Und wenn es sein muß, dann tötet mich. Ich will kein Judas an der gesamten menschlichen Rasse werden.
Manchmal frage ich mich, was aus meiner anderen Hälfte geworden ist. Wenn sie überhaupt noch lebt, irgendwo. Vielleicht geben die Fremden sie mir zurück, wenn sie eines Tages wiederkehren. Eine letzte Versuchung, eine Waffe, um mich zu kontrollieren. Schließlich bin ich nur ein Mensch. Also lege ich mein Leben in Eure Hände, Investigator, wie ich es mit anderen vor Euch auch schon gemacht habe. Tut, was notwendig ist, Klipp, was es auch immer kosten mag.«
»Wie Ihr befehlt«, erwiderte Klipp. »Ich schwöre es, bei meiner Ehre und meinem Gewissen. So habt Ihr mich ausgebildet, oder? Aber nur aus Interesse – was geschah mit den anderen vor mir?«
»Ich überlebte sie«, antwortete der Halbe Mann. »Ich lebe schon eine verdammt lange Zeit.«
»Natürlich. Gibt es… gibt es noch etwas, das ich für Euch tun kann? Noch einen anderen Grund, aus dem Ihr mich habt kommen lassen?«
»Ja, aber nicht das, was Ihr vielleicht denkt. Diese Bedürfnisse wurden mir zusammen mit allen anderen genommen. Ich brauche Euch für eine sensible Aufgabe später am Tag. Während alle anderen mit den Vorbereitungen für die Zeremonie beschäftigt sind, werdet Ihr die Ehrwürdige Mutter Beatrice von den Barmherzigen Schwestern töten. Es soll aussehen, als hätten die Rebellen sie ermordet. Beatrice hat zu viele Leute mit Einfluß verärgert, und sie wünschen ihren Tod. Und da ich ihre Unterstützung benötige, um die gegenwärtige Mission zu erfüllen, muß Beatrice sterben. Macht es rasch, aber blutig, und seid diskret. Wir wollen nicht den Zorn der Barmherzigen Schwestern auf uns lenken.«
»Verstanden«, erwiderte Klipp. Sie erhob sich und verbeugte sich knapp vor dem Halben Mann. »Ich werde die Sache in die Hand nehmen. Ruht Euch aus, Sir. Auf uns wartet noch eine Menge Arbeit, wenn wir die Rebellion hier niederschlagen wollen.«
»Wir müssen sie niederschlagen«, betonte der Halbe Mann.
»Die Fremden warten noch immer dort draußen. Das Imperium braucht diesen neuen Antrieb, wenn es eine Chance haben soll.
Und ich kann mir nicht leisten, wegen kleiner Zänkereien wie dieser meine Aufgabe aus den Augen zu verlieren.«
Kardinal James Kassar stapfte in der kochenden Sommerhitze vor seinen versammelten Kirchentruppen auf und ab und reagierte seine Wut ab. Die Truppen standen steif in Habtacht und ignorierten die Hitze und den Schweiß, der auf ihrer Haut beinahe ebenso rasch verdunstete, wie er entstand. Einige waren ohnmächtig geworden, doch man hatte sie an Ort und Stelle liegengelassen. Sie würden später ausgepeitscht werden. Kassar redete und brüllte und schrie seit gut einer halben Stunde, und er zeigte noch immer keine Anzeichen von Ermüdung. Er redete, nur hin und wieder von einem Gebet um Exhortation unterbrochen, vom Stolz und der Reinheit der Kirche von Christus dem Krieger und der äußersten Verderbtheit ihrer zahlreichen Feinde. Kassar hatte sich in einen Zustand der Wut und Frustration geredet, doch seine Truppen waren nicht sonderlich beeindruckt. Sie hatten das alles schon mehr als einmal erlebt.
Kassar konnte es nach Belieben ein- und ausschalten.
Trotzdem achteten die Soldaten peinlich darauf, nicht unaufmerksam zu erscheinen. Zum Teil, weil es von der verdammten Hitze ablenkte, aber hauptsächlich, weil die Jesuiten zwischen den Reihen hindurchschlichen in der Hoffnung, jemand Unaufmerksamen zu überraschen, so daß sie ihn nach vorn zerren und ein schreckliches Exempel an ihm statuieren konnten. An diesem Morgen gingen sie jedoch leer aus. Zum ersten Mal hatte der Kardinal etwas zu sagen, das wirklich interessant war, ganz zu schweigen von lebenswichtig. Kassar hatte sich entschlossen, seine Männer erneut hinunter in die Tunnels unter der Oberfläche von Technos III zu schicken, um die Rebellen auszulöschen und ihren Stolz zurückzugewinnen, nachdem sie in der Vergangenheit so herbe Niederlagen hatten hinnehmen müssen. Selbstverständlich würde diesmal alles anders sein. Keine kleine Gruppe in gepanzerten Kampfanzügen, sondern die gesamte Streitmacht der Kirche, ohne Panzer, nur mit Handwaffen ausgerüstet und mit einer neuen Kampfdroge, die auszuprobieren die Kirche kaum erwarten konnte.
Die Soldaten hätten sich gerne verstohlene Blicke zugeworfen, um herauszufinden, wie ihre Kameraden diese Neuigkeit aufnahmen, aber die Jesuiten schlichen noch immer zwischen den Reihen herum, und so starrte jeder stur geradeaus.
»Der Kampfpanzer war ein Fehler«, räumte der Kardinal soeben ein und blieb für einen Augenblick still stehen, so daß er herablassend auf seine Soldaten blicken konnte. »In den Tunnels gibt es nicht genügend Raum zum Manövrieren, und die eingebauten Disruptoren sind vollkommen nutzlos. Der Panzer zwingt einen Mann nur in die Knie und behindert ihn in seinen Bewegungen. Diesmal werdet Ihr nur mit leichter Ausrüstung vorrücken, schnell und jederzeit zum Zuschlagen bereit. Die neue Kampfdroge wurde in unseren eigenen Kirchenlabors hergestellt. Sie stärkt den Glauben und das Selbstvertrauen eines Mannes, macht ihn schneller, stärker und gemeiner. Seine Kraft wiegt die von zehn anderen auf, weil sein Herz rein ist.
Ein reiner Mann mit der neuen Kampfdroge in den Adern kann nur mit einer Keule bewaffnet einer ganzen Armee widerstehen, und Ihr werdet ganz ausgezeichnet bewaffnet sein. Diese gottverfluchten Rebellen werden nicht einmal wissen, wie ihnen geschieht.
Meine Freunde, wir müssen diese Schlacht gewinnen. Nicht allein deswegen, weil die Sicherheit des Imperiums auf dieser Fabrik und dem von ihr produzierten neuen Antrieb ruht, sondern weil unsere Feinde bei Hof und sonstwo unsere Niederlage beim letzten Angriff der Rebellen für ihre eigene Propaganda ausschlachten, um uns von unserem rechtmäßigen Platz an der Seite der Imperatorin Löwenstein zu vertreiben. Wir müssen unseren Stolz zurückgewinnen, was es auch kosten mag.
Vergeßt nicht: Wer im Namen der Kirche kämpft, ist eines Platzes im Himmel sicher. Wenn wir versagen oder wenn unser Glaube wankt, dann werden die Überlebenden nach Golgatha zurückkehren und der Inquisition unterworfen. Ich weiß, daß jeder von Euch lieber sterben würde, als in Ungnade heimzukehren.«
Kassar legte eine Pause ein und blickte über seine Truppen, und als sie seinen Blick unverzagt erwiderten, nickte er stolz.
»Die Jesuiten werden jetzt herumgehen, die neue Droge austeilen und jeder Gruppe ihre Befehle geben. Ihr versammelt Euch in einer halben Stunde wieder hier an dieser Stelle, in voller Ausrüstung und unter Waffen, bereit, die Droge auf Befehl Eurer Jesuitenführer einzunehmen. Ich bedaure, daß ich nicht bei Euch sein kann, aber drängende Pflichten, die keinen Aufschub dulden, erwarten mich an anderer Stelle. Aber im Geiste werde ich bei Euch sein. Macht, daß ich stolz auf Euch bin.
Macht, daß die Kirche stolz auf Euch ist. Steigt in die Finsternis hinab, und tötet alles Lebendige, das Ihr dort unten findet.
Für Gottes Ruhm und den des Imperiums, tötet jeden verdammten Rebellen, Mann, Frau und Kind, bis auf dieser Welt niemand mehr übrig ist, der uns trotzen kann.«
Tief unten unter der Oberfläche von Technos III , im sicheren Schutz der Tunnel und Kavernen, die aus den vielen Schichten von Metall und Schrott gegraben worden waren, ging das Leben der Rebellen seinen normalen Gang. Die Leute arbeiteten und wachten in Schichten, so daß der Fortschritt niemals langsamer wurde und niemand sie mit heruntergelassenen Hosen überraschen konnte. Die Ausgestoßenen besaßen viele Feinde, nicht nur in der Welt an der Oberfläche, sondern auch in der Tiefe, und sie hatten gelernt, immer bereit zu sein. Jakob Ohnesorg, Ruby Reise und Alexander Sturm wurden von der Gespenster-Alice auf einen weiteren Rundgang mitgenommen, um die Notwendigkeit für Unterstützung von außen noch einmal zu betonen.
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