Und das wird der Zeitpunkt sein, an dem wir hineingehen und alles angreifen, was kein Klon ist. Wir werden ihre Verteidigung überrennen, die Klonarbeiter befreien, alle Maschinen in Sichtweite zerstören und machen, daß wir wieder hinauskommen, als sei der leibhaftige Teufel hinter uns her, während ihre Sicherheitskräfte noch darüber nachdenken, was ihnen auf den Kopf gefallen ist. Und die gesamte Aktion wird live übertragen. Es wird ein großer Coup für unsere Rebellion sein. Wir sollten eine Menge Zulauf erhalten. Und so sicher wie die Hölle werden wir die Produktion des Hyperraumantriebs lahmlegen, bis sie den Schaden repariert haben und ein Schiff neue Klonarbeiter bringt. Und dann schlagen wir erneut zu.«
»Der Überfall wird den Ausgestoßenen einiges geben«, sagte Ruby. »Sie sehen, wozu sie imstande sind, und sie werden zu einem Machtfaktor. Zu einer Kraft, mit der das Imperium rechnen und mit der es vielleicht sogar verhandeln muß, wenn es die neuen Antriebe will. Richtig?«
»Sehr gut, Ruby! Ich mache noch eine Taktikerin aus dir.
Aber das bringt uns wieder zum Thema zurück. Warum ich nicht will, daß die Ausgestoßenen uns als ihre Helden betrachten. Wenn wir ihnen erst bewiesen haben, daß sie stark genug sind, um den Wolfs in den Hintern zu treten, ist unsere Aufgabe auf Technos III erledigt. Aber es ist lebenswichtig, daß diese Leute begreifen, wozu sie imstande sind, bevor wir zu einer anderen Mission aufbrechen. Daß sie auch ohne uns gewinnen können. Sie benötigen nichts weiter als einen Anstoß von außen und jemanden, der ihnen neue Kampftaktiken zeigte. Ich wollte nie ein Anführer sein, Ruby, geschweige denn ein Held.
Ich wollte nur für das Recht der Menschen auf Freiheit kämpfen. Sogar die Freiheit von Heldenverehrung. Helden sind großartig, wenn es darum geht, das Böse und die Ungerechtigkeit zu bekämpfen, aber in der Praxis sind sie immer verdammt miese politische Führer.«
»Ich kämpfe nur, weil ich gut darin bin«, antwortete Ruby.
»Und weil es mir Spaß macht.«
»Daran werden wir noch arbeiten müssen«, erwiderte Ohnesorg.
Ruby grinste. »Warum willst du Perfektion verbessern?«
Investigator Klipp stand lässig im Privatgemach des Halben Mannes und fragte sich im stillen, was, zur Hölle, er zu dieser unchristlichen Stunde so früh am Morgen von ihr wollte.
Ihr fielen unwillkürlich die Augen zu, und sie mußte ein Gähnen unterdrücken. Klipp hatte den starken Verdacht, daß der Halbe Mann noch nicht im Bett gelegen hatte, wenn er überhaupt jemals schlief. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da konnte Klipp den ganzen Tag lang kämpfen und mit wenigen Stunden Schlaf in der Nacht auskommen, aber das war schon einige Jahre her. Sie wurde langsamer und brauchte mehr und mehr Schlaf zwischen den einzelnen Aufträgen. Achtundvierzig war kein Alter, von welchem Standpunkt auch immer, doch Investigatoren hatten stets die Besten der Besten zu sein. So stand es in der Beschreibung des Berufsbildes.
Klipp blickte sich unauffällig im Zimmer um, während sie wartete. Spartanisch wäre noch geschmeichelt gewesen; es gab nicht die geringste Spur von persönlicher Atmosphäre oder gar Menschlichkeit in der gesamten Einrichtung. Keinerlei persönliche Gegenstände. Es hätte jedermanns Zimmer sein können oder auch niemandes. Der Halbe Mann saß im einzigen vorhandenen Sessel, und sein einzelnes Auge starrte direkt auf die gegenüberliegende Wand. Er konzentrierte sich auf etwas, wovon Klipp wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung hatte.
Klipp gab sich Mühe, den Halben Mann nicht anzustarren, doch es fiel ihr verdammt schwer. Das brodelnde Energiegebilde, aus dem seine recht Körperhälfte bestand, war von endloser Faszination. Wenn man lange genug hinblickte, sah man Dinge. Beunruhigende Dinge. Aber man konnte den Blick einfach nicht abwenden. Plötzlich drehte der Halbe Mann sich zu ihr um, und nur ihre langjährige Ausbildung verhinderte, daß sie zusammenzuckte.
»Ich weiß, Investigator«, sagte er mit seiner überraschend normalen Stimme. »Es ist viel zu früh am Morgen, und es gibt sicherlich produktivere Dinge, die Ihr mit Eurer Zeit anstellen könntet. Aber ich muß mit Euch sprechen. Setzt Euch. Es macht das Zimmer so ungemütlich, wenn Ihr die ganze Zeit herumsteht.«
Klipp blickte sich automatisch nach einem Stuhl um, obwohl sie bereits wußte, daß es keinen gab. Dann wurde ihr klar, daß er das Bett gemeint hatte. Sie nahm vorsichtig auf der Kante Platz, hielt den Rücken gerade und blickte den Halben Mann aufmerksam an. Er war nicht gerade bekannt dafür, gesprächig zu sein, also war das, was er ihr mitzuteilen hatte, höchstwahrscheinlich von elementarer Bedeutung für ihre Mission auf Technos III. Der Halbe Mann seufzte leise, und sein halber Mund verbog sich zu einem Ausdruck, der vielleicht ein Lächeln darstellen sollte.
»Entspannt Euch, Klipp, ich habe nicht vor, Euch zu fressen.
Trotz aller Gerüchte, die Euch vielleicht zu Ohren gekommen sind. Ich muß einfach nur mit jemandem reden. Es gibt nicht viele Menschen, mit denen ich reden kann. Die meisten denken, ich wäre kalt und unmenschlich, und es kommt meinen Zwecken gelegen, diese Meinung zu bestärken. Größtenteils stimmt es auch. Aber ich habe noch immer meine menschliche Seite, wenn Ihr den Ausdruck entschuldigt, und hin und wieder brauche ich jemanden, mit dem ich von Mensch zu Mensch reden kann. Ich kannte Euren Großvater.«
Klipp blickte den Halben Mann unsicher an. Der plötzliche Themawechsel überraschte sie. »Wahrscheinlich besser als ich selbst, Sir. Es wird nicht gern gesehen, wenn Investigatoren familiäre Bindungen besitzen. Es könnte uns von unserer Arbeit ablenken.«
»Wahrscheinlich ist es auch nicht gern gesehen, daß ich jetzt mit Euch spreche. Euer Großvater war ein guter Mann. Hervorragender Raumschiffoffizier. Er hätte sicher einen guten Kapitän abgegeben, wenn er nur aus der richtigen Familie gekommen wäre. Als ich hörte, daß man Euch zu dieser Mission abkommandieren würde, brachte Euer Name eine Glocke in mir zum Klingeln. Also sah ich in den Akten nach. Ihr habt eine beeindruckende Karriere hinter Euch, Klipp. Bis man Euch hierher schickte, doch das trifft, glaube ich, auf viele Leute zu.
Jedenfalls dachte ich, wenn ich hier mit irgend jemandem sprechen könnte, dann mit Euch. Und ich muß mit jemandem reden. Ihr versteht sicher, daß alles, was in diesem Raum besprochen wird, nur für unsere Ohren bestimmt ist? Falls Ihr dagegen verstoßt, werdet Ihr augenblicklich exekutiert.«
»Jawohl, Sir. Selbstverständlich, Sir. Über was wolltet Ihr mit mir sprechen, Sir?«
»Über meine Vergangenheit. Der, der ich einmal war. Als ich noch ein junger Mann war wie alle anderen auch und mein Name noch Vincent Schnell lautete. Sie machten einen Scherz daraus; es hieß, ich sei schnell genug, um in Schwierigkeiten zu geraten, aber kaum schnell genug, um wieder hinauszugelangen. Am Ende stellte es sich als bittere Wahrheit heraus, aber heute erzählt sich niemand mehr den alten Scherz. Niemand wagt es. Aber es war auch damals schon nicht besonders lustig. Ich unterhalte mich hin und wieder mit Menschen im Privaten. Es hilft mir festzustellen, wie menschlich ich noch bin. Ich fürchte ständig, daß ich den Rest meines Menschseins auch noch verlieren könnte und daß ich vielleicht eines Tages einen Punkt erreiche, an dem es mir egal wird. Ihr werdet es nicht bemerkt haben, aber meine Energiehälfte wächst jeden Tag um einen winzigen Bruchteil, und meine menschliche schwindet um den gleichen Betrag. Man braucht schon einen Rechner, um den Prozeß exakt auszumessen, aber er findet nichtsdestotrotz statt. Ich werde weniger, Stück für Stück. Ich habe noch eine ganze Menge Zeit, bis es soweit ist, wenn der Prozeß sich nicht aus irgendeinem Grund beschleunigt. Aber was von mir noch übrig ist, ist sowieso nicht mehr allzu menschlich.
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