zu schreien, aber irgendwie brachte er keinen Ton hervor. Dann ging er in die Knie. Ruby nahm ihm den Helm ab und schlug ihm den Kolben ihres Disruptors über den Schädel.
Der Gläubige fiel vornüber, und Ohnesorg schlug ein weiteres feierliches Kreuz über dem Bewußtlosen. »Aus mir hätte ein großartiger Freimaurer werden können«, seufzte er wehmütig.
Ruby und Jacob schlenderten unbekümmert zum Tor hinaus und bezogen am Rand des Geschehens Position. Kassar schoß ihnen einen giftigen Blick zu, weil sie sich verspätet hatten, doch er beließ es dabei. Die restlichen Anwesenden ignorierten die beiden Jesuiten geflissentlich. Daniel Wolf war noch immer bei seiner Rede. Sie hörte sich schlimm an. Ohnesorg blickte beiläufig zu den Gefangenen hinüber, die auf ihre Hinrichtung warteten, und runzelte die Stirn, als er die Ketten sah, mit denen sie angebunden waren. Schwere Ketten aus massivem Stahl und mit sperrigen Schlössern gesichert, die man mit nichts weniger als dem richtigen Schlüssel oder einem Disruptor öffnen konnte. Ohnesorgs Stirnrunzeln vertiefte sich noch.
Niemand hatte Ketten erwähnt.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Menge betrachtete Toby Shreck ebenfalls die Gefangenen und nahm Einzelheiten in sich auf. Viele wiesen blaue Flecken und blutverkrustete Wunden von erst kürzlich erfolgten Mißhandlungen auf. Sogar die Kinder. Die Augen der Gefangenen waren glasig von starken Beruhigungsmitteln, damit sie keine Schwierigkeiten machen konnten. Jedenfalls nicht genug, daß man sie niederschlagen mußte. Das würde der Exekution jeden Spaß nehmen. Toby schnitt eine Grimasse und drehte sich um, als Daniel Wolf plötzlich seine Ansprache unterbrach. Der Teleprompter war unvermittelt dunkel geworden, und Stephanie warf Toby einen bedeutungsvollen Blick zu. Also gab Toby seinem Kameramann einen Wink, die Aufzeichnung zu unterbrechen, anstatt den jungen Wolf wie einen kompletten Idioten dastehen zu lassen, der seine eigene Rede nicht kannte. Später würde man sich mit technischen Schwierigkeiten entschuldigen. Und es kam Toby nicht ganz ungelegen, wenn die mächtige und einflußreiche Stephanie Wolf ihm einen Gefallen schuldete. Flynn kam herbei, stellte sich zu Toby, und sie musterten gemeinsam die Gefangenen.
»Ich kann einfach nicht glauben, daß sie auch die Kinder töten wollen«, flüsterte Flynn. »Ich wünschte nur, wir könnten etwas dagegen unternehmen.«
»Können wir«, flüsterte Toby zurück. »Sobald Daniel seine Rede beendet hat, werde ich vor der Kamera einen Gnadenappell für die Kinder direkt an die Imperatorin richten.«
»Ihr habt ein gutes Herz, Chef«, sagte Flynn. »Aber es wird nicht funktionieren. Kassar hat zuviel von seinem Stolz in die Waagschale geworfen, nachdem seinen Leuten in den Tunnels die Köpfe abgerissen wurden. Er wird sagen, es handele sich um eine reine Kirchenangelegenheit. Niemand legt sich heutzutage mit der Kirche an, wenn er gerne noch etwas länger atmen möchte. Wahrscheinlich wird er Euch ebenfalls hinrichten lassen, weil Ihr die Frechheit besessen habt zu fragen. Nein, Chef.
Wir können nichts weiter tun, außer zu filmen, was hier geschieht, und hoffen, daß es den Zuschauern so ans Herz geht, daß man den Kardinal daran hindert, etwas Derartiges zu wiederholen. Aber Geld würde ich nicht darauf setzen. Heutzutage lieben die Menschen ihre blutige Unterhaltung viel zu sehr.«
»Auch ich war einmal ein Anhänger der Arena«, gestand Toby. »Ich hatte sogar eine Jahreskarte und einen guten Platz.
Aber das war eine andere Sache. Die Gladiatoren hatten wenigstens eine Chance, sich zu wehren, meistens jedenfalls. Das hier ist reines Abschlachten, und ich habe schon viel zuviel Blut auf Technos III gesehen. Ich weiß nicht, Flynn. Ich habe immer gedacht, daß ich mich nicht in die Politik einmische, aber das hier…«
»Wir können überhaupt nichts ändern, Boß. Steht es einfach durch, macht Eure Arbeit, und hofft, daß unser nächster Auftrag uns zu einer etwas zivilisierteren Welt führt.«
»Ich wollte von einem Kriegsschauplatz berichten«, sagte Toby, »weil Kriege die besten Geschichten liefern. Ich hätte niemals mit so etwas wie hier gerechnet.«
»Das tut niemand«, entgegnete Flynn. »Und deswegen berichten wir immer wieder von Kriegsschauplätzen.«
Irgend jemand brachte den Teleprompter wieder ans Laufen, indem er gegen eine empfindliche Stelle trat. Flynn schaltete die Kamera wieder ein, und Daniel beendete seine Ansprache.
Alles applaudierte höflich. Daniel nickte Kardinal Kassar zu und trat zurück, damit der Kardinal mit den Exekutionen beginnen konnte. Der Kardinal starrte düster in die Kamera und grinste kalt.
»An diesem Tag werden dreihundertsiebenundzwanzig Rebellen sterben, als Exempel für all diejenigen, die sich der Autorität der Staatskirche und ihrer allerkaiserlichsten Majestät Löwenstein XIV widersetzen. Der Großteil der Rebellen wird durch einen elektrischen Stromschlag sterben, den wir durch ihre Ketten leiten, doch die Anführer werden einer nach dem anderen enthauptet werden, als Sühne für all die Gläubigen, die im Kampf gegen die Feinde der Kirche gefallen sind. Tretet vor, Henker, und tut Eure Pflicht.«
»Oha«, sagte Ruby. »Er meint uns!«
»Kein Wunder, daß niemand sich mit uns anlegen wollte«, entgegnete Jakob.
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